Glam ohne Rock – Sound & Vision: ein musikalischer Vortrag am 30. August von Klaus Walter mit Videoclips und Schallplatten – schwarz, glänzend.

Silbern schweben Warhols Luftballonwolken durch die Rotunde der Frankfurter Schirn, silbern sind die Wände seiner Factory, silbern ist das Glas der Discokugel, silbern die Perücke auf dem Kopf von David Bowie, als er 1996 in Julian Schnabels „Basquiat“ den Warhol mimt. Silber ist die Farbe des Glam, Bowie und Warhol seine Helden. Für Darren Pih, den Kurator der Frankfurter Schau, ist Glam „eine gewisse Sensibilität, eine Haltung, eine Art, über Identität nachzudenken. Ein extravaganter Stil, sehr künstlich und androgyn. Im Glam kommen mehrere Dinge zusammen: Kunst, Mode und Musik, exemplarisch bei Roxy Music, der Prototyp der Art-School-Band.“

Die Kunstschulen mit ihren ökonomischen wie kreativen Freiräumen auch für die weniger Betuchten sind Brutstätten des Glam im Großbritannien der frühen 1970er-Jahre. In den USA wird Glam in der Fabrik produziert, in der Factory. Von Andy Warhol stammen die ältesten Arbeiten der Schau, seine Modezeichnungen aus den 50er-Jahren, man sieht ihn in Videos mit Velvet Underground, dann Bowie zu Besuch in der Factory.

„I don´t like your hair, but I like your shoes“, soll Warhol gesagt haben – Bowie ging dann gleich zum Friseur. „David nahm etwas mit aus der New Yorker-Avantgarde-Kunst der Sechziger und überführte es in die Pop-Massenkultur, als er Ziggy Stardust erschuf“, sagt Darren Pih. Bowie als Ziggy, Bowie als Aladdin Sane, Marc Bolan im Glitter-Anzug, Sternenstaub auf den Wangen, Bryan Ferry in Gold-Lamé, Brian Eno mit Federboa.

Glam war ein großer Maskenball. Und eine Vorwegnahme der Identitätsdebatten der 1990er-Jahre, meint Pih. „Es gab die Idee, dass Gender etwas Konstruiertes ist, dass der Gegensatz der Geschlechter nicht naturgegeben ist, dass man sich als Person erfinden kann, all das wurde im Glam vorweggenommen und das hat ihn für Künstler interessant gemacht. Nehmen Sie Katharina Sieverdings Arbeit `Transformer´, benannt nach der gleichnamigen Ausstellung, die Jean Christophe Ammann 1974 in Lausanne kuratiert hatte. Da problematisiert sie den Gegensatz von männlich und weiblich, die Gender-Ambivalenz. Bei der großräumigen Video-Installation morpht Sieverdings Gesicht in das Gesicht ihres männliches Partners Klaus Mettig. Das machte Glam so kraftvoll, die Entdeckung, dass man Identität konstruieren kann, dass man sich in der Kunst neu erfinden kann.“

Stars kokettieren mit ihrer Bisexualität

Sich neu erfinden? Heute ist das ein Imperativ. Wer sich nicht alle fünfzehn Minuten neu erfindet, verliert den Anschluss. In den 1970er-Jahren ist das noch ein Versprechen. „Die Kleidung modellierte den Körper“, schreibt die Kritikerin Judith Watt im Glam-Katalog über die Jagd nach Glamour in der britischen Mode. Als Schlüsselfigur sieht Watt den Londoner Modedesigner und „Image-Macher“ Anthony Price. „Das Neue an Price’ Herrenmode war die Kombination einer ‚heterosexuellen‘ Clark Gable-Silhouette mit einer schwulen Sensibilität.“ Im Glam, so sagt es der Kanon, werden auch die sexuellen Karten neu gemischt. Grenzen verschwimmen, Stars wie Lou Reed, Iggy Pop und David Bowie kokettieren mit ihrer Bisexualität, Reed schickt seinen eigenen „Transformer“ auf den Catwalk - on the wild side. Dave Hickey spricht in diesem Zusammenhang von der „Rhetorik widerrufbarer Enthüllung“, und tatsächlich haben Bowie und Reed schon sehr bald sehr gründlich widerrufen. Auch Peter Hujars emblematisches Foto von Warhols Superstar Candy Darling auf dem Totenbett ist in der Schirn zu sehen.

Hujars Foto