Zu Hause am Herd mit Kindern: das Private galt lange als Domäne der Frau. Die Künstlerinnen Martha Rosler und Birgit Jürgenssen haben in den 1970er-Jahren mit dieser Tradition gebrochen.

Das Private ist der Ausschluss der Öffentlichkeit. Das Private ist eine Schutzzone, die allerdings auch zu einem Gefängnis werden kann. Über das Bedrückende der Privatsphäre künden Fotografien der Künstlerinnen Martha Rosler und Birgit Jürgenssen, die Rosemarie Trockels Herd-Bilder um 10 Jahre vorwegnehmen. Sie stammen aus einer Zeit, in der die Vorstellung, das Öffentliche sei der Bereich des Mannes, das Private hingegen das Reich der Frau, noch gesellschaftliche Gültigkeit hatte.

Die 1943 in New York geborene Martha Rosler ist in Frankfurt keine Unbekannte: 2006 wurde ihre Bibliothek im Frankfurter Kunstverein ausgestellt. Im gleichen Jahr wurde sie als Professorin an die hiesige Städelschule berufen. Birgit Jürgenssen, 1949 in Wien geboren und 2003 ebendort verstorben, ist eine wichtige Vertreterin der feministischen Avantgarde. Dass sie hierzulande noch immer wenig bekannt ist, liegt wohl daran, dass sie im Gegensatz zu anderen Künstlerkolleginnen wie VALIE EXPORT oder Marina Abramovič, nicht den schrillen, lauten Aktionismus wählte, sondern eine beobachtende, stille Haltung einnahm, wie etwa Francesca Woodman oder Cindy Sherman.

Das Private wird zur Last

In einer Zeit, als Gesellschaft und Kunst von Männern dominiert wurde, widersetzten sich beide Künstlerinnen den traditionellen Bildern von Weiblichkeit. Gegen die Dominanz und die Vormachtstellung der Malerei setzen sie die Fotografie. Ein mutiger Schritt, denn in den 1970er-Jahren wurde die Fotografie als künstlerische Ausdrucksform kaum wahrgenommen.

Mit ihrer „Hausfrauen-Küchenschürze" von 1974 orientiert sich Birgit Jürgenssen an der Poesie des Surrealismus und steht in der Nachfolge einer Meret Oppenheim oder Louise Bourgeois. Künstlerisch nimmt sie mit dieser Arbeit die Genderdebatte der 1990er-Jahre um die US-amerikanische Philosophin und Philologin Judith Butler vorweg.

Eine Veränderung der Lebensbedingungen

Die „Hausfrauen-Küchenschürze" ist eine Kreuzung aus Küchenschürze und Backofen. Ein hartes Brot lugt aus einem warmen Rohr. Auf den beiden gleichnamigen Fotografien hat sich Jürgenssen das Hybrid vor den Bauch geschnallt und zeigt sich abwechselnd frontal und im Profil. Die Gleichsetzung von Heim und weiblichem Körper wird hier zugespitzt: die Frau wird zur Küche, das Brot im Backofen symbolisiert gleichermaßen Nahrung wie Nachwuchs. Die geschlechtliche Identität der Frau wird als Konstrukt vorgeführt. Das Private wird zur Last, die Freiheit von Bewegung und Handlung ist deutlich eingeschränkt.

Traditionelle Vorstellungen von Häuslichkeit und Weiblichkeit sind auch Ausgangspunkt der Arbeiten von Martha Rosler. Die amerikanische Konzeptkünstlerin nimmt sich in ihrem Werk gesellschaftlicher und politischer Fragen zu einer Veränderung unserer Lebensbedingungen an (und zwar nicht nur die der Frauen).

Latente Aggressionen in der Küche

1974-1978, als die Frauenbewegung ihren ersten Höhepunkt hatte, schickte Martha Rosler surreal anmutende Urlaubspostkarten und Weihnachtsgrüße aus ihrer Küche: „From Our House to Your House" zeigt eine Reihe von Fotografien, auf der die unbeteiligt bis unglücklich wirkende Künstlerin wie ein Fremdkörper in ihrer eigenen Küche steht. Rosler präsentiert sich ähnlich an die Küche gefesselt wie Jürgenssen. Sie entwirft mit ihren Postkarten ein Gegenbild zu dem von der Werbung propagierten Bild der glücklichen Hausfrau und Mutter.

Eine ihrer Postkarten, eine Weihnachtskarte, zeigt ein Videostandbild aus „Semiotics of the Kitchen", Martha Roslers wohl bekanntester Videoarbeit. Dort verbindet die Künstlerin Anspielungen auf Küche, Fernsehen und Klassenzimmer, um uns eine feministische Lektion zu erteilen: Im Video wird Rosler mit Küchenutensilien das ganze Alphabet buchstabieren. Auf der Weihnachtskarte sehen wir Martha Rosler hinter einem Herd stehen und eine Küchenreibe hochhalten, daneben das englische Wort für das Küchengerät: „GRATER". Im Blick der Frau und dem präsentierten Gegenstand schwingt eine latente Aggression mit. Rosler reflektiert ihre unmittelbare Umgebung und stellt unbequeme Fragen. Etwa wie unser Alltag sozialen Normierungen und politischen Repressionen unterliegt. Wenn die Künstlerin aus ihren Arbeiten mit uns spricht, dann vermutlich um uns zu Hilfe zu rufen: „Ich möchte hier raus" (so lautet der Titel einer Arbeit von Birgit Jürgenssen).

Ursprünge unserer „Post-Privatheit"

Die Arbeiten von Martha Rosler und Birgit Jürgenssen stellen die Frage, wie sich Identität konstituiert. Beide Künstlerinnen dekonstruieren mit ihren künstlerischen Adaptionen die traditionelle Frauenrolle. Mit der Parole „das Private ist Politisch", politisierte die Frauenbewegung in den 1970er-Jahren die Privatsphäre und stellte die Trennlinie zwischen Öffentlichkeit und Privatheit in Frage. Mit Martha Rosler und Birgit Jürgenssen zeigt die Ausstellung „Privat" zwei international wichtige Vertreterinnen der feministischen Avantgarde und die Ursprünge unserer sogenannten „Post-Privatheit". Ob der vielzitierte Satz des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg, wonach „das Private nicht länger eine soziale Norm sei", eine Verwirklichung dessen ist, wofür die feministische Avantgarde eintrat, darf allerdings bezweifelt werden.