Cliff Sterrett zeichnete das Leben der Familie Perkins über 40 Jahre lang und wurde mit seiner moder­nis­tisch-avant­gar­dis­ti­schen Malweise zum Vorbild für spätere Generation von Comic-Zeichnern.

Cliff Sterretts Humor war konventionell, seine Plots lesen sich in etwa so: Zwei Angelhaken verfangen sich und ein Angler zieht den anderen erst ins, dann aus dem Wasser. Auch seine Malweise bewegte sich durchaus im Rahmen des Bekannten – bis 1926/27 seine Kreativität förmlich explodierte.

Sterretts Hauptwerk "Polly and Her Pals" erschien über 40 Jahre lang, von 1912 bis 1958.  Eine Art Familien-Sitcom über die Mittelklasse-Familie Perkins. Die Protagonisten Sam, genannt Paw, und seine Frau Susie (Maw), ihre Tochter Polly, die Katze Kitty, der Neffe Ashur, sowie ein japanischer Hausangestellter hadern mit Problemen des Alltags und zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen – vor allem mit den wechselnden Verehrern Pollys. Mit der Figur Polly bewegte sich Sterrett inhaltlich außerhalb der Konventionen der 1910er-Jahre: eine selbstbewusste junge Frau mit Bob-Frisur sollte erst in "Roaring Twenties" ein populärer  Frauentypus werden.

Designschule in New York

Von Autor und Zeichner Cliff Sterrett sind nur die Eckdaten seines Lebens überliefert. Er wurde 1883 in einer Kleinstadt in Minnesota geboren. Seine Mutter starb als er sieben war, Cliff wuchs fortan hauptsächlich bei seinen Großeltern auf. Dies könnte erklären, warum die Eltern in der Comic-Familie Perkins durch ihre Statur und Kleidung eher wie die Großeltern von Polly wirken. Mit 18 ging Sterrett auf eine Designschule nach New York und erhielt zwei Jahre später einen Illustratorenjob beim "New York Herald". Hier zeichnete er zunächst Schmuckränder, Zierleisten und Überschriften. In New York lernte er auch seine Frau kennen, die er 1906 heiratete. Ein Jahr später kam ihr einziges Kind, Sohn Paul, zur Welt.

Cliff Sterret, Selbstporträt im Kreise seiner Figuren

Zwischen 1908 und 1911 arbeitete Sterrett bei verschiedenen Zeitungen, bis er zum "New York Evening Telegram" kam. Hier durfte er sich erstmals als Comic-Künstler betätigen und kreierte gleich vier Strips, die gleichzeitig liefen. Alle handelten von Familienproblemen oder Frischvermählten. Bereits ein Jahr später warb William Randolph Hearst, Verleger und Medien-Tycoon, Sterrett ab. Er landete bei Hearsts "National News Syndicate" und konzentrierte sich nun voll auf seinen Strip "Positive Polly", welcher bald in "Polly and Her Pals" umbenannt wurde.

40 Jahre Familie Perkins

Sterretts daily strip startete am 4. Dezember 1912. Gut ein Jahr später war die Serie so populär, dass zusätzlich eine Sonntagsseite erschien. „Polly and Her Pals“ war allerdings zu keiner Zeit der Top-Seller unter den Comics, es gab keine Merchandising-Produkte wie Musicals oder Puppen, und trotzdem hatten die Figuren ihre treuen Fans – sonst wären die Geschichten um Familie Perkins auch nicht 40 Jahre durchgehend gedruckt worden.

Über die Jahrzehnte änderte sich der Zeichenstil von Sterrett. Die Zeit von 1926/27 bis in die Mitte der 1930er-Jahre ist die bekannteste, seine modernistisch-avantgardistische Phase.

Cliff Sterrett, Polly and Her Pals, Detail, 13. November 1927, Privatsammlung
Cliff Sterret, Polly and her Pals, Sonntagsseite 31. Juli 1927, Privatsammlung

Betrachten wir ein paar Sonntagszeiten aus diesen Jahren: Während Paw nicht weiß wie ihm geschieht und vor seinen Augen die Proportionen verrücktspielen, werden die Blumen in der Vase auch ohne den Blick durch die falschen Brillengläser bereits abstrahiert als ein Konglomerat von Bällen dargestellt. Der Steg, auf welchem die Angler sitzen hat fast amorphe Formen und jedes Element ist von einem anderen Muster überzogen. Ein weiteres Beispiel ist die geometrische Darstellung eines Fensters, durch welches der Mond scheint: die häufige, erzählerisch unbegründete Wiederholung lässt vermuten, dass Sterrett Freude daran hatte, kreuzende Linien vor Kreisen zu zeichnen. Aber wie kam es zu der Stil-Änderung? Woraus schöpfte er seine Ideen?

Cocktail-Party im Sommerhaus

Sterrett gab kaum Interviews und wir wissen wenig über sein "Innenleben", seine künstlerischen Quellen, Vorbilder oder Ambitionen. Deswegen lassen sich über äußere Umstände nur Indizienketten zu seinen Einflüssen bilden. Sterrett konnte sich durch seine Comics einen angenehmen Lebensstil leisten. Ab Mitte der 1920er-Jahre verbrachte die Familie ihre Sommermonate in dem kleinen Küstenort Ogunquit in Maine (die Winter verbrachten sie weiterhin in New York). Der Küstenort wurde zu einem Magnet für die Kunstszene und Cliff Sterrett hielt regelmäßig nachmittägliche Cocktail-Partys in seinem Haus ab. Auch der Kurator Walt Kuhn hielt sich in Ogunquit auf, er war der Hauptorganisator der legendären Kunstmesse "Armory Show" (1913), die in den USA erstmals die europäische Avantgarde zeigte.

Cliff Sterrett, Polly and her Pals, 26. September 1926, Tusche und Gouache auf Papier, Sammlung Glen Bray

Sterrett mochte sich über diese Kontakte mit Kunststilen wie dem Expressionismus, der Abstraktion oder dem Bauhaus auseinandergesetzt haben. Außerdem war der japanische Farbholzschnitt des 19. Jahrhunderts zu dieser Zeit en vogue. Charakteristisch für diesen sind u.a. die Verwendung von zahlreichen Mustern und eine exaltierte Körpersprache – erinnert uns dies nicht an Paws verrenkten Körper in einem karierten Anzug beim Angeln?

Um seine  Arbeitsbelastung zu minimieren, ließ Sterrett den Tagesstreifen ab den späten 1930er-Jahren von Assistenten zeichnen, er selbst kümmerte sich nur noch um die Sonntagsseiten, trotz Arthritis bis zum letzten "Sunday strip" am 15. Juni 1958. 1964 verstarb Cliff Sterrett, sein Stil hatte starken Einfluss auf viele spätere Zeichnergenerationen.

Cliff Sterrett, Polly and her Pals, 31. Juli 1927, Privatsammlung