WAS IST EINE OPTISCHE TÄUSCHUNG? KANN EIN WORT EIN BILD ERSETZEN? WIE SCHMECKT EIN APFELBILD UND KANN MAN MIT EINEM GEMALTEN BALL FUSSBALL SPIELEN?

Felix, Florian und Sebastian, Stammgäste der Kinder- und Jugendkulturwerkstatt Break 14 aus Niederrad sind in ihr kreatives Schaffen vertieft. Die Jugendlichen machen Fotos im gemütlichen Innenhof der Einrichtung. Hierfür haben sie ein Fußballtor aufgestellt. Felix ist der Stürmer, der gerade auf das Tor schießen will. Anstelle eines richtigen Balls befindet sich das Bild von einem Ball vor seinen Füßen.

Die Situation spielt auf ein Gemälde des belgischen Surrealisten René Magritte an, auf dem der Künstler unter die Abbildung einer Pfeife den Schriftzug „Das ist keine Pfeife“ gesetzt hat. Die Botschaft lautet: Eine gemalte Pfeife ist keine richtige Pfeife, man kann sie weder stopfen, noch rauchen, auch wenn sie so naturalistisch wie möglich aussieht. Die Jugendlichen entwickeln diesen Gedanken weiter: Mit einem gemalten Ball kann man ja auch keinen Fußball spielen.

Fragen nach Individualität

Die Zwillingsbrüder Florian und Sebastian stellen sich für ein anderes Foto nebeneinander, einer mit dem Gesicht und der andere mit dem Rücken zur Kamera. Das soll den Eindruck erwecken, dass man dieselbe Person gleichzeitig aus zwei verschiedenen Perspektiven sieht. Inspiriert wurden die Beiden durch das Foto „Magritte (Coming and Going)“, das den Künstler gleichzeitig von vorne und von hinten zeigt. Auf eine ironische Weise verarbeiten die Zwillinge damit die für sie wichtigen Fragen nach Ähnlichkeit, Verwechslung und Individualität. Die Fotos werden später künstlerisch bearbeitet oder auch zerschnitten und neu zusammengesetzt.

SCHIRN Domino Projekt 2017, Foto: Olga Shmakova

Nicht nur die Jugendlichen aus dem Break 14, sondern auch drei weitere Jugendgruppen tauchen in die rätselhafte Welt von René Magritte ein und gehen seiner Kunst auf die Spur. Den Rahmen dafür schafft SCHIRN DOMINO, ein kunstpädagogisches Projekt der SCHIRN in Zusammenarbeit mit Jugendeinrichtungen in und um Frankfurt. Es wurde 2011 ins Leben gerufen und richtet sich in erster Linie an Jugendliche im Alter von 13−19 Jahren. Zuerst besuchen die Teilnehmer die jeweilig aktuelle Ausstellung in der SCHIRN, wie etwa „Magritte. Der Verrat der Bilder“.  Später setzen sie sich in ihren Einrichtungen unter pädagogischer Anleitung von SCHIRN-Mitarbeitern praktisch mit dem jeweiligen Inhalt der Ausstellung auseinander.

Die eigene Wahrnehmung hinterfragen

Vertraute Gegenstände erscheinen in den Werken von Magritte oft verfremdet und ungewöhnlich zusammengesetzt. Gerade für Jugendliche besteht in der Beschäftigung mit seiner Kunst die Gelegenheit, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen und alltägliche Gegenstände mit neuem, frischem Blick zu betrachten. Das Verhältnis von Wort, Bild und Gegenstand, von Realität und Illusion wird unter die Lupe genommen. Die Jugendlichen werden dazu ermutigt, die künstlerischen Fragestellungen auf ihre eigenen Alltagssituationen zu übertragen und mit den für sie interessanten Themen zu verknüpfen. Es wird gemalt, gezeichnet, fotografiert, ausgeschnitten, geklebt, geformt und gefilmt. Dabei geht es sowohl um das Herstellen eigener, durch die Ausstellung inspirierter Werke, als auch um die Möglichkeit, die künstlerische Arbeit zu erproben und zu erleben.

