„Half-A-Wind Show“ heißt die Frankfurter Retrospektive anlässlich Yoko Onos 80. Geburtstag. Warum eigentlich?

1967 füllten halbe Stühle, Tische, Regale und andere Objekte die Londoner Galerie Lisson. Die weiß angestrichenen Hälften hatte Yoko Ono damals unter dem Titel „Half-A-Room“ zur Installation gruppiert, auch in Frankfurt ist ein solches Arrangement zu sehen. Doch eigentlich geht es um das, was nicht zu sehen ist. Um die fehlenden Hälften, die sich der Betrachter dazu denken muss. Um dessen Vorstellungskraft. „Half-A-Wind Show“ hieß damals die Ausstellung in London, für ihre Schau in der SCHIRN anlässlich ihres 80. Geburtstags am 18. Februar 2013 hat sich die Künstlerin denselben Titel ausgesucht.

Überhaupt zählt im Werk der Konzeptkunst-Pionierin vor allem die Idee und weniger das greifbare Objekt. Seit über 50 Jahren regt sie die Fantasie ihres Publikums an, mit frühen Arbeiten wie den „Instruction Paintings“, Kunstwerken, die von anderen ausgeführt werden sollen und nur aus schriftlichen Anweisungen bestehen, oder mit Arbeiten wie dem „Morning Piece“, bei dem sie vergangene und zukünftige Morgen verkauft. Oder wenn sie gemeinsam mit John Lennon Millionen dazu auffordert, sich vorzustellen, es herrsche Frieden, zum Beispiel 1969 mit einem riesigen Billboard am New Yorker Times Square, auf dem der Schriftzug „War is over!“ prangt – zu einer Zeit, als der Vietnamkrieg auf Hochtouren läuft. Oder mit dem 2007 eingeweihten Werk „Imagine Peace“ in Reykjavik, einem endlos lang wirkenden Lichtstrahl, der mehrere Wochen im Jahr den Himmel über Island illuminiert, an John Lennon erinnern und Mahnmal für den Weltfrieden sein soll.

„Wir fühlen uns alle so halb“

Globaler Frieden ist ein utopisches, kaum vorstellbares Konzept. Sich einen „halben Wind“ vorzustellen, verlangt ebenfalls ein hohes Maß an Fantasie. Doch Onos poetische Arbeiten ermutigen zum Glauben daran, dass man mit Vorstellungskraft Berge versetzen kann. Ihre Schauen sind eine Art Training dafür. Der „halbe Wind“ stehe außerdem für das menschliche Streben nach Vervollkommnung, kommentiert Ingrid Pfeiffer, Kuratorin der Retrospektive: „Wir fühlen uns alle so halb, der Titel kann auch als Metapher für diesen Zustand gelesen werden.“

Zur Metapher ist auch Onos Leben selbst geworden: Wie kaum eine andere Beziehung steht die zwischen ihr und John Lennon für das Ganzsein in einer Partnerschaft. Ihr jähes Ende durch den Mord an Lennon erzählt schmerzlich vom Zerbrechen dieses Ganzen in zwei Teile, von denen eins verschwindet wie die fehlenden Hälften der Stühle und Tische. Ein Jahr vor der „Half-A-Wind Show“ im Jahr 1967 hatte sich das spätere Liebes- und Künstlerpaar in London kennengelernt. Über 30 Jahre nach Lennons Tod wird Yoko Ono noch immer kaum getrennt von John Lennon wahrgenommen. Die Retrospektive in der SCHIRN blickt unter anderem auch auf ihr gemeinsames Werk zurück und steckt voller Erinnerungen, wie die, die Ono mit der titelgebenden Schau von 1967 verbindet, der ersten, die sie gemeinsam mit Lennon gestaltete.

Der legendäre „Water Event“

Erinnern bedeutet im Fall einer Retrospektive auch, denkwürdige Werke in neuen Versionen zu präsentieren. Die „Half-A-Wind Show“ reinszeniert Arbeiten, mit denen Ono Kunstgeschichte schrieb. Zu den bedeutendsten Reinszenierungen in der SCHIRN gehört der „Water Event“ aus dem Jahr 1971. Damals bat sie Avantgarde-Künstler aus ihrem Bekanntenkreis, darunter schillernde Figuren wie John Cage, Gordon Matta-Clark oder Andy Warhol, ihr Gefäße wie Schalen, Eiswürfelbehälter, Krüge – oder auch „Vorstellungen“ davon – zuzusenden, die sie dann symbolisch mit Wasser füllte und so vervollkommnete. Auch für den „Water Event“ in der Schirn forderte sie Kollegen auf, ihr Behälter zu senden. Namhafte Künstler wie Olafur Eliasson, Jeff Koons und Lawrence Weiner sagten zu. Der Galerist John Dunbar gehört ebenso zu den Auserwählten, er hatte Lennon und Ono 1966 einander vorgestellt. Das Wasser wird auch in Frankfurt nicht in den Behältern zu finden sein, der Betrachter muss es sich vorstellen. So wie 1967 in London die fehlenden Hälften der weißen Möbel.