Er hatte seine Freude an antibürgerlichen Attitüden, leider aber auch am Alkohol: Henri de Touolouse-Lautrec hält sich mit seinen bunten Lithographien nicht an Konventionen und erlangt schnell zweifelhaften Ruhm. Doch der Absinth setzt seinem Leben frühzeitig ein Ende.

Am 24. November 1864 kommt Henri Marie Raymond de Toulouse-Lautrec-Monfa im südfranzösischen Albi zur Welt. Seine Eltern sind der Graf Alphonse Charles Jean Marie und dessen Cousine, die Comtesse Adèle Zoé Marie Marquette. Vermutlich aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Nähe kommt es beim Sohn zu einer Zermürbung von Knochengewebe, die dazu führt, dass zwei Oberschenkelfrakturen nicht richtig verheilen und er bereits als Vierzehnjähriger körperlich behindert ist. Wegen seines gnomenhaften Aussehens wurde er später oft zur Zielscheibe des Spotts. Als er einmal seinen Bleistift liegen ließ, so berichtet der Kunsthändler Wilhelm Uhde, soll ihm jemand hinterhergerufen haben: „Mein Herr, sie haben Ihren Spazierstock vergessen!"

1882 wird er Schüler des gefeierten Salonmalers Leon Bonnat und schließlich des Historienmalers Fernand Common. Seine Mitschüler dort sind Émile Bernard, Louis Anquetin und Vincent van Gogh, mit denen er sich rasch anfreundet. Toulouse-Lautrec, der Chronist der Belle Époque, lebt am Montmartre und verbringt dort viel Zeit in Cafés und Cabarets. 1886 hat er eine komplizierte Beziehung mit der temperamentvollen Künstlerin Suzanne Valadon, ein Jahr später beginnt er auszustellen. Seine Talente bringt Theo van Rysselberghe, Maler und einer der Initiatoren der Gruppe "Les Vingts", in einem Brief aus dem Jahre 1887 auf den Punkt: „Der kleine kurzbeinige Kerl ist durchaus nicht schlecht; der Bursche hat Talent! (...) hat nie ausgestellt. Macht im Augenblick sehr amüsante Sachen: Zirkus Fernando, Huren und all das. Kennt eine Menge Leute."

Mit ungeschöntem, klinischem Blick zeigt er die ehemalige Startänzerin mit dem pseudo-japanischem Namen Ch-U-Ka-O, der sich von der ursprünglichen Bezeichnung des Cancan („caquehan", Tumult) herleitet. Etwas spöttisch blickt uns die Frau mit ihren hochgetürmten weißen Haaren an, die Beine weitgespreizt mit den Händen am Ursprung der Welt. Sicher, Tänzer entspannen bisweilen auf diese Weise ihre Muskeln, aber ein solche Darstellung, damals, und dann entschwindet auch noch im Hintergrund ein Mann mit einer Maskierten ... Toulouse-Lautrec liebte die Provokation, in seiner Kunst und im Leben. Er ist ein wahrer Bohémien und lässt -- vielleicht weil er aus dem Hochadel stammte -- bürgerliche Normen und Konventionen für sich nicht gelten. Er ist ein Solitär, der viele Freunde hatte und einen engen Kontakt mit seiner Familie pflegte, der gegenüber er allerdings den Schein wahrte.

1889, pünktlich zur dritten Weltausstellung, eröffnet ein Tanzpalast an der Place Blanche, der zu einer zweiten Heimat für den Künstler werden sollte. Er erhält den Auftrag für ein Plakat, das den herbstlichen Saisonbeginn von 1891 einläuten sollte und löst eine Werbegraphische Revolution aus. Es beginnt eine „Affichomanie", eine Plakatwut und Toulouse-Lautrec ist einer der führenden Künstler. Die Lithographie entdeckte Toulouse-Lautrec spät für sich, mit 26 Jahren, als seine Zeichenkunst bereits voll entwickelt war. Und er wurde darin einer der ganz Großen der Kunstgeschichte. In weniger als zehn Jahren, von 1891 bis zu seinem Tod, schuf er 351 Lithographien, davon 28 Plakate.

„Moulin Rouge -- La Goulue" ist Toulouse-Lautrecs erstes Plakat sowie seine erste druckgraphische Arbeit und erfreut sich bis heute großer Popularität. Der kleine Graf möchte alles anders machen: Das Format ist sehr groß, die Farben leuchten. Er vereinfacht, reduziert, fragmentiert und schockiert. Statt einer plastischen Ausarbeitung gestaltet Toulouse-Lautrec mit großen, klar voneinander abgetrennten Flächen, die in japanischen Holzschnitten ihr Vorbild haben.

Er kann es sich leisten, in Luxusbordellen zu leben

Die abgebildete graue Gestalt ist Etienne Renaudin, genannt Valentin le Désossé (1843-1907), was soviel heißt wie „der Entbeinte". Die Tänzerin, die der schwarzen Kulisse der eleganten Zuschauer tiefe Einblicke zu bieten scheint, ist Louise Weber (1870-1929), die man La Goulue nannte. Sie war dafür bekannt den Gästen die Champagnerflöten lehrzutrinken und dem Essen ein wenig zu sehr zugeneigt zu sein. Fünf Jahre lang war sie der Star im Moulin Rouge und dennoch endete ihr Leben in bitterster Armut, wie das so vieler Tänzerinnen.

Zwar erhält Toulouse-Lautrec wohlwollende Besprechungen in der Presse, und er ist über Nacht zur Berühmtheit geworden, doch die Preise für seine Lithographien bewegen sich an der untersten Grenze. Wohl auch deswegen weil der Einsatz von Farbe in der Lithographie damals irritierte. Doch das braucht ihn nicht zu kümmern. Er kann es sich leisten, eine Zeit lang in den Maisons Closes der Rue d'Amboise, der Rue Joubert und der Rue des Moulins zu wohnen. Es sind Luxusbordelle, die Welten von den Etablissements am Montmartre trennen.

Als sei es das Natürlichste von der Welt, zeigt uns Toulouse-Lautrec zwei Prostituierte. Von Vulgarität oder Voyeurismus keine Spur, die Akte von Tizian oder Rubens scheinen da expliziter. Müde sind die beiden alabasterfarbenen Schönen: Die Blonde mit roten Lippen und ihrem locker herunterhängendem Negligé; und die Nackte, mit ihren aufregenden roten Haaren auf der grünen Bettstatt. Er, der 152 Zentimeter hohe Aristokrat und sie, die gefallenen Mädchen, sind gesellschaftliche Außenseiter. Sie verstehen sich. Es sind Frauen bei der Arbeit, die sich ausruhen bis der nächste Kunde kommt.

Toulouse-Lautrec hatte seine Freude an antibürgerlichen Attitüden, leider aber auch am Alkohol. Ab 1896 lässt seine schöpferische wie auch körperliche Kraft nach. Nach einem Anfall von Delirium Tremens (übrigens eine häufige Nebenwirkung regelmäßigen Absinthtrinkens) wird er 1899 für einige Monate in eine private Nervenheilanstalt in Neuilly interniert. Am 15. Juli 1901 schließt der Sechsunddreißigjährige zum letzten Mal die Türen seines Ateliers am Montmartre. In Arcachon und Taussat will er sich erholen, erleidet aber einen Schlaganfall. An dessen Folgen wird er als letzter Nachfahre seiner Familie am 9. September, bei seiner Mutter auf Schloss Malromé, sterben.