SCHIRN Domino Projekt, Foto: Olga Shmakova
Duane Michals, Magritte (Coming and Going), 1965 © Duane Michals, Courtesy of DC Moore Gallery, New York

Die Geschwister Safaa und Nada aus dem „Jugendcafé im Turm“ der Evangelischen Kirchengemeinde Unterliederbach haben gerade ein surrealistisches Wolken-Mobile fertiggestellt. Die Wolken aus Watte schweben in der Luft und bringen eine schöne leichte Struktur in den Raum. Das Mobile soll Regenwolken darstellen. Allerdings regnet es kein Wasser, sondern kleine silberne Glöckchen. Diese hängen von den Wolken herunter und erinnern an das Motiv der Schelle in den Werken von Magritte.

Von Magritte inspiriert

Safaa und Nada haben durch das Projekt viel Neues ausprobiert. Sie zeigen mir mit Stolz ihre Bilder, die sie mit Softpastellen angefertigt haben, inspiriert vom Magritte Gemälde „Die Kunst der Konversation“ mit einem Schwanenpaar und dem Schriftzug „Amour“ in der Mitte. „Wir haben auch mit Wörtern gearbeitet“, erklärt Safaa, „aber das waren nicht irgendwelche Wörter, sondern unsere eigenen Namen. Ich habe meinen Namen auf Arabisch in die Mitte des Bildes geschrieben und drumherum gemalt. Unten im Bild sieht man Regenbogenwasser und im oberen Teil einen rosa Strand und einen blauen Himmel. Das kann aber auch ein farbiger Nebel sein. Mein Bild kann man unterschiedlich interpretieren, so wie die Bilder von Magritte.“

SCHIRN Domino-Projekt, Foto: Olga Shmakova

Die Giraffe im Glas auf dem Werk „Das Kristallbad“ finden die Jugendlichen auch spannend. Ayten hat überlegt wie dieses Bild aussehen könnte, wenn der Künstler es erweitert hätte: „Ich habe recherchiert, welche Tiere in der Savanne leben. So habe ich neben der Giraffe einen Leoparden gemalt und oben das große Auge eines Löwen. Bei Magritte ist es oft so, dass man am Anfang etwas zu sehen glaubt, aber wenn man richtig hinschaut, versteht man, dass alles ganz anders ist und vieles nicht stimmt. So auch bei der Giraffe. Sie steht nicht auf der Erde, sondern im Glas.“

Jeder Mensch hat seine Geschichte

Seit Ende 2016 ist das DOMINO-Projekt auch für DaF (Deutsch als Fremdsprache)- und DaZ (Deutsch als Zweitsprache)-Klassen an Schulen geöffnet. So etwa eine DaZ-Klasse mit Geflüchteten aus der Freien Schule für Erwachsene der ASB Lehrerkooperative im Ostend und eine gemischte Gruppe aus den DaF- und DaZ-Klassen mit geflüchteten Jugendlichen und Migrantenkindern der IGS Kelsterbach. Durch bildnerisches Gestalten wird den geflüchteten Jugendlichen die Möglichkeit gegeben, sich unabhängig von deutschen Sprachkenntnissen auszudrücken und sich in ihrer neuen Situation zurechtzufinden.

Teilnehmer SCHIRN Domino-Projekt, Foto: Olga Shmakova

Lamia und Madine aus Afghanistan sind mit großer Begeisterung beim Projekt dabei. In der Ausstellung hat Lamia das Gemälde „L'Heureux donateur,“ sehr gefallen. Auf diesem Bild erkennt man die Silhouette eines Mannes mit einer Melone auf dem Kopf. Zugleich ist sie aber als eine Art Öffnung zu verstehen, die den Blick auf eine dahinter liegende Landschaft freigibt. „Die Kunst von Magritte hat mir gezeigt, dass man auch anders denken kann“, erzählt Lamia, „Draußen und Drinnen wurden vertauscht. Für mich war das so, wie die menschliche Seele. Ein Mensch ist voll von Erinnerungen und Gefühlen, voll von Geheimnissen. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte.“

René Magritte, L'Heureux donateur, 1966, Öl auf Leinwand, 55,5 x 45,5 cm, Musée d'Ixelles-Brussels, Photo: Mixed Media © VG Bild- Kunst, Bonn 2017