Daniel Kothenschulte schreibt als Filmkritiker und besitzt die umfassendste Sammlung glamouröser Hollywood-Fotos. Für das SCHIRN Magazin nahm er sich eingehend der Filme von Erró an – „eine lustige Avantgarde“, wie er findet.

Wie jede Revolution, die etwas auf sich hält, hat auch die Kunst der Moderne für jedes gestürzte Tabu mindestens ein neues eingerichtet. Ganze Genres, welche die Kunstgeschichte über Jahrhunderte geprägt hatten, fielen dabei in Ungnade. Erfreuten sich etwa Porträt und Landschaft bei Expressionisten und Surrealisten noch großer Beliebtheit, brauchte es bald schon einen guten Grund, sich an ihnen zu versuchen. Heute begegnen uns diese Bildformen meist nur noch gebrochen an ihrer medialen Geschichte. Höchstens in den gediegenen Kunsthandlungen teurer Badeorte, in Senatszimmern von Universitäten oder in der Galerie des Bundeskanzleramts ist ein Porträt nicht mehr als ein Porträt und eine Landschaft eine Landschaft.

Erró, der sich in seiner Jugend in Florenz und Ravenna in Freskenmalerei und Mosaikkunst ausbilden ließ, hat beide Genres maßgeblich erneuert, auch wenn er es gern umgekehrt formuliert: „Aus Neu mach Alt“, nannte er selbst sein Motto, die klassischen Formen mit zeitgenössischem Input zu füllen.

Große Stars von der hässlichen Seite

Es wundert nicht, dass er zur selben Zeit, als er die großen Bildserien der „Scapes“, jene in verspielter Monumentalität entwickelten Anhäufungen von Ähnlichem und der „Monster“-Porträts entwickelte, auch den Film für sich entdeckte. Denn einerseits gehört das in diesen Bildern angewandte Montageprinzip – ins Zeitliche übertragen – zu den elementaren Stilmitteln des Films. Anderseits ist das Kino auch ein Zufluchtsort des Genres. Anders als in der Kunstwelt hat dieses Wort im Kino noch immer einen guten Klang.

Errós Monsterporträts haben ein erkennbares Vorbild in den zahlreichen Filmversionen von Robert Louis Stevensons Erzählung „Dr. Jeckyl und Mr. Hyde“. Hollywood nutzte die Geschichte über Janusköpfigkeit der menschlichen Existenz und die bald zur Sucht werdenden Ausbrüche aus gesellschaftlichen Moralvorstellungen, um große Stars einmal von der hässlichen Seite zu präsentieren: Frederic March, Spencer Tracy und auch Jerry Lewis nahmen das Angebot dankbar an. Auch Oscar Wildes vielfach verfilmter Roman „Das Bildnis des Dorian Grey“ kommt dem Betrachter von Errós Bildserie in den Sinn.

Seiner Zeit weit voraus

Noch deutlicher ist der Bezug zu Expressionismus und Glamour der 20er- und 30-Jahre in „Mary Monster“. Das Fotomodell Mary Knopka, expressiv geschminkt wie einst Lil Dagover in „Das Kabinett des Dr. Caligari“, imitiert die Gesichtsausdrücke bekannter Kino-Monster: Von Lon Chaneys „Phantom der Oper“ bis zu Boris Karloffs ikonischer Verkörperung der Schöpfung des Doktor Frankenstein. Erró verzichtet darauf, auch das Make-Up den Rollen anzugleichen. Dafür beleuchtet er sein Modell, wenn es sich anbietet, mit dramatischen Schlagschatten. Man kann erschauern vor diesem Kleinod, weil in ihm eine barocke Sehnsucht quicklebendig ist: Die Umarmung des Schreckens durch die Schönheit. Seiner Zeit weit voraus, ist es ein Vorbote der Appropriation Art: Roni Horn realisierte 2005 gemeinsam mit der Schauspielerin Isabelle Huppert die Fotoserie „Portrait of an Image“ nach dem gleichen Prinzip – Huppert schlüpfte allein durch die Mimik in ihre früheren Kinorollen.

Auch Errós Film „Stars“ ist ein frühes Werk der Appropriation Art: Aus Büchern abfotografierte Glamour-Porträts klassischer Filmstars werden durch Auf- und Abblenden zum erneuten Auf- und Abscheinen animiert. Die Grobkörnigkeit der Abbildungen bricht jedoch das Versprechen von Perfektion, das der Filmfotografie eigen ist, auf ein Minimum herunter.

Seiner Zeit weit voraus

Noch deutlicher ist der Bezug zu Expressionismus und Glamour der 20er- und 30-Jahre in „Mary Monster“. Das Fotomodell Mary Knopka, expressiv geschminkt wie einst Lil Dagover in „Das Kabinett des Dr. Caligari“, imitiert die Gesichtsausdrücke bekannter Kino-Monster: Von Lon Chaneys „Phantom der Oper“ bis zu Boris Karloffs ikonischer Verkörperung der Schöpfung des Doktor Frankenstein. Erró verzichtet darauf, auch das Make-Up den Rollen anzugleichen. Dafür beleuchtet er sein Modell, wenn es sich anbietet, mit dramatischen Schlagschatten. Man kann erschauern vor diesem Kleinod, weil in ihm eine barocke Sehnsucht quicklebendig ist: Die Umarmung des Schreckens durch die Schönheit. Seiner Zeit weit voraus, ist es ein Vorbote der Appropriation Art: Roni Horn realisierte 2005 gemeinsam mit der Schauspielerin Isabelle Huppert die Fotoserie „Portrait of an Image“ nach dem gleichen Prinzip – Huppert schlüpfte allein durch die Mimik in ihre früheren Kinorollen.

Auch Errós Film „Stars“ ist ein frühes Werk der Appropriation Art: Aus Büchern abfotografierte Glamour-Porträts klassischer Filmstars werden durch Auf- und Abblenden zum erneuten Auf- und Abscheinen animiert. Die Grobkörnigkeit der Abbildungen bricht jedoch das Versprechen von Perfektion, das der Filmfotografie eigen ist, auf ein Minimum herunter.

Erró wie ein beschleunigter Andy Warhol

„Faces“ schließlich, Erròs bilderreichster Film, hebt jede Unterscheidung zwischen dem Schönen und dem Hässlichen auf. Geschnitten in den kleinsten Intervallen die filmisch möglich sind – jede Einstellung nimmt nur wenige Filmkader ein, mitunter rauschen 12 verschiedene Bilder pro Sekunde vorbei – verschmelzen Porträts von Personen der Zeigeschichte zu einem zeitlichen Gruppenbildnis der veröffentlichten Menschheit. Nur gelegentlich verlangsamt sich das Tempo ein wenig: Etwa um der Reihe einiger berühmter Indianer-Häuptlinge Nachdruck zu verleihen. Je länger der Film dauert, desto mehr erschließen sich Systeme in der Reihung: Auf Sportlerporträts folgen Babys, die vermutlich später im Leben zu Ruhm kamen, über Militärs Soldaten und immer wieder Filmstars. Schließlich kommen auch die Grimassen wieder zu ihrem Recht. Und wieder erscheint Erró wie ein beschleunigter Andy Warhol. Der versprach immerhin Prominenz für fünfzehn Minuten. Bei Errò reicht eine Zwölftelsekunde.