Dass es nicht mehr braucht, als eine Wand und einen schwarzen Filzstift, um Kunst zu machen, kann man jeden Tag in der Stadt beobachten. Die Arbeiten von Karl Holmqvist in "Unendlicher Spaß" zeigen, dass sich auch weiße Museumswände dafür eignen.

Der Moment, in dem zum ersten Mal jemand einen schwarzen Filzstift in die Hand genommen hat, um seinen Namen an eine Wand zu schreiben, ist historisch nicht belegt. Aber im Jahr 1972 erklärte der New Yorker Bürgermeister dem Graffiti den Krieg. Natürlich sind Graffiti viel älter, aber in den prekären Vierteln New Yorks sind die Inschriften nicht mehr politisch oder pornographisch, sondern haben eine einfache Botschaft: „Ich war hier." Nachdem die Utopien der Studentenrevolte gescheitert sind, ist diese minimale Existenzbekundung schon ein radikales Statement. Und wer in der Ausübung seiner Kunst Gefahr läuft, von der Polizei daran gehindert zu werden, muss sich angewöhnen, schnell zu arbeiten. So entstehen die Grapheme, die Anfang der 1970er-Jahre in U-Bahnen und an Hauswänden wuchern, die Tags, die einprägsam oder verschnörkelt nichts anderes sagen als „Ich war hier." Ende der 1970er schaffen es die ersten Graffiti in Kunstgalerien und wenig später in die Museen. Mit Keith Haring und Jean Michel Basquiat ist der Kunst-Mainstream auf die Wandmalereien aufmerksam geworden.

Als Karl Holmqvist 1989 aus Schweden nach New York kam, war Basquiat bereits ein Jahr tot. Trotzdem ist Holmqvist bis heute am anarchischen Potenzial von Textfetzen an Wänden interessiert, ebenso an textbasierter Kunst. Seine Arbeiten seit den frühen 1990ern drehen sich um Text in verschiedenen Formen: Zitate und Kollagen, Reproduktionen und Verfremdungen. Also eine Art von Lyrik, bei der die Sprache, ihr Klang und ihr Aussehen selbst im Vordergrund stehen, anstelle eines abstrakten Konzepts. Das erinnert nicht nur an die absurd-komischen Wortverdrehungen der Dadaisten, sondern auch an Cut-Up-Literatur. Deren Erfinder William Burroughs hat das Zusammenschneiden von gefundenem Textmaterial als subversive Praxis verstanden, als eine Aneignung und Parodie der leeren Worthülsen aus Politik und Werbung.

Für zwei seiner Arbeiten in der Ausstellung „Unendlicher Spaß" hat Holmqvist die traditionellen Medien des Graffiti verwendet: Wand und Filzstift. Die Freude am Zerschneiden und Verfremden von Sprache erinnert an die Praktiken der Lyrik. Eine Nische ist für die Arbeit "Liz Diamond" reserviert. Zu drei konzentrischen Rauten angeordnet, steht dort mit Magic Marker die Silbe „Liz", sodass sie wirkt wie das Stottern eines dadaistischen Lautgedichts. Und als hätte der Künstler erst festgestellt, dass er zu wenig Platz hat, als es schon zu spät war, geht das Graffito um die Ecke. Überhaupt haben die Rauten keine perfekt geraden Kanten. Diese Arbeit sagt nicht nur „Ich war hier", sondern auch „Diese Arbeit kann es nur hier so geben." Damit bewahrt Holmqvist ein Stück der graphischen Anarchie des Graffiti, denn dem Tagger ist sein Untergrund egal, und einen Rahmen kennt er ohnehin nicht. Und als wollte der Künstler zeigen, wie das Wandbild aussehen könnte, liegt daneben ein Stapel Plakate, auf denen der Name „Liz" in perfekt konzentrischen Rauten, die sich über die Grenzen des Papiers fortsetzen, gedruckt ist. Leicht assoziiert man mit den drei diamantförmig angeordneten Buchstaben den Namen der Schauspielerin Liz Taylor. Diese Erwartung wird nicht enttäuscht und das Label listet die Namen ihrer acht Ex-Gatten auf, mit dem Zusatz „She was our friend."

Mit der zweiten Arbeit adaptiert Holmqvist ein Gedicht des brasilianischen Dichters Decio Pignatari aus dem Jahr 1957: „Beba Coca" -- trink Coca-Cola. Die Aufforderung zum Konsum aus einer Zeit, als die Werbung noch weniger subtil sein durfte, wird Teil der konkreten Poesie Pignataris. Holmqvist verwandelt die klare und reduzierte Helvetica-Typographie des Originals in seiner Coverversion in ungelenke Blockbuchstaben an der Wand. Aus dem „C" wird das doppelte C des Chanel-Logos und aus dem „A" wird das Anarchie-Zeichen. Dass diese Arbeit auch unendlich wiederholbar ist, zeigen Aufnahmen aus einer Schau in Mexico City: Pignataris Gedicht ist nur der Ausgangspunkt für eine potentiell endlose Schleife, die wie eine Rückkopplung den Slogan aufgreift, ihn in seine kleinsten Elemente auflöst und parodiert. In der letzten Zeile steht nur noch das Wort „Cloaca."