Nur selten ist eine künstlerische Bewegung so schwer zu beschreiben: dem Dadaismus ging es nicht nur um Klamauk und Verwirrung des Publikums, sondern auch um politischen Protest.

„Dada zeigt die Welt 1920. Viele werden sagen: so scheußlich sei sie selbst 1920 nicht. Es ist so: Der Mensch ist eine Maschine, die Kultur sind Fetzen, die Bildung Dünkel, der Geist ist Brutalität, der Durchschnitt ist Dummheit und Herr das Militär“, schreibt Adolf Behne anlässlich der „1. Internationalen Dada-Messe“, die im Sommer 1920 in der Berliner Galerie von Otto Burchard stattfindet. Doch zu diesem Zeitpunkt befindet sich die Dada-Bewegung bereits auf dem Weg in ihr eigenes Grab.

1916 hatte alles in Zürich angefangen. Hugo Ball gründet das „Cabaret Voltaire“ und holt verschiedene Künstler und Künstlerinnen ins Boot, die während des 1. Weltkriegs ebenfalls ihr Exil in der neutralen Schweiz gefunden haben. Als er im gleichen Jahr in seinem berühmten Kostüm aus steifen Pappen auf die Bühne tritt, das die Bewegungsfähigkeit seines Körpers extrem einschränkt, ist dies eine direkte Kritik an der Gesellschaft: an der Steifheit des Wilhelminischen Kaiserreichs, das sich hinter Monokel und „Vatermörder“ und der omnipräsenten „Sexualangst“ verschanzt. Von mehreren Personen simultan gelesene Lautgedichte, die wie ein allumfassendes Stottern klingen, versinnbildlichen das Wummern in den Schützengräben und das sinnlose Morden auf den Schlachtfeldern.

Hugo Balls Auftritt im Cabaret Voltaire 1916, IMAGE VIA: WIKIMEDIA

Doch während in Zürich nur durch die Blume kritisiert wird, nimmt man in der Berliner Gruppe kein Blatt vor den Mund. „Wir werden Weimar in die Luft sprengen. Berlin ist der Ort Dada. Es wird niemand und nichts geschont werden“, steht auf dem Flugblatt „Dadaisten gegen Weimar“ von 1920. 1918 hatte Richard Huelsenbeck den Gedanken der Bewegung aus Zürich inklusive einem „Dadaistischen Manifest“ nach Berlin gebracht und mit Raoul Hausmann, John Heartfield, Johannes Baader, George Grosz und Hannah Höch schnell Verbündete für den „Club Dada“ gefunden.

Der blutige Ernst

Ihre Abneigung gegen die Weimarer Regierung, die preußische Bürokratie und die lüsterne Doppelmoral des Bürgertums brachten sie in zahlreichen Manifesten, Pamphleten und Aufrufen zum Ausdruck; hauseigene Publikationen wie „Der Dada“ von Raoul Hausmann, „Der blutige Ernst“ oder „Jedermann sein eigner Fussball“ erscheinen zwar nur selten, provozieren aber nicht nur das Bürgertum, sondern erreichen auch die Aufmerksamkeit der lokalen Presse.

Hannah Höch mit Raoul Hausmann vor ihren Werken bei der „Internationalen Dada-Messe“, links Höchs Werk „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ von 1919, Berlin 1920; Berlinische Galerie; © Berlinische Galerie / Foto: Kai-Annett Becker / VG Bild-Kunst, Bonn 2016, Image Via Kulturstiftung der Länder

Mit ihrer Collage „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ aus Fotografien und Zeitschriften – einer zu diesem Zeitpunkt neuen Form der Darstellung –seziert Hannah Höch auf treffende Weise die damalige Gesellschaft und trägt damit zu einem neuen Künstler-Typus bei. „In diesem tollen Klima, in dieser stumpfen Zerstörung kann man kein braver Typ von konventionellem Künstler sein. Also en avant DADA! Selbst der vorsichtige DADA, das unentschiedene Tasten von Zürich genügt nicht mehr, zum Teufel!“ erinnert sich Raoul Hausmann später in seiner Autobiographie an das damalige Lebensgefühl.

Dada wendet sich gegen alles

Obwohl es in den Gruppierungen der Dadaisten, die sich nicht nur in Zürich und Berlin, sondern auch in Köln und Hannover formieren, keinerlei festgeschriebene Regeln gibt, ziehen die Protagonisten doch mehr oder weniger alle an einem Strang: „Da Dada der direkteste und lebendigste Ausdruck seiner Zeit ist, wendet es sich gegen alles, was ihm obsolet, mumienhaft, festsitzend erscheint“, heißt es im „Dada-Almanach“ von Richard Huelsenbeck.

Hannah Höch, Schnitt mit dem Küchenmesser durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands (1919), Original: Nationalgalerie, Staatliche Museen, Berlin, Germany, © Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders, Image Via DGDB

Gleichzeitig propagieren sie eine provokante Sinn-Verweigerung, lassen häufig offen, was mit den Gedichten, Performances und Collagen konkret ausgesagt werden soll. Der Dadaismus, so beschreibt es George Grosz einmal, sei als Reaktion „auf die Wolkenwanderer-Tendenzen der sogenannten heiligen Kunst entstanden, die über Kuben und Gotik nachsann, während die Feldherren mit Blute malten“ – auch als Gegenbewegung zu den Vertretern des Expressionismus, die den Weltkrieg als notwendige Läuterung der Menschheit sahen.

Dada war plötzlich tot

Mit dem Beginn der Weimarer Republik ist die Dada-Bewegung zwar noch nicht am Ende, doch beginnt sie zunehmend, sich zu verwässern und ihre Provokation zu verlieren. Die Dada-Messe 1920 wirkt wie ein letztes Aufbäumen der Gruppe, findet beim Publikum jedoch nur wenig Anklang. Lediglich eine Anzeige vom Reichswehrministerium gegen George Grosz, John Heartfield und Rudolf Schlichter – letztere hatten für die Skulptur „Preussischer Erzengel“ einer Soldatenuniform einen Schweinekopf aufgesetzt – sorgt für vorläufigen Wirbel. Doch während des Prozesses berufen sich die Angeklagten darauf, sie hätten „nur Spaß gemacht“ - und verraten damit sich selbst und die gesamte Bewegung. „DADA war tot, ohne Ruhm nach Staatsbegräbnis. Einfach tot“, resümiert Raoul Hausmann später.

Rekonstruktion „Preussischer Erzengel“, John Heartfield und Rudolf Schlichter 1920, für das Museum of Modern Art, New York, Image via WERKSTATT FÜR UNBESCHAFFBARES

Das Konzept Dada lebt auf die ein oder andere Weise bis heute weiter: In der zeitgenössischen Performance-Kunst, den sinnlich-verwirrenden Skulpturen des bildenden Künstlers John Bock etwa und der experimentellen Lyrik eines Ernst Jandl, auch wenn sich diese weniger auf die Kritik am Weltkrieg und mehr auf die Neu-Definition künstlerischer Ausdrucksweisen beziehen. Dada ist tot? Es lebe der Dada!

George Grosz, Deutschland – ein Wintermärchen, 1918, Öl auf Leinwand, 215 × 132 cm, Ehemals Sammlung Wieland Herzfelde, verschollen, © VG Bild-Kunst Bonn 2018