Aufnehmen – Labeln – Abspielen. Der in Frankfurt lebende Künstler Michael Riedel beschäftigt sich mit dem Aspekt der Reproduktion und Wiederholung.

Mit dem Aspekt der Reproduktion beschäftigt sich der Künstler Michael Riedel seit seinen ersten Aktionen im Rahmen des legendären Ausstellungsraumes „Oskar-von-Miller-Straße 16“, den er 2000 initiierte und welcher in gleichnamiger Straße in Frankfurt ansässig war. Dort fanden Wiederholungen oder Kopien von Ausstellungen, Konzerten, Lesungen und Clubabenden sowie die bis heute inmitten von Kunst und Leben angesiedelte Freitagsküche statt. Riedel arbeitet mit aufgezeichneten Gesprächen, Filmen und Performances oder Ausstellungen anderer Künstler. Das System seines Schaffens beruht auf der Kombination dieser Elemente zu immer neuen Variationen und der Transformation eines Mediums in ein anderes. Sprachaufnahmen überträgt Riedel zum Beispiel durch Transkription in den Bereich des Visuellen, verfremdet und erweitert sie mithilfe technischer Möglichkeiten, um sie schließlich in neuer Lesart zu reproduzieren oder erneut abzuspielen. Unter dem Titel „Kunste zur Text“ präsentiert die SCHIRN Kunsthalle eine erste Retrospektive Michael Riedels.

Reinszenierte Veranstaltungen

Michael Riedel wurde 1972 in Rüsselsheim geboren. Heute lebt und arbeitet er in Frankfurt, wo er im Jahr 2000 sein Studium an der Städelschule abschloss. Riedels Schaffen beruht auf dem Prinzip der Wiederholung, wobei es ihm nicht um die authentische Nacherzählung eines bestimmten Ereignisses oder Inhalts, sondern vielmehr um die Differenz geht, die bei der Übertragung von einem Medium in ein anderes entsteht. Bekannt wurde Michael Riedel durch seine Aktionen im Ausstellungsraum „Oskar-von-Miller-Straße 16“, wo er gemeinsam mit Freunden ein vielseitiges Programm betrieb, das Installationen, Konzerte, Filme und Clubabende – sozusagen als Wiederholungen der Originalveranstaltungen – reinszenierte.

Der damals an der erhaltenen Säulenvorhalle der alten Stadtbibliothek gelegene Portikus, die Ausstellungshalle zeitgenössischer Kunst der Städelschule, bildete insofern einen mehrfachen Bezugspunkt für Riedels Aktionen, als dort stattfindende Ausstellungen in der „Oskar-von-Miller-Straße 16“ ein zweites Mal abgespielt wurden. Im Portikus selbst fand anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Nine Dark Pictures“ von Gilbert & George am 23. März 2002 die Intervention „Gert & Georg (Gilbert & George)“ statt. Michael Riedel und Dennis Loesch engagierten zwei Schauspieler, die über einen Zeitraum von rund zwei Stunden die Bewegungen von Gilbert und George, diesen in diskretem Abstand folgend, nachahmten. Dadurch entstand parallel zur Eröffnung am selben Ort eine Subveranstaltung. 2004 gründete Michael Riedel in der Oskar-von-Miller-Straße 16 die Freitagsküche. Als sozialer Treffpunkt und Restaurantbetrieb hat sich die Freitagsküche seither in Frankfurt etabliert und erinnert an das Restaurant „Food“ (1972–1974) in New York, an dem auch der Künstler Gordon Matta-Clark beteiligt war.

„Ich bin Michael S. Riedel“

In seinem konzeptuellen Schaffen bedient sich Riedel einer großen Bandbreite von Medien und Formaten von Arbeiten auf Leinwand über Film-, Video- und Audioaufnahmen bis hin zu Künstlerbüchern, Postern, Installationen und Events – immer abhängig vom Bezugspunkt des Werkes und dem Grad seiner medialen Transformation. Riedel nutzt dabei die Strategie des Aufnehmens, Labelns und Abspielens. Unter Aufnahme versteht sich in Riedels Werken keineswegs die 1:1 wiedergegebene Situation eines Clubabends oder einer Lesung, sondern die Kopie, die alle Qualitätsschwankungen des Aufnahmegerätes, alle Fehler der Technik beinhaltet. Vielmehr als die bloße Übersetzungsleistung – z. B. eines bereits vorhandenen Textes in einen neuen Text – zeigen die Werke Michael Riedels die Möglichkeiten auf, die häufig nur minimale Eingriffe in vorhandenes Material eröffnen. Die daraus entstehenden Arbeiten dienen oft als Ausgangspunkt für weitere, neue Werke.

Ausgehend von frühen Arbeiten – u. a. „Michael S. Riedel“ (1997), einem Vortrag an der Städelschule, an dessen Ende Riedel sich mit den Worten „Ich bin Michael S. Riedel“ eine Tüte mit seinem Namen überstülpte und sich so als Künstler mit seinem Werk gleichsetzte – bis hin zu ganz neuen Werken werden in der SCHIRN-Ausstellung erstmals parallel verschiedene Werkserien Riedels zu einer neuen Installation gruppiert und ermöglichen so einen Einblick in die vielfältige Produktionsweise des Künstlers. Anhand der Gegenüberstellung einzelner Serien wird die Methode des Aufnehmens und Kopierens, der Transformation von einem Medium in ein anderes und des Wiederabspielens in neuer Lesart in der SCHIRN-Ausstellung anschaulich und deutlich.

Auch die „Oskar-von-Miller-Straße 16“ wird in der SCHIRN in einem eigens für die Ausstellung geöffneten Raum präsent sein, der als begehbare Skulptur mit Plakaten und Flyern ausgestattet ist. Das Prinzip der Wiederholung findet sich auch in der Architektur von „Kunste zur Text“ wieder. Riedel benutzt die Wände der vorausgegangenen Schau „Edvard Munch. Der moderne Blick“ als Projektionsfläche seiner eigenen Ausstellung. Als Rahmen dient eine großformatige Wandfläche, die Riedel aus dem Ausstellungsposter „Poster (Kunste zur Text)“ (2012) entwickelt hat, deren Grundlage wiederum der Quellcode einer auf die Ausstellung hinweisenden Website ist.

Die Ausstellung wird ermöglicht durch die SCHIRN Zeitgenossen.