Die deutschen Graffiti-Pioniere Loomit und Peter Michalski berichteten in der SCHIRN von ihren Reisen nach Brasilien auf den Spuren des Graffiti.

Detektivisch gingen die beiden vor, als sie Anfang der 90er-Jahre die Welt bereisten, um das Graffiti anderer Länder zu entdecken und ihre eigenen Bilder zu streuen. Die Informationen zu dieser Zeit vor dem Internet waren rar und „man musste einfach losfahren, um zu sehen, was woanders passiert“. Sie hatten nur ein Foto eines Graffitis aus São Paulo in einem Hip-Hop Magazin gesehen, bevor sie 1999 nach Brasilien reisten, um dort von der blühenden Graffitikultur überwältigt zu werden. Nicht nur fasziniert von der poetischen Bildsprache der Grafiteiros São Paulos, sondern gleichwohl irritiert von der breiten Akzeptanz der farbenprächtigen Bilder unter der Bevölkerung, malte Loomit damals mit den Künstlern Speto, Herbert Baglione, Tinho und Os Gêmeos großformatige Bilder – und das mitten in der Stadt und am hellichten Tag: „Das ist Brasilien, alles ist möglich.“

„Loomit malt genauso viel illegal, wie ich legal – nämlich fast gar nicht“, so startet Peter Michalski seine Erzählungen über Pixação, der brasilianischen Form des Tagging. „Nach der fotorealistischen Phase des Graffiti und der Vielzahl der in alle Richtungen gedrehten Buchstaben im „Style Writing“, das wir in Europa, Amerika, Australien, Neuseeland sahen, dachten wir 1999, das Graffiti wäre an seinem Ende angelangt.“

Brasilien hingegen eröffnete einerseits mit den farbenprächtigen Murals der Grafiteiros und anderseits mit der schwarzen Runenschrift der Pixadores vollkommen neue Perspektiven. Der Begriff „piche“ kommt von Teer und ist das Material, mit dem die meist aus den Favelas stammenden Jugendlichen nicht nur die Dächer ihrer Häuser reparieren, sondern ihre Gangnamen und Pseudonyme auf die Fassaden der brasilianischen Megastädte anbringen. Und das in Höhen, die klar machen „dass man hier für das Graffiti sein Leben riskiert."

Die Pixadores sind nachts unterwegs, planen ihre „Letterattacken“ in Treffen. Im Gegensatz zum farbenfrohen Graffiti sind sie unter den Bürgern verpönt und werden politisch verfolgt, doch scheinen die aus den Brennpunkten der Stadt kommenden Jugendlichen nicht viel zu verlieren zu haben. Der Gegensatz in der Wahrnehmung beider urbaner Interventionen wird insbesondere dann deutlich, wenn die Stadtverwaltung Pixação entfernt, das auf ein Mural der Gaffiteiros aufgebracht ist und damit die ungestörte Sichtbarkeit auf das Graffiti wiederherstellt.

Doch vielmehr als diese politische Dimension interessiert Michalski die Typographie des Pixação. Die mit der jeweiligen Architektur korrespondierenden Buchstaben bestehen aus dünn aufgetragenen, vertikal ausgerichteten Linien. Die daraus entstehenden Wörter hingegen betonen die Horizontale. Die Variation der äußert abstrahierten und reduzierten Buchstaben grenzt die jeweilige Crew auch im Schriftbild von der anderen ab.

In ihrem von unzähligen Anekdoten gespickten Vortrag, der die liebevolle Detailtreue, die poetischen Figuren und die Lebensfreude und Gastfreundlichkeit der brasilianischen Szene genauso berührte wie ihre politische Dimension, die tiefgreifenden Probleme des Landes, schwelgen Loomit und Peter Michalski in Erinnerungen. In ihrer formalen und inhaltlichen Konsequenz nahmen und nehmen die brasilianischen Grafiteiros noch heute enormen Einfluss auf die globale Graffiti-Szene.