Vom 6. März bis 14. Juni widmet sich die SCHIRN in einer umfassenden Sonderausstellung einer bislang unerzählten Geschichte der europäischen Kunst der Moderne.

In der groß angelegten Ausstellung „Künstler und Propheten. Eine geheime Geschichte der Moderne 1872--1972" untersucht die Schirn Kunsthalle Frankfurt ab dem 6. März 2015 ein weitreichendes, aber in großen Teilen unbekanntes Kapitel der europäischen, insbesondere der deutschen Kunstgeschichte. Mit über 400 Exponaten -- darunter Gemälde, Zeichnungen, Lithografien sowie umfangreiches und seltenes Dokumentationsmaterial -- deckt sie verblüffende Kausalitäten zwischen Künstlern der Moderne und selbsternannten „Propheten" auf. Dabei bettet die Ausstellung die Künstler und die Propheten in einen weitreichenden, 100 Jahre umfassenden sozialhistorischen Kontext ein.Mit einzigartigen und selten gezeigten Leihgaben unter anderem von František Kupka, Egon Schiele, Johannes Baader, Heinrich Vogeler, Friedrich Schröder-Sonnenstern, Friedensreich Hundertwasser, Joseph Beuys oder Jörg Immendorff aus der National Gallery in Prag, dem Leopold Museum, Wien, dem Pariser Centre Pompidou, der Hundertwasser Stiftung, Wien, sowie dem Kunsthaus Zürich, den Staatlichen Museen zu Berlin wie auch zahlreichen privaten Sammlungen und Stiftungen ist die Schirn-Präsentation ein Höhepunkt des Ausstellungsfrühjahrs 2015.

Die Ausstellung hat ihren Ausgangspunkt im deutschsprachigen Raum um das Jahr 1872, als sich eine Bewegung von Künstler-Propheten zu bilden begann, die nicht nur als religiöse Abweichler, sondern zugleich auch als Sozialrevolutionäre galten. Ihr eigentliches Streben lag darin, einen Wandel in der Lebensweise und Perspektive der Mitmenschen herbeizuführen, um ihnen dadurch eine Lösung von individuellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen zu ermöglichen. Die bekanntesten unter ihnen waren: Karl Wilhelm Diefenbach, Gusto Gräser, Gustav Nagel, Friedrich Muck-Lamberty sowie Ludwig Christian Haeusser.

Jeder einzelne von ihnen besaß ein starkes Charisma und fühlte sich berufen, seine Offenbarungen nicht aus materiellen Gründen, sondern um ihrer selbst willen zu verbreiten. Obgleich die drei Erstgenannten am Rande der damaligen Gesellschaft angesiedelt waren, zogen in den 1920er-Jahren Muck-Lamberty und Haeusser, die beide Schüler Gräsers waren, große Menschenmassen als Anhänger an -- bis die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren alle fünf Propheten bereits Legenden.

Dass dies heute kaum noch in Erinnerung ist, liegt auch daran, dass seit der Aufklärung im deutschsprachigen Europa nur noch wenig Platz für das Irrationale war. Und dennoch waren diese charismatischen Leitfiguren in avantgardistischen Kreisen nicht nur sehr bekannt, sondern hatten profunde Wirkung auf die Entwicklung der Kunst der Moderne in Europa: So entsprang die pionierhafte Abstraktion eines František Kupka dem Kontakt zu Diefenbach und seinen Anhängern. Das Gleiche gilt für eines der großen Themen in Egon Schieles Kunstschaffen: der Künstler als Prophet. Johannes Baaders dadaistische Aktionen und Collagen waren seit 1905 tief verbunden mit seiner Selbstwahrnehmung als neuzeitlicher Christus -- eine Sicht und Stellungnahme, die durch den Jesusapostel Nagel ermutigt wurde.

Die rebellischen Zeichnungen Friedrich Schröder-Sonnensterns nach 1945 waren durch sein weniger bekanntes Wirken als Prophet in der Weimarer Republik inspiriert. In den 1950er-Jahren positionierte sich Friedensreich Hundertwasser als Künstler-Ökologe, wanderte durch die entlegensten Winkel der Welt und erschuf Werke von eindringlicher, holistischer Strahlkraft für ein breites Publikum. Auch die messianische Dimension von Joseph Beuys' künstlerischer Mission wurde durch die Überlieferung der Propheten befeuert. Jörg Immendorff wiederum wurde dazu ermutigt, seine „LIDL"-Kunst in die Straßen Düsseldorfs zu tragen und sich der Religion des Kommunismus zu verschreiben.