Kunst oder Konsum? Die bunt bedruckten Regenmäntel des Frankfurter Künstlers Thomas Bayrle in der Ausstellung 'German Pop' balancieren bis heute auf einem schmalen Grat.

Mitte der 1960er-Jahre: Raumfahrt, Studentenbewegung, Feminismus, sexuelle Befreiung. Die Beach Boys regieren die amerikanischen Charts. In Deutschland sind es die Beatles und die Rolling Stones, angebetet von der noch relativ neuen, wahnsinnig westlichen Spezies der Teenager, vor allem der weiblichen. Auch die Mode, die die Fans der neuen Pop-Musik tragen, wird zu dieser Zeit revolutioniert. Knallige Farben, Materialien wie Plastik -- Inbegriff der kapitalistischen Wegwerfgesellschaft -- und natürlich Miniröcke und Minikleider sieht man überall.

Bayrles Mäntel sind immer Mäntel, niemals Gemälde

Die Kunst dieser Zeit kehrt zurück zum Figürlichen und thematisiert den Alltag -- direkt, in all seiner Banalität und in Farbe. Motiv für Kunstwerke wird das, was man so oft im Supermarkt oder im Fernsehen sieht, dass man es gar nicht mehr richtig wahrnimmt: Schreibmaschinen, Autos, Frauen, Eiscreme, Polizeifotos. Übergeordnetes Sujet ist mehr oder weniger direkt der Konsum. Konsum von Lebensmitteln wie von Frauen, Nachrichten oder Kunst. Nicht ohne Grund nutzt die Pop Art Motive, Strategien und Techniken der Werbung und der Massenproduktion.

1968 lässt der Künstler Thomas Bayrle vom Frankfurter Modeatelier Lukowsky & Ohanian Modelle für transparente Regenmäntel aus Plastik entwerfen, auf die er wie auf Tapeten Endlosraster von Kühen, Schuhen und Tassen in knalligen Farben drucken lässt. Anders als das Warholsche "Souper Dress", ein Papiermodell bedruckt mit Campbell's Soup-Dosen, nutzt Bayrle hier nicht nur Konsumgüter als Motive für Kunstwerke, sondern produzierte die Werke als Ware. Doch um was für eine Art von Kunst handelt es sich, wenn man sie in den Schrank anstatt an die Wand hängt und man sie dadurch präsentiert, dass man sich in ihr kleidet? Jasper Johns' berühmte Gemälde von Zielscheiben stellen eine ähnliche Problematik dar, denn sie sind gleichzeitig Motiv -- Gemälde von Zielscheiben -- und Objekt -- eben Zielscheiben. Ohne weiteres könnte man diese Bilder als Zielscheiben benutzen, praktisch würde man das aber nie tun -- schon gar nicht im Museum. Bayrles Mäntel aber sind immer Mäntel, niemals Gemälde oder Nachbildungen solcher, und sie sollen durchaus getragen werden; trotzdem hängen einige in Museen.

Werden Kaufhäuser tatsächlich zu Museen?

Der Künstler lässt die Grenze zwischen Kunst, Mode und Konsum weiter verschwimmen, indem er den Mantel nicht nur über Galerien, sondern auch über den kapitalistischen Konsumpalast Kaufhof für nur 45 DM pro Stück vertreibt. Was unterscheidet also diesen Mantel, der kein handwerklich gefertigtes Unikat ist auch wenn er die Signatur des Künstlers trägt, von den anderen maschinell gefertigten Mänteln im Kaufhaus, die jeweils die Signatur beziehungsweise das Markenzeichen einer Firma oder eines Designers tragen? In puncto Tragekomfort wahrscheinlich nichts -- außer, dass man unter die anderen Mäntel einen warmen Pullover anzieht, während die Modelle für Bayrles Pop-Mantel nichts darunter tragen.

Aber die Fragen, die man sich stellt, sind andere. Während man sich nach einem erfolgreichen Shoppingtrip fragt, ob man das wirklich alles gebraucht hätte, ob man Schnäppchen gemacht hat oder ob die Sachen fair produziert wurden, stellt man beim Kauf eines Bayrle-Mantels etablierte Praktiken des Kunstmarkts und der Ausstellungspraxis in Frage. Dabei geht es nicht nur darum, ob es Kunst ist, wenn Bayrle Plastik mit bunten Motiven bedrucken und daraus Mäntel fertigen lässt, sondern auch darum, wo Kunst verkauft und konsumiert wird. Ist also ein Bayrle-Mantel, der in einem Museum hängt oder in einer Galerie verkauft wird, eher Kunstwerk, und einer, der bei Kaufhof angeboten wird, eher Konsumgut? In wieweit formen Institutionen wie Museen unser Verständnis von Kunst? Es irritiert uns nicht mehr, wenn in einem Ausstellungshaus Regenmäntel präsentiert werden, die man wie die anderen Kunstwerke aus der Distanz betrachtet, doch niemals anfasst oder gar versucht anzuprobieren. Werden Kaufhäuser tatsächlich zu Museen und Museen zu Kaufhäusern, wie es Andy Warhol in den 1960ern vorhersagte?