Die SCHIRN Kunsthalle zeigt vom 22. Oktober 2011 – 29. Januar 2012 eine groß angelegte Ausstellung von Edward Kienholz und Nancy Reddin Kienholz.

Rebellisch, provokant und polarisierend hat das Kienholz’sche Œuvre seit seinen Anfängen Mitte der 1950er-Jahre stets großes Aufsehen erregt: zunächst die Werke von Edward Kienholz (1927–1994) allein, später, ab 1972, die gemeinschaftlichen Projekte mit seiner Frau Nancy Reddin Kienholz. Kaum verwunderlich, stehen doch Religion, Krieg, Tod, Sex und die abgründigeren Seiten der Gesellschaft mit ihren sozialen Konflikten im Zentrum der Arbeit. Mit Themen wie der sexuellen Ausbeutung der Frau in der Prostitution, der Rolle der Medien oder den Auswirkungen von ethnischen Konflikten legen sie den Finger auf Bruchstellen der westlichen Gesellschaften, die bis heute kaum gekittet worden sind und dem Werk Aktualität verleihen. Eine Zeitgenossenschaft behaupten jedoch nicht allein die Themen, heute sehen wir Kienholz vor allem auch als Vorläufer zentraler Tendenzen der zeitgenössischen Kunst, wie sie uns etwa bei Paul McCarthy und Mike Kelley, aber auch in der Produktion von Jonathan Meese, Thomas Hirschhorn oder John Bock begegnen. Die Ausstellung in der Schirn, die vom 22. Oktober 2011 bis 29. Januar 2012 zu sehen sein wird, zeigt in einer komplexen Zusammenschau die Essenz des Kienholz’schen Werks: von den ersten dreidimensionalen Arbeiten kleineren Formats über die konzeptuellen Werke bis zu den raumfüllenden Tableaus.

„Ed Kienholz – Expert“

Edward Kienholz wurde am 23.10.1927 in Fairfield, Washington, geboren und starb 1994 in Hope, Idaho. Anlässlich der Ausstellung „The Kienholz Women“ in Berlin 1981/82 erklärte Edward Kienholz öffentlich die Mitautorschaft seiner Frau Nancy Reddin Kienholz an seinen seit 1972, dem Jahr ihrer ersten Begegnung, entstandenen Werken. Edward Kienholz studierte an mehreren Colleges, besuchte jedoch nie eine Kunstakademie. Bei verschiedenen Jobs als Krankenpfleger, Autohändler, Handwerker (sein Wagen trug den Schriftzug „Ed Kienholz – Expert“) und Barbesitzer lernte er unterschiedlichste Milieus kennen und sammelte Eindrücke und Erkenntnisse, die ihm später als Quelle für sein künstlerisches Schaffen dienten. Ab 1973 pendelten Edward Kienholz und Nancy Reddin Kienholz regelmäßig zwischen Hope, einem abgelegen Ort in Idaho, und Berlin, wo sie regen Austausch mit der deutschen Kunstszene pflegten.

Schrotthalden und Mülldeponien der westlichen Konsumkultur

1953 hatte sich Edward Kienholz jedoch zunächst in Los Angeles niedergelassen, wo ab 1954 erste Holzreliefs sowie kleinere Materialassemblagen entstanden. Zwei Jahre später organisierte er Ausstellungen in Los Angeles und eröffnete 1957 gemeinsam mit Walter Hopps die Ferus Gallery. Bald darauf entwickelten sich seine Arbeiten zu dreidimensionalen „Tableaux“ – raumgreifenden Environments und Installationen. Als Material dienten ihm hauptsächlich Alltagsgegen- stände und Fundstücke, nach denen er gezielt Trödelmärkte durchstöberte, sowie Abfälle von den Schrotthalden und Mülldeponien der westlichen Konsumkultur – Fernseher, Autoteile, Lampen, Lautsprecher, Möbel, Goldfischgläser, Schuhe, Schilder, Flaggen, Werbeartikel, Zigaretten, Spielzeugsoldaten, Dollarnoten – und nicht zuletzt Gipsabgüsse von verschiedensten Angehörigen seiner Familie und seines Freundeskreises.

Es gibt etwas zu sagen, und das soll allen mitgeteilt werden

Diese Vorgehensweise war absolut radikal – in der Kunstgeschichte hatte es etwas Vergleich­bares in diesem Ausmaß nicht gegeben. Sie erfüllte alle Kriterien der Avantgarde, die sich stets bemühte, ihrer Zeit voranzumarschieren. Allerdings war die Avantgarde auch elitär und exklusiv. Bei Kienholz ging es jedoch nie um Ausschlussverfahren. Ganz im Gegenteil: Es gibt etwas zu sagen, und das soll allen mitgeteilt werden. Ungewohnt und ungewöhnlich tritt das Werk dem Betrachter entgegen, das in seinen Realismen dem Alltag so nahe ist und dennoch weit über ihn hinausweist. Zu viel war es für das biedere Amerika der 1960er-Jahre, das die Werke als obszön empfand und dennoch, sich genüsslich an dem Skandal weidend, zu Tausenden eine erste große Ausstellung besuchte. Rebellisch, provokant und polarisierend erregte das Kienholz’sche Œuvre seit seinen Anfängen Mitte der 1950er-Jahre stets großes Aufsehen. Einen hohen Anteil daran hatten nicht zuletzt die Themen, mit denen Kienholz die Wunden der Gesellschaft offenlegte. Von Beginn an stehen Konfliktpotenziale im Zentrum: Krieg, Religion, Tod, Sex, die Macht der Medien.

Konsumwahn, Bigotterie und Verklemmtheit

„Adrenalingetränkter Zorn hat mich durch meine Arbeit getrieben“, erinnert sich Edward Kienholz an seine Anfangsjahre. Gründe gab es genug. In einer Zeit, die durch den Kalten Krieg und den Antikommunismus der McCarthy-Ära geprägt war, verband die kritischen Stimmen dieser Generation eine leidenschaftliche Verachtung gegenüber der Vulgarität und Ungerechtigkeit der Welt. Sie widersprachen den Forderungen des Konsumwahns, der Bigotterie und der Verklemmtheit, interessierten sich für alternative Wege, den Schmutz, die Ausgeschlossenen, die Randgruppen der Gesellschaft und formulierten Einsprüche gegen eine in ihren Augen enthemmte Konsumkultur.

Die Ausstellung „Kienholz. Die Zeichen der Zeit“ wird nach ihrer Präsentation in Frankfurt vom Museum Tinguely in Basel übernommen (22. Februar – 13. Mai 2012).