Bis Ende Januar sind in der Rotunde der SCHIRN und über die Stadt verteilt Fotoportraits der amerikanischen Künstlerin Roni Horn zu sehen: Eine Frau, mittleren Alters, aus immer wieder unterschiedlichen Blickwinkeln in die Kamera schauend.

In genau jenes Gesicht schauen aufmerksame Frankfurter zurzeit immer wieder, z.B. beim Warten auf die U-Bahn, Spazierengehen oder eben in der SCHIRN Rotunde: es ist das Gesicht von Isabelle Huppert.

Isabelle Anne Huppert, seit ihrer Geburt 1953 in Paris lebend, gilt schlichtweg als eine der bedeutendsten französischen Schauspielerinnen ihrer Generation -- und in Hinblick auf ihre häufigen Nominierungen und Auszeichnungen bei nationalen wie auch internationalen Filmfestspielen lässt sich dem auch kaum wiedersprechen. Der internationale Durchbruch gelang ihr 1977 als 23-jährige mit Claude Gorettas „La Dentellière" (z. dt. „Die Spitzenklöpplerin"), für den sie ein Jahr später von der britischen Akademie für Film- und Fernsehkunst (BAFTA) als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet wurde. Das Filmdrama erzählt die Geschichte des jungen und in sich gekehrten Mädchens Pomme (Huppert), deren Beziehung zu einem Studenten aufgrund ihres Unvermögens, ihre Gefühle zu verbalisieren, zum Scheitern verurteilt ist.

Weltweite Berühmtheit erreichte die Schauspielerin durch ihre Zusammenarbeit mit dem französischen Regisseur Claude Chabrol. 1977 holte Chabrol Huppert für seinen sozialkritischen Kriminalfilm „Violette Nozière" vor die Kamera, bis zum Tod des Regisseurs im Jahr 2010 arbeiteten sie insgesamt acht Mal miteinander. Gerade dem deutschsprachigen Publikum dürfte die Schauspielerin aber besonders aus ihrer Zusammenarbeit mit dem österreichischen Regisseur Michael Haneke bekannt sein. Zuletzt konnte man sie als Nebendarstellerin in Hanekes Drama „Amour" sehen, 2001 begeisterte sie wiederum in der auf Elfriede Jelineks Roman basierenden Verfilmung „Die Klavierspielerin" Filmkritik und Publikum gleichermaßen. Erste Versuche in Hollywood Fuß zu fassen scheiterten 1980 in Michael Ciminos Film „Heavens Gate" -- bis dahin teuerster Film überhaupt und seinerzeit von der Kritik als größter Filmflopp der Kinogeschichte verrissen -- und sorgten dafür, dass die Schauspielerin im Folgenden hauptsächlich in europäischen Produktionen zu sehen ist. In ihrer knapp 100 Werke umfassenden Filmographie finden sich so auch nur insgesamt vier amerikanische Produktionen.

Schon in ihrer Rolle in Gorettas „La Dentellière" entdecken Kritiker das, was im Folgenden eines der unverkennbaren Merkmale ihrer Schauspielerei bilden sollte: Isabelle Huppert vermittelt Emotionen wie Trauer, Verletzlichkeit und Verzweiflung mittels einer fast unbewegten Mimik und stark auffallenden Wortkargheit. Sie gilt so als „große kühle Intellektuelle des französischen Kinos" (SZ) und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung erklärte gar: „Man fühlt kaum je mit ihr, aber sie lässt einen nur schwer los". Dem zu Grunde liegt die Vorstellung, dass die Leinwand des Kinos im Allgemeinen und das Gesicht des Schauspielers im Besonderen Spiegel für den Betrachter darstellen, in die er seine eigenen Emotionen hineinprojizieren kann. In diesem Sinne zeigt nicht unbedingt jenes, was tatsächlich zu sehen ist, das Entscheidende im Spielfilm, sondern übernehmen dies eben die Auslassungen und Lücken. Diese ermöglichen dem Zuschauer den Rückschluss auf das eigene Leben und so eben die Erfahrung, etwas von Belang gesehen zu haben, wenngleich die Handlung wohlmöglich außerhalb des eigenen Erfahrungshorizonts spielt.

In diesem Zusammenhang lässt sich dann auch Hupperts Klassifizierung ihres Schauspiels in einem Interview als eher „matt" und „neutral" verstehen. Das Faszinierende am zurückgenommenen Spiel der Isabelle Huppert ist eben genau diese Fähigkeit: die subtile Vermittlung der inneren Gefühlsvorgänge, dargestellt auf der Leinwand, die das Gesicht selbst sein kann. Und wer genau hinschaut in den Frankfurter U-Bahn-Stationen und Straßen, wo aktuell die Bilder von Roni Horn zu sehen sind, der wird so eingeladen in eine andere Welt, die doch immer wieder auf die Eigene zurückverweist.