Richard Hamilton, dessen Werke in der GLAM!-Ausstellung eine zentrale Rolle einnehmen, war vielen jungen Künstler der 1970er-Jahre ein wichtiger Wegbereiter – vor allem für Bryan Ferry, den Gründer von Roxy Music.

Vielen gilt er als Erfinder der (britischen) Pop Art. Sein berühmtestes Werk, die Collage „Just what is it that makes today's homes so different, so appealing?" von 1956, zeigt einen muskulösen Mann und eine entblößte Frau in einer skurrilen Wohnzimmerlandschaft. Dem Mann wurde ein roter Lolli mit der Aufschrift „Pop" in die Hand collagiert. Das gerade einmal 26 auf 24 Zentimeter messende Bild, das heute in der Kunsthalle Tübingen hängt, wird häufig als erstes Pop-Kunstwerk überhaupt klassifiziert. Richard Hamilton hat sich gegen diese Deutung immer gewehrt. Er selbst sah seine Wurzeln vielmehr im Dadaismus und Surrealismus, verehrte vor allem Marcel Duchamp. Und während die meisten Pop-Künstler die Oberfläche affirmativ vergötterten, blieb Hamilton stets ein kritischer Geist.

Trotzdem: Das Spiel mit der Populärkultur und dem Glamourösen prägte Hamiltons Kunst bis zu seinem Tod im September 2011. Legendär ist zum Beispiel das Cover, das er für das „White Album" der Beatles entwarf -- weil es mit allen Erwartungen, die an eine erfolgreiche Covergestaltung gesetzt wurden, brach und trotzdem ein riesiger Erfolg wurde. Hamilton legte ein rein weißes Klappcover vor, auf die Vorderseite ließ er den Schriftzug „The Beatles" einstanzen. Radikaler und reduzierter kann Grafikdesign kaum sein.

Oder das Werk „Swingeing London 67 (f)", das Malerei und Siebdruck kombiniert: Wir sehen zwei mit einer Handschelle aneinander gefesselte Männer auf einer Autorückbank, die versuchen, mit ihren Händen ihr Gesicht zu verbergen. Das Bild zeigt die Verhaftung von Mick Jagger und Robert Fraser wegen Besitzes illegaler Drogen. Bekannte Zeitgenossen waren beide: Jagger als Frontmann der Rolling Stones, Fraser als aufstrebender Galerist (der auch Richard Hamilton vertrat). Mit seiner Bilderserie zu der Verhaftung von Jagger und Fraser verdeutlichte Hamilton die Mechanismen der journalistischen Fotografie. Die dynamischen Fotografenbilder machten aus der Tat einen Skandal, überhöhten die Verhafteten dabei aber trotzdem zu Pop-Ikonen. Fraser und Jagger waren in diesen Bildern gleichzeitig Stars und Kriminelle.

„Bryan Ferry ist mein größtes Werk"

Für viele junge Künstler war Hamilton ein Vorbild. Mitte der 1960er-Jahre unterrichte der Künstler, der das Image des Dandys konsequent pflegte, weiße Anzüge trug und Zigarre rauchte, an der Universität in Newcastle. Unter seinen Studenten waren einige, die schon bald Karriere machten: etwa seine spätere Frau Rita Donagh oder der Maler Marc Lancaster, der auch in einigen Andy Warhol-Filmen agierte und als Bühnenbildner für Merce Cunningham für Furore sorgte.

Der berühmteste Student von Richard Hamilton aber war Bryan Ferry. Ferry gründete, nachdem er Newcastle den Rücken gekehrt hatte und nach London übergesiedelt war, Roxy Music, die wohl wichtigste Band der Glam-Ära. Über sein Schaffen als junger Kunststudent, über die Werke, die damals entstanden sind, weiß man heute so gut wie nichts. Eine Malerei von Ferry aus dem Jahr 1964 (mit dem Titel „Virginia Plain", so sollte 1972 auch die erste Single von Roxy Music heißen) wurde vor einigen Jahren bei Ebay versteigert. Zu Beginn der 1970er-Jahre war Ferry an einer Gruppenausstellung in der Londoner Piccadilly Gallery beteiligt -- von den ausgestellten Arbeiten aber fehlt jede Spur. Und er hat Richard Hamilton unterstützt, als dieser für die Tate Gallery eine Rekonstruktion von Marcel Duchamps Werk „The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even (The Large Glass)" anfertigte.

In einem Interview sagte Ferry einmal: „Ich war Schüler von Richard Hamilton. Seither versuche ich, Musik zu malen." Viele Kritiker haben Roxy Music als erste postmoderne Band klassifiziert. Und mindestens genauso viele haben darauf hingewiesen, dass die Stücke von Roxy Music eine Ansammlung von Zitaten, dass sie Collagen sind. Deswegen kann man es auch so sagen: Was Bryan Ferry als Student von Richard Hamilton lernte, verwandelte er in Musik, in Pop. Referenzen an seinen Lehrer fanden sich häufig in den Songtiteln. Eine der frühen Singles von Roxy Music etwa benannte Ferry nach der legendären Ausstellung „This is Tomorrow", die Hamilton 1956 in London organisiert hatte. Und Ferrys Soloalbum „The Bride Stripped Bare" von 1978 rekurriert auf die Rekonstruktion des Duchamp-Werks.

Für Bryan Ferry war es stets wichtig, welches Image seine Band transportierte. Das sexuell aufgeladene Artwork der Alben, die Auswahl der Kostüme, die Bühnenshow, die Inszenierung der Bandmitglieder als Dandys: Das alles spielte eine mindestens genauso große Rolle wie die eigentliche Musik. Roxy Music begriff er als Gesamtkunstwerk. Und Richard Hamilton, der sich immer gesträubt hat, als Erfinder der Pop Art tituliert zu werden, war geradezu vernarrt in die Idee, als Erfinder von Roxy Music zu gelten. „Bryan Ferry ist mein größtes Werk", hat er voller Stolz behauptet. Sein ehemaliger Student hat ihm nie widersprochen.