Abseits von 68er-Pathos und Aufbruchsstimmung bleiben Rolf Dieter Brinkmann und Jörg Fauser Randgestalten des Literaturbetriebs. Der eine benutzt Pop als Waffe gegen das literarische Establishment, der andere sieht sich vor allem als Geschäftsmann.

„Wenn ich ein Maschinengewehr hätte, würde ich Sie jetzt erschießen," soll der Autor Rolf Dieter Brinkmann 1968 bei einer Podiumsdiskussion zum Kritiker Marcel Reich-Ranicki gesagt haben. Und das, obwohl Reich-Ranicki für den jungen Literaten nur lobende Worte hatte. Aber Brinkmann war nicht der erste, der in diesem Jahr gegen die Vätergeneration rebellierte, und er war auch nicht der einzige, der gegen die Oligarchie der älteren Herren -- es sind fast nur Männer -- der Nachkriegsliteratur aufbegehrte. Denn in der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit war wenig Platz für Autoren jenseits der Gruppe 47: Heinrich Böll und Günter Grass und der sich stets im Dunstkreis der Literatengruppe bewegende Kritiker Marcel Reich-Ranicki traten als Türhüter der Hochliteratur auf. Um dieser literarischen Oligarchie entgegenzutreten, importierten junge Autoren Pop aus Nordamerika, oder genauer: Sie übersetzten, adaptierten und transformierten Dialoge aus Filmen, aus den Kriminalromanen von Raymond Chandler, Dashiell Hammett oder aus Songtexten.

The Doors statt Martin Walser

1968 veröffentlichte Rolf Dieter Brinkmann seinen programmatischen Text "Angriff aufs Monopol. Ich hasse alte Dichter". The Doors statt Martin Walser, Pop statt ichbezogener Prosa, so lauten seine Maßgaben, und damit antwortet er auf einen Aufsatz des amerikanischen Kulturkritikers Leslie Fiedler, der die Einebnung der Hierarchie von Hoch- und Popkultur forderte. Gerade dagegen wandte sich Martin Walser mit einer heute schal scheinenden Kritik am amerikanischen Kulturimperialismus -- und Brinkmann spottet: "Die Toten bewundern die Toten." Die Toten, das sind die Autoren, die zur 1947 gegründeten Gruppe 47 gehören, und das Lebendige ist Pop.

Zusammen mit Ralf-Rainer Rygulla veröffentlicht Brinkmann 1969 "Acid. Neue Amerikanische Szene". Der Pop-Reader ist für das konservative Romanpublikum eine ästhetische Zumutung. Reproduktionen von Underground-Comics lösen sich ab mit übersetzter Beat-Lyrik, Songtexten, Essays, Cut-Up Prosa von William Burroughs, Collagen aus Pornomagazinen. Kurz: Alles, was in den 1960ern in die Pop-Ecke verbannt wird, findet hier seinen Platz. Brinkmann glaubt, in Pop eine wirksame Waffe gegen das literarische Establishment gefunden zu haben.

Ein anderer selbstgewählter Außenseiter ist Jörg Fauser. Aber Fauser ist gar nicht so sehr darum besorgt, wie er sich zum Literaturbetrieb verhalten soll. "Writing is my business", und dass er vor allem Geschäftsmann sei, sagte Fauser in einer Fernsehsendung in den 1980ern. Da ist er schon ernüchtert vom bundesdeutschen Literaturbetrieb, der nicht auf ihn gewartet hat, als er im Dezember 1968 aus Istanbul in Frankfurt am Main gelandet ist. Damit ähnelt er dem Protagonisten seines Romans "Rohstoff". Angelehnt an William S. Burroughs Bekenntnis- und Kolportageroman "Junky" beschreibt Fauser den unaufhaltsamen Abstieg des jungen Autors Harry Gelb. Gelb blickt als Randgestalt auf die besetzten Häuser im Frankfurter Westend und beschreibt in einem tableau vivant die Proteststudenten, die maoistischen Zellen, die Revolutionäre aus der Provinz, die Thekenanarchisten und die, die aus der gescheiterten Revolution ein lukratives Geschäft gemacht haben.

In die falsche Richtung geschaut

Wie Brinkmann hat er von den amerikanischen Beat-Autoren gelernt, und statt in Hollywood oder Tanger spielen Fausers Romane am Stehausschank und im Frankfurter Bahnhofsviertel vor dem Hintergrund der grauen Bundesrepublik. In den Formexperimenten der Amerikaner sucht Fausers Held nach dem Material für eine neue Literatur, scheitert mit Veröffentlichungen in linken Kleinverlagen und hat schließlich eine Erkenntnis. Der Protagonist befindet, er müsse vor allem Geschichten erzählen, und die Geschichten findet er in unmittelbarer Nähe, in den Kneipen und Wohngemeinschaften Frankfurts. Dafür steht wieder die amerikanische Literatur Pate, diesmal collagiert Fauser noch die gebrochenen Männerfiguren amerikanischer Detektivromane dazu und den Sound von Chandler-Übersetzungen. Gegen Ende des Romans, wenn der Erzähler den Frankfurter Hauptbahnhof beschreibt, hat er seine Stimme gefunden:

"Auf dem Bahnsteig atmete ich tief durch, ich kannte keinen Geruch, der mir mehr bedeutete als der der Stadt. Ich hatte Hunger und schlang eine Rindswurst herunter. Sie roch auch gut. Langsam schlenderte ich durch die Halle, ich sog die Geräusche in mich ein, ich sammelte die Schnappschüsse."

In den 1980ern konnte Fauser schließlich vom Schreiben leben, und sein Roman "Der Schneemann" wurde mit Marius Müller-Westernhagen in der Hauptrolle verfilmt. Fauser wird 1987 nachts auf der Autobahn bei München überfahren. Rolf Dieter Brinkmann wird 1975 in London überfahren, weil er beim Überqueren der Straße in die falsche Richtung geschaut hat.