Ulay macht sich vor Publikum auf die Suche nach seiner Identität in seinem Unterbewusstsein. Ein Augenzeuginnenbericht der Performance von Ulay.

Ein kalter Abend in Frankfurt, der Tag nach der feierlichen Eröffnung der Ulay-Ausstellung. Eine lange Schlange bildet sich am Aufgang zum Veranstaltungsraum der SCHIRN. Trotz spärlicher Ankündigungen waren die Karten für den Abend schon längst ausverkauft, es hatte sich herumgesprochen, dass der Künstler eine neue Performance zeigen würde.

Viele sind in der Hoffnung auf Restplätze gekommen, nur die wenigsten mit Erfolg. Die Erwartungen waren vielleicht deshalb besonders hoch, da Ulay während seiner Eröffnungsrede angekündigt hatte, es sollte um nichts Geringeres als die Offenbarung seiner Identität gehen. Wer Ulays Werk kennt weiß, dass diese Suchen nach Identität sein zentrales künstlerisches Thema ist. Er werde sich für diese Performance hypnotisieren lassen und wisse nicht was dann passieren wird. Es gäbe weder Proben noch einen geplanten Ablauf. Mehr ist den Wartenden vor der SCHIRN noch nicht bekannt. Der Einlass verzögert sich. Was drinnen wohl vorgeht? Gehört das Warten zum Konzept?

Als das Publikum schließlich in kleinen Grüppchen den Raum betritt, ist bereits alles vorbereitet. Keine Bühne, sondern ein niedriges Podest steht im Raum, darum herum sind von allen vier Seiten Stühle aufgestellt. Der Raum ist abgedunkelt, die warme Lichtstimmung erinnert an Kerzenlicht. Ein Lichtspot fällt auf das Podest in der Raummitte, wo auf einem gediegenen, bereits in Rücklage befindlichen dunkelbraunen Polstersessel der Künstler entspannt liegt.

Neben Ulay sitz der Hypnotiseur (oder Hypnotherapeut, wie er sich selbst nennt) Nikolai Hanf-Dressler. Einige im Publikum berichten, dass er ein bekanntes Gesicht in der Hypnoseszene ist, mit gelegentlichen Auftritten im Fernsehen. Tatsächlich verbreiten seine Locken und das weiße Hemd, dessen obere Knöpfe offenstehen, ein wenig Las Vegas-Flair.  Die Zuschauer nehmen von vier Seiten um das Podest herum Platz. In der ersten Reihe sitzen Ulays Partnerin Lena und Matthias Ulrich, als Kurator Ausstellung auch Initiator des Abends.

Im Raum herrscht eine gespannte Stimmung. Ist eine Offenbarung zu erwarten? Vielleicht sogar ein kleiner Skandal? Die Spannung wird dadurch befeuert, dass zwei Mitarbeiterinnen von Hanf-Dressler beginnen, die potentiellen Risiken und Nebenwirkungen des Abends zu erläutern. Dauer und Verlauf der Performance seien nicht abzuschätzen, ein Verlassen des Raumes sei nach Beginn der Hypnose nicht mehr möglich. Wer sich unwohl fühle in dieser Umgebung, gar Bedenken hätte wegen der nicht abzuschätzenden Hypnosefolgen, solle bitte den Raum jetzt verlassen. Wer sich im Anschluss nicht vollständig wach fühle solle die beiden doch bitte ansprechen (Gelächter). Niemand verlässt den Saal, die Performance kann beginnen.

Dann übernimmt der Hypnotiseur die Moderation. Er ist, genau wie Ulay, mit einem Mikrofon ausgestattet. Jedes noch so leise Wort das er und Ulay wechseln, wird über Lautsprecher in den Saal übertragen. Der Hypnotiseur erklärt noch einmal genau was er vorhat: Es gehe darum, Ulays Identität zu ergründen. Das Konzept sehe nun also vor, dass er Ulay in einen Hypnosezustand versetzen werde und dann wiederholt danach fragen, wer er sei. Die Frage des Abends lautet also: „Wer bist Du?“

Was dann folgt, ist schwierig im Einzelnen nachzuerzählen, insgesamt dauerte die Performance fast zwei Stunden.

