Mit rund 40 Arbeiten bilden die Selbstporträts einen der Schwerpunkte in Helene Schjerfbecks Oeuvre. Die Bilder zeigen die Entwicklung von einer jungen Frau zu einer selbstbewussten und erfolgreichen Künstlerin.

Schwarze Flecken deuten die Augenhöhlen an. Das Gesicht ist eingefallen, fahl und mit groben Pinselstrichen schwarz umrandet. Der Mund erinnert ein wenig an den der Figur auf Edvard Munchs „Der Schrei" -- er ist ebenso zur runden Öffnung erstarrt. Es ist das letzte Selbstbildnis von Helene Schjerfbeck. Die finnische Künstlerin malt es 1945 und gibt ihm den Untertitel „Eine alte Malerin". Sie ist bereits über 80 Jahre alt, der Tod naht. Das Gemälde lässt den Kampf von Körper und Geist erahnen.

Angeregt durch die neuen Strömungen einer Kunstwelt

Um die 40 Selbstbildnisse schafft Schjerfbeck im Laufe ihres Lebens. Auch andere Künstlerinnen porträtieren sich um die Jahrhundertwende häufig selbst. Das hat auch praktische Gründe: Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen mangelt es Malerinnen oft an Porträt-Aufträgen und somit auch an Geld für Modelle. Viele machen sich kurzerhand selbst zum Motiv. Frei von kommerziellen Zwängen etablieren sich Selbstbildnisse als Raum künstlerischer Entfaltung. Die Schjerfbecks lassen ein ganzes Künstlerleben Revue passieren und geben Einblick in eine fulminante Entwicklung hin zu einer eigenen Ausdrucksweise. Der Weg dorthin führte über Versuche mit Form und Farbe, angeregt durch die neuen Strömungen einer Kunstwelt, die zu Schjerfbecks Lebenszeit einen der größten Umbrüche ihrer Geschichte erlebt.

Einige noch im 19. Jahrhundert entstandenen Selbstporträts zeigen die junge Künstlerin als selbstbewusste Frau mit rosigen Wangen. Um 1884/85 malt sie sich in Öl. Das glänzende Haar ihres Ponys liegt locker auf der Stirn. Ein jugendliches Lächeln umspielt die Lippen. Aus blauen Augen blickt die Künstlerin nachdenklich ins Leere. Pinselduktus und Farbigkeit erinnern an die Porträts der Impressionisten.

Radikal anders sieht sich die Künstlerin 1912. Die Wangen sind jetzt auffällig blasslila getönt. Blaugrüne Schatten akzentuieren das Gesicht. Ein dazu komplementärer, mit freiem Pinselstrich aufgetragener Ockerton im Hintergrund hebt die Figur ab und umspielt das Gesicht. Die Brauen sind hochgezogen, die Augen weit geöffnet. Schjerfbeck hat sichtbar Freude am Experiment und gewinnt mehr und mehr Selbstbewusstsein als Künstlerin. Sie signiert das Gemälde besonders auffällig.

Immer mehr löst sich Schjerfbeck von einer naturalistischen Malweise. 1915 entsteht das „Selbstbildnis mit silbernem Hintergrund". Sie bringt es mit Aquarellfarbe, Kohle, Bleistift und Blattsilber zu Papier. Ihr Blick ist selbstbewusst, das Kinn hebt sie stolz. Blattsilber umgibt ihren Kopf, die Darstellung erinnert an Ikonenbilder. Die Haut ist blass, die Augen trüb. Die Künstlerin tritt als ephemere Figur auf. Ganz offensichtlich ist hier der Einfluss des Jugendstils. Schjerfbeck arbeitet mit Flächen und Linien und verzichtet weitgehend auf illusionistische Mittel. Vor allem männliche Künstler prägen die Malerei des Jugendstils und machen zarte Frauenfiguren zum Sujet. Schjerfbecks Selbstbildnis wird vor diesem Hintergrund zum emanzipatorischen Akt.

In den kommenden Jahren werden die Porträts der Künstlerin immer reduzierter, schemenhafter, monochromer. Schjerfbeck geht es nicht mehr um die Ähnlichkeit zur Abgebildeten, sondern vor allem um Ausdruck. Ein herausragendes Beispiel ihrer Malkunst ist das „Selbstbildnis mit Palette I" von 1937. Figur und Hintergrund sind in matten Grau- und Grüntönen gehalten. Das Gesicht ist karikativ überzeichnet, die Mundwinkel streben nach unten, die Augen sind nach rechts verdreht. Schatten umspielen den Körper. Schjerfbeck sieht aus, als hätte sie einen Auftritt in einem expressionistischen Film. Nur drei Flecken in Blau, Weiß und Gelb deuten die im Titel genannte Palette an.

Zu Beginn noch fast klischeehaft stellt sich Schjerfbeck in ihrem Spätwerk fernab gängiger Schönheitsideale dar. In den Dreißigerjahren und den frühen Vierzigerjahren entsteht eine ganze Reihe Selbstbildnisse, die sie mit eingefallenem Gesicht und klaffender Mundhöhle zeigen. Schwarz setzt sie dramatisch und psychologisierend ein. In einer Zeit, in der feministische Bewegungen und ein neues Selbstverständnis der Frauen in Europa allmählich den Weg zur Emanzipation ebnen, sind ihre Selbstporträts auch als Statements einer erfolgreichen Berufskünstlerin zu verstehen.