Hypnotische Tänze und hybride Wesen im Cyber-Weltall: Videokünstlerin Johanna Bruckner verwandelt den menschlichen Körper in digitale Materie.

In einer psychedelisch anmutenden Gleichzeitigkeit einer Mehrfachbelichtung strömen die Bilder vor sich hin: wabernde Texturen, nicht klar zu definierende Formen, Schemen, Lichtpunkte und Bilderrauschen, während auf der Tonspur ätherische Klänge zu hören sind. Ihrer Form nach deutlicher auszumachende Wesen werden dann sichtbar, mit fließenden, glatten, langen Gliedmaßen und einem Quallenartigen Kopf, die einen hypnotischen Tanz aufführen.

In etwa sieben Milliarden Jahren wird die Intensität der Sonneneinstrahlung so stark zugenommen haben, dass aus der Sonne ein Roter Riese wird, heißt es dann auf der Tonspur. „However, long before the Sun reaches that limit, hydrogen escape will have desiccated our planet.“ Die Folge: die gesamte Erde wird zu einer Wüste, auf der jegliche Flüssigkeit verdunstet und festes Material dahinschmilzt.

Inwie­fern interagieren Tech­no­lo­gien mit unse­ren Körpern?

„Atmospheric Drafts of Intimacy“ (2020) heißt die knapp 30-minütige Videoarbeit, die Johanna Bruckner im kommenden Double Feature präsentiert. In ihren multimedialen Installationen und Performances beschäftigte sich die Künstlerin in vergangenen Arbeiten, wie „Molecular Sex“ und „Polymorphic Sensibilities“, mit der Frage, inwiefern Technologien mit unseren Körpern interagieren und welche Widerständigkeiten sich daraus ergeben – wie sie unlängst im Gespräch mit Anna Bromley für deren Podcast Lautstrom erläuterte. Anknüpfend an Theorien der US-amerikanischen Physikerin und Philosophin Karen Barad und deren Bezug auf Niels Bohrs Grundlagenforschung der Quantenphysik, geht es Bruckner um eine kritische Auseinandersetzung mit der stets zunehmenden Verwertung unserer Körper durch neue Technologien – sei es im Rahmen von Big Data oder in Bezug auf medizinischen Auswertungen oder aber Manipulationen von Genmaterial und deren kapitalistische Ausbeutung.

Johanna Bruckner, Atmospheric Drafts of Intimacy, Video Still, 2020, Courtesy the artist

Johanna Bruckner, Molecular Sex (Video Still), 2020,
Courtesy the artist, Image via transmediale.de

In „Atmospheric Drafts of Intimacy“ tauchen immer wieder menschliche und transhumanoide oder auch digitale Körper auf, die sich in tanzhaften Bewegungen, körperlichen Verrenkungen oder Zitteranfällen scheinbar mit der Umgebung vereinen wollen, diese in sich aufnehmen und sich an sie weitergeben. Folgt man der Philosophin Karen Barad, ist die Materie selbst nämlich vor allen Dingen durch „queerness“ gekennzeichnet – nämlich, dass sie stets performt und sich reproduziert, die Grenzen zwischen dem Selbst und der Umgebung also aufzulösen oder viel eher zu überschreiten vermag. Demzufolge läge ja vielleicht genau hierin ein mögliches Widerstandspotential von Körpern als „queere Materie“: im ständigen Austausch und steter Auflösung mit der Umgebung begriffen, sind sie nicht absolut durchdring- und verwertbar.

In anderen Werken tauchen so bei Bruckner ähnliche Fragestellungen an anderen Körpern oder körperähnlichen Wesen immer wieder auf: Beispielsweise in der Auseinandersetzung mit Sex-Robotern in „Molecular Sex“. Oder aber in der performativen Beschäftigung mit dem Schlangenstern in „Quantum Brittle Star“, einem Verwandten der Seesterne, der bei Gefahr Gliedmaßen abwirft und diese problemlos regenerieren kann.

Johanna Bruckner, Atmospheric Drafts of Intimacy, Video Still, 2020, Courtesy the artist
Johanna Bruckner, Atmospheric Drafts of Intimacy, Video Still, 2020, Courtesy the artist
Johanna Bruckner, Atmospheric Drafts of Intimacy, Video Still, 2020, Courtesy the artist

Als weiteren Film hat sich Johanna Bruckner für Rhea Storrs Videoarbeit „Junkanoo Talk“ (2017) entschieden. Junkanoo ist eine Art Straßenkarneval, der hauptsächlich auf den Bahamas am Boxing Day (26. Dezember) sowie an Neujahr gefeiert wird. In Close-Ups fokussiert die Bahamasstämmige und britische Künstlerin in ihrem Film die festliche Kleidung der Junkanoo-Tänzer sowie deren Tanz. Storr umschließt die Arbeit mit einem Zitat von James Baldwin und einer Audio-Aufnahme des Tourismus-Ministers von Bahamas. Die einzelnen Aufnahmen schneidet sie repetitiv aneinander, wobei immer weitere Close-Ups hinten angehängt werden, ohne dass jemals eine einordnende Weitwinkelaufnahme zu sehen ist. Mit ihrer Arbeit thematisiert Rhea Storr so die Frage, wie sich Kulturen mit filmischen Mitteln überhaupt repräsentieren und darstellen lassen.

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