Jeff Koons’ neue Skulpturen „Balloon Venus (Magenta)“ und „Metallic Venus“ verführen den Betrachter derzeit im Liebieghaus und zelebrieren den Eros als Urtrieb, ganz frei von christlichen Schuldgefühlen.

Als im Rahmen der aktuellen Schauen in Frankfurt und Basel sechs lang erwartete neue Skulpturen von Jeff Koons enthüllt wurden, waren die Fans entzückt. Koons bleibt seiner Ästhetik treu und geht doch mit jedem Werk einen Schritt weiter. Zwei der Arbeiten im Liebieghaus, die „Metallic Venus“ und die „Balloon Venus (Magenta)“, sind Teil seiner neuen, erstmals ausgestellten Serie „Antiquity“. Und buchstäbliche Glanzstücke im Oeuvre des Künstlers.

Dass Koons’ Skulpturen inmitten der Sammlung des Liebieghauses gastieren, eingebunden in ein narratives Konzept, das die Entwicklung der europäischen Skulptur aus den antiken Wurzeln nacherzählt, ermöglicht einen ergiebigen Blick auf seine Arbeiten. Unzählige ästhetische Querverweise lassen sich in immer neuen Varianten durchspielen, ikonische Dialoge legen offen, wie eng Koons’ Werk mit diversen Epochen der Kunstgeschichte korrespondiert. Die beiden Venus-Plastiken entfalten hier eine besondere Wirkung.

Orgiastische Szenen

Schon immer bearbeitete Koons das Thema Sexualität, schon immer begeisterten ihn die Mythen und Kunstschätze der Antike. Jetzt spielt die Göttin der Liebe und des Verlangens, „Venus“ in der römischen und „Aphrodite“ in der griechischen Mythologie, die Hauptrolle auf den in der SCHIRN ausgestellten großformatigen Gemälden und als „Metallic Venus“ im Liebieghaus. Mit dieser türkisblau glänzenden Edelstahl-Skulptur transferiert Koons die europäische Antike ästhetisch in die Gegenwart. Und sie ist der Antike näher als es auf den ersten Blick scheinen mag, denn die ins kollektive Gedächtnis eingebrannte Vorstellung von schneeweißen Alabasterkörpern ist ein Mythos. Viele Skulpturen waren nachweislich bunt bemalt, mit Ornamenten und Blattgold verziert. Orgiastische Szenen auf Trinkschalen und Weingefäßen lassen ahnen, wie freizügig die alten Griechen und Römer mit Sexualität umgingen.

Koons’ „Metallic Venus“ zieht lasziv ihr Gewand nach oben, ihre Schenkel sind prall, der Hintern wohlgeformt. Aus einem in die Skulptur eingelassenen Blumentopf blüht eine echte Pflanze und haucht der schönen Dame in erotischer Pose Leben ein. In der Sammlung des Liebieghauses findet sich eine italienische Bronzestatue namens „Venus Kallipygos“ aus dem 16. Jahrhundert, auch sie entblößt sich, deutet mit dem Blick auf ihren nackten Hintern. „Kallipygos“ heißt so viel wie „schönhintrig“.

Üppige Brüste, voluminöse Schenkel

In eine andere Richtung und auf eine andere Epoche verweist die „Balloon Venus (Magenta)“. Wie Koons’ andere berühmte Ballon-Skulpturen mutet sie an, als sei sie aus einem langen Luftballon geformt und geknotet worden. Allein schon durch Höhe und Umfang strahlt die Edelstahl-Plastik eine mächtige Präsenz aus. Sie bezieht sich explizit und unverkennbar auf die 1908 entdeckte Venus von Willendorf, eine wesentliche kleinere Kalksteinfigur aus der Steinzeit, deren Alter Forscher auf über 27.000 Jahre schätzen, und die zu den ältesten plastischen Darstellungen des menschlichen Körpers gehört.

Mit den Schönheitsideal der Antike hat die Venus von Willendorf wenig gemeinsam: Ihre Brüste sind üppig, Bauch und Oberschenkel voluminös und die dünnen, über die Brüste gelegten Arme sind im Vergleich dazu regelrecht dürr. Die ganze Erscheinung legt nahe, dass es sich hier um ein Fruchtbarkeitssymbol handelt. Koons adaptierte und stilisierte die Form der Venus von Willendorf, nur Materialien und Oberflächenhaptik von Vor- und Abbild sind geradezu diametral entgegengesetzt. Er „polierte“ die Ur-Figur auf, verlieh ihr eine neue Weiblichkeit. Und kreierte ein komplementäres, ebenfalls in Magenta glänzendes Pendant: seine neue Plastik „Balloon Swan (Magenta)“, den phallischen Schwan.

Alle drei Arbeiten feiern den Eros, den das Leben erst ermöglichenden sexuellen Urtrieb – in vorchristlicher Zeit ein selbstverständlicher, akzeptierter Teil menschlichen Lebens, das macht auch die Sammlung des Liebieghauses deutlich. Koons’ Werk passt wunderbar hierher, er scheint die Sexualität mit seiner Kunst vom Tabu und von der Erbsünde befreien zu wollen, sie wieder, wie einst in der Antike, zu etwas Göttlichem zu machen. Und gerade dadurch auch zu etwas Menschlichem. Eine lebensbejahende Vision.