Maurice Utrillo war einer der erfolgreichsten Künstler des Montmartre. Dabei kam er selbst eher unfreiwillig zur Malerei – angeleitet durch seine Mutter Suzanne Valadon, die ihren Sohn von der Alkoholsucht befreien wollte.

Die Geschichte von Maurice Utrillo ist vor allem auch eine Geschichte der Frauen. Seine Großmutter, bei der er aufgewachsen ist. Seine Frau Lucie, nach der er sein letztes Wohnhaus benannte. Und dann ist da noch die eine Frau, in vielerlei Hinsicht vielleicht die wichtigste -- definitiv aber eine, die seine Karriere als Künstler überhaupt erst möglich machte: Suzanne Valadon. Die Malerin und Muse war erst 18 Jahre alt, als sie Maurice Utrillo auf die Welt brachte. Der leibliche Vater bleibt bis heute ein Geheimnis. Valadons Suche nach dem möglichen Erzeuger wird von Utrillos Sammlerin Ruth Bakwin in einer biografischen Anekdote so beschrieben: "Nachdem Maurice geboren wurde, ging Suzanne Valadon zu Renoir, für den sie neun Monate zuvor Modell gestanden hatte. Renoir sah das Baby an und sagte: "Er kann nicht von mir sein, die Farbe ist schrecklich!" Das nächste Mal ging sie zu Degas, für den sie ebenfalls Modell gestanden hatte. Er sagte: "Er kann nicht von mir sein, die Form ist schrecklich!" Die Odyssee ging noch eine Weile weiter, der junge Maurice erhielt schließlich den Namen des spanischen Kunstkritikers Miguel Utrillo, der offiziell zum Stiefvater ernannt wurde, mit dem "Sohn" aber tatsächlich nur sehr wenig Zeit verbracht haben soll.

Das Band zwischen Maurice und seiner Mutter riss niemals ab, im Gegenteil: Seine tiefe Verbundenheit drückte der Maler bis zum letzten Bild in seiner Signatur aus, "Maurice Utrillo V.", den eigenen Namen um ein Valadon für die Zugehörigkeit zur Mutter ergänzend. Sie war es auch, die ihn um die Jahrhundertwende herum zum Malen ermutigte -- gewissermaßen als Therapie, gegen die eigenen Dämonen und den Alkohol, dem der Junge schon als Jugendlicher anheimfiel. Maurice Utrillo, der größtenteils bei seiner Großmutter im Vorort von Paris, später dann bei Suzanne Valadon aufwuchs, interessierte sich bis dato überhaupt nicht für die Malerei. Schon wenig später aber sollte er zu einem der umtriebigsten Künstler auf dem Montmartre werden, der 1924 erstmals auch mit seiner Mutter zusammen ausstellte. Der Wein, so erzählt es ein „Spiegel"-Artikel von 1949, soll seinem Schaffensdrang dabei aber immer wieder im Weg gestanden haben, so dass seine spätere Frau Lucie den Alkohol im Schrank verschließen musste.

Im Gegensatz zu vielen seiner Künstlerkollegen hat Maurice Utrillo nie eine klassische Malerei-Ausbildung genossen. Kritiker und Sammler lieben seine ursprüngliche, fast rohe Kraft, mit der er Häuserschluchten und Straßenansichten oft mit nur wenigen, aber dafür umso virtuoser gesetzten Pinselstrichen inszeniert. Beeinflusst von impressionistischen Malern und Werken seiner Zeit, bildet Maurice Utrillos Werk doch einen deutlichen Kontrapunkt: Seine Bilder lösen sich nicht in Farblandschaften auf, sie bewahren sich eine deutliche formale Strenge. Dazu passt, dass Utrillos unterschiedliche Schaffensphasen weniger eine Frage des Malstils sind als sich vielmehr in ihrem Farbgebrauch unterscheiden: Waren seine ersten Bilder noch ausgesprochen düster, entdeckte Maurice Utrillo bei Reisen in die Bretagne das Licht als neues Stilelement. In der „weißen Phase" mischt er seine Farben wie gewohnt großzügig an und verwendet viel Sand und Gips, um den Bildern eine lichtdurchflutete Atmosphäre zu verleihen. Mit zunehmendem Verlust seines Augenlichts werden die Farben leuchtend und kräftig.

Der Verrat

Dass Utrillo sein Viertel auf derart virtuose Weise und selbst mit zunehmendem Verlust seines Augenlichts einfangen konnte, hatte neben seinem künstlerischen Talent womöglich noch ganz andere Gründe: Als einer der wenigen erfolgreichen Künstler war er ein Kind des Montmartre. Viele große Namen, die auch in der SCHIRN-Ausstellung vertreten sind, zogen erst als Erwachsene nach Paris. Maurice Utrillo hingegen verbrachte schon seine jungen Jahre zwischen den Straßenschluchten, die er in geometrisch strukturierten Bildern einfängt. Die anrüchigen Etablissements, die "Tingeltangel" zwischen großbürgerlichen Wohnhäusern und kleinen Holzbaracken, waren seine Welt. Sein Schaffensdrang galt als legendär: Selbst, wenn er wegen Trunkenheit wieder einmal von der Polizeistreife aufgegriffen wurde, soll Utrillo noch auf der Wache zu Pinsel und Farbe gegriffen und an der Staffelei gestanden haben. Was auch dazu führte, dass es im Montmartre der 1940er-Jahre plötzlich nur so wimmelte von Bildern mit der begehrten Signatur „Maurice Utrillo V.". Zusammen mit Malern wie Picasso wurden Utrillos Bilder massenhaft kopiert -- und das oft so gekonnt, dass auch der Künstler selbst angesichts seines umfangreichen Werks nicht immer genau wusste, welches Bild tatsächlich seiner eigenen Arbeit entsprungen war.

In dieser, einer der letzten Geschichten im Leben des Maurice Utrillo spielt ausnahmsweise keine Frau die Hauptrolle: Ausgerechnet ein guter Freund soll die Fälschungen angefertigt haben. Nur wenige Jahre vor seinem Tod verklagt Utrillo den Kunstkritiker Pinson-Berthet, der verhaftet und ins Gefängnis gebracht wird. Zeitungen berichten, Kunsthändler werden offiziell vor Kopien gewarnt. Die Verkaufspreise seiner Malereien werden sich zu Utrillos Lebzeiten jedoch kaum wieder erholen.