Zu Beginn leitete Hanf-Dressler die Hypnose ähnlich einer Entspannungsübung ein. Schwere in den Gliedmaßen, die Gedanken ziehen lassen, tief einsinken, die Kontrolle über den Körper abgeben. Diese Übungen vertrauen vorwiegend auf Suggestion und erfolgen in mehreren Schritten, von Hanf-Dressler als Treppenstufen verbildlicht, die Ulay hinauf und hinuntersteigen sollte. Immer wieder zählt der Hypnotiseur kurze Countdowns, an deren Ende die Entspannung noch tiefer werden soll. Als Ulay die gewünschte Tiefe der Entspannung erreicht hat, klingen seine Worte ein wenig wie die eines Schlafenden. Manches Wort kommt Ulay so leise und lallend über die Lippen, dass der Hypnotiseur nachfragen muss.

Zuerst verortet Hanf-Dressler Ulay gedanklich in einem Raum, in dem vor ihm die Zukunft und hinter ihm die Vergangenheit liegt. Er bittet ihn, sich rückwärts zu wenden, also der Vergangenheit zu. In mehreren Anläufen werden Kindheitserinnerungen des Künstlers geweckt. Die Fragen des Hypnotiseurs folgen dabei immer einem ähnlichen Muster. Nach einem Zahlencountdown soll Ulay beschreiben, an welchen Ort in der Vergangenheit ihn sein Unterbewusstsein geführt hat. In den meisten dieser Szenen ist Ulay ein trauriger kleiner Junge namens Uwe (der echte Name des Künstlers), der Vater ist krank, Uwe muss durch die Dunkelheit laufen und Hilfe holen, er hat Angst. Wenn fröhlichere Erinnerungen auftauchen, bricht der Hypnotiseur ab. Immer wieder fällt die Frage „Wer bist Du?“ Die Antwort lautet vorerst lediglich und wiederholt: „Uwe“.

Im nächsten Anlauf soll sich Ulay in Richtung Zukunft wenden. Hanf-Dressler beschwört unterschiedliche Spiegelszenarien herauf, mit welchen er offenbar hofft, auf einer gedanklich-visuellen Ebene der Identitätsfrage näher zu kommen. Der Hypnotiseur probiert mehrere Szenarien aus, Ulay soll sich etwa gespiegelt sehen in einer Person die er liebe; er stellt sich seine Frau Lena vor. Er soll versuchen sich selbst aus ihren Augen zu betrachten. Vielleicht ist das der Schlüssel zu seiner Identität? Doch auch dieser Versuch schlägt fehl, auch wenn es ein rührender Moment ist.  

Hanf-Dressler führt Ulay nun weg von den Erinnerungen und Bildern und versucht, ihn dazu zu bewegen, eine Ebene „zwischen den Gedanken“ aufzusuchen, dazu wird er noch einmal auf eine tiefere Stufe der Hypnose geführt. Auf dieser Stufe kommt Ulay endlich zu einer Erkenntnis. Seine Versuche, die Antwort in Worte zu fassen, scheitern aber vorerst, sodass Hanf-Dressler mehrfach seine Frage wiederholt „Wer bist Du?“ Ulay sagt, er sei ein Gefühl und versucht eben dieses Gefühl zu beschreiben. Schlussendlich findet er das Bild des Moments zwischen Ausatmen und Einatmen, mit dem er sein Gefühl und damit seine Identität am besten beschrieben sieht. Damit ist der öffentliche Teil der Performance zu Ende.

Zeit für das Publikum also, zu gehen und Resümee zu ziehen. Während einige BesucherInnen den Raum sichtlich berührt verlassen, offenbar der Überzeugung, dass sie eben etwas ganz Besonderem beigewohnt haben, wirken andere eher verstört bis ratlos. Manche bezeichnen den Abend als zum Gähnen langweilig, andere sind so angeregt, dass sie aus dem Reden überhaupt nicht herauskommen. Einige wenige sind sichtlich endtäuscht, da sie wenig gesehen oder verstanden haben oder gar der Meinung sind, die Hypnose sei doch nur gespielt, überhaupt nicht echt gewesen.

Die Frage, ob man hier überhaupt von einer Performance sprechen kann, kommt mehrfach auf. Der Künstler habe ja eigentlich nichts gemacht, höchsten reagiert. Wie sich Hypnose wohl anfühle und wie ausgeliefert und/oder selbstbestimmt der Hypnotisierte sei ist eine Frage, die besonders viele interessiert. Andere diskutieren, ob die Frage nach der Identität denn nun wirklich geklärt sei, oder ob es nicht eigentlich darum gegangen wäre zu zeigen, dass es Fragen gibt, auf die es keine Antwort geben kann. Eine abschließende Bewertung fällt damit erst einmal aus. Wenn aber Kunst solcherlei heterogene Meinungen hervorbringt und mehr Fragen aufwirft als beantwortet, ist das wahrscheinlich ein gutes Zeichen.