In der Weimarer Republik wurde Sport zum klassenlosen Massenphänomen. Doch der angestrebte neue Mensch zeigt bereits erste Anzeichen der späteren Nazi-Ideologie.

November 1918, Berlin. Die Weimarer Republik, eine parlamentarische Demokratie, wird ausgerufen. Zunächst berichten die 20er-Jahre von enormem Aufschwung und gesellschaftlichen Umbrüchen: Eine Zeit, in der Frauen erstmals wählen dürfen, Städte durch die Industrialisierung großen Zuzug erfahren und eine neue Klasse, die Angestellten, entsteht. Man erreicht im Kino oder mit dem Groschenroman große Zielgruppen, gibt sich demokratisch.

Doch kommt es durch einen von 1914 bis 1923 verhängten Baustopp in den Städten zu einem gravierenden Wohnungsmangel. Obdachlosigkeit und hohe Arbeitslosenzahlen werden zum negativen Sinnbild der Masse. Sie findet als arbeitendes Proletariat am Fließband oder als aufbegehrende Menge ihre Gestalt. Porträtiert werden die Gesichter der Masse beispielsweise in Fritz Langs populärsten Film Metropolis, der 1927 in die Kinos kam und seit wenigen Jahren wieder in der restaurierten Fassung zu sehen ist.

Yoga in der Weimarer Republik

Durch das Vakuum nach dem Ersten Weltkrieg, die Identitätskrisen und gesellschaftliche Dynamiken rückt schließlich der Einzelne ins Zentrum. So erfreut sich das Individuum in der Weimarer Republik besonderer Popularität und es etablieren sich zahlreiche Ratgeber für Sport und Körperkultur. Sie propagieren Ideale, befassen sich mit Kosmetiktipps und bringen durch die Japanmode der 20er sogar erste Yoga-Übungen nach Deutschland.

Metropolis. Fritz Lang, 1927

Durch Sport werden traditionelle Klassenmodelle und ihre Abgrenzungen zugunsten eines kameradschaftlichen Wir aufgehoben – 1926 versammeln sich über 4 Millionen Menschen in Sportvereinen. Mit den Leibesübungen soll ein neuer Typ Mensch geformt werden. Einerseits bildet diese Hinwendung zum “natürlich-reinen” Körper einen ersten Brückenschlag zur “Blut-und-Boden”-Ideologie der Nationalsozialisten, während andererseits damit die erkrankte Gesellschaft gestärkt werden soll.

Tanzende Hände in der Fabrik

Die unendlichen Reihen genormter Körper in gleichförmiger Bewegung in den Revuen und in den Illustrierten erinnern entfernt an die späteren streng gegliederten Militärparaden. Der zeitgenössische Soziologe Siegfried Kracauer lässt sich von dieser allgegenwärtigen seriellen Ästhetik zu der Aussage „Den Beinen der Tillergirls entsprechen die Hände in der Fabrik“ inspirieren.

Wege zu Kraft und Schönheit. Wilhelm Prager, Nicholas Kaufmann, 1925

Sachlichkeit und Funktionalismus werden zu Schlagwörtern dieser Epoche. Der aus Amerika importierte Fordismus des Autoherstellers aus Detroit wird zum Garant für die Herstellung großer Stückzahlen am Fließband, die Produktion wird vielerorts rationalisiert und in Folge erlebt die Wirtschaft eine Phase des Aufschwungs. Auch die Avantgarde und die Kreativen zeigten sich dem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Dieser Trend lässt sich beispielsweise auch am Signet der 1919 in Weimar gegründeten Bauhaus Universität ablesen. Ab 1925 verwendet die Schule das geometrische Profil als technisiertes Portrait ihres Programms. Fortan prägen Serienproduktion und auf Rationalität angepasste Entwürfe die Lehre.

Der Neue Mensch im Faschismus

Die Masse ist Potential und Übel zugleich: Steigende Obdachlosigkeit, inflationärer Gelddruck, rationalisierte Serienproduktion und virulenter Körperkult. Der Neue Mensch ist ein Konstrukt einer auf Rationalisierung und Ökonomisierung ausgerichteten Massen-Gesellschaft. Jene Entwicklungen tragen bereits erste faschistische Elemente in sich.

Wege zu Kraft und Schönheit. Wilhelm Prager, Nicholas Kaufmann, 1925

Februar 1933, Berlin. Der Reichstag wird aufgelöst und die Nationalsozialisten kommen an die Macht. Hitler wird für die kommenden 12 Jahre zum diktatorischen Reichskanzler. Die Politik nach 1933 befasst sich mit der Organisation des Lebens unter Berücksichtigung rassischer Motive. Der Kult um den sportlichen Körper und der “nationale Auftrag” lassen die Bevölkerung zur lebendigen Ressource für Industrie und Militär werden. Mit Hilfe des Neuen Menschen soll dem Regime nach der Machtergreifung ein Gesicht verliehen werden. Populär werden Bildhauer wie Arno Breker oder Josef Thorak, die Skulpturen tatkräftiger, muskulöser und “arischer” Menschen fertigen.

Monumental und militaristisch

Nun versinnbildlichen diese bronzenen, metallenen oder steinernen Typen Tapferkeit, werden heroisiert und dienen faschistischen Zielsetzungen. Ihre Körperhaltungen sind gespannt, stets stehen die männlichen Figuren stramm und erinnern in ihrer Nacktheit an antike Idealmenschen. Diesen militaristischen und monumentalen Darstellungen des unbekannten „Heroen“ weichen die expressiv gezeigten Massenaufstände in Langs Metropolis oder die tänzerisch-ekstatischen Bewegungen des 1926 uraufgeführten Sport- und Gymnastikfilms "Wege zu Kraft und Schönheit".

Wege zu Kraft und Schönheit. Wilhelm Prager, Nicholas Kaufmann, 1925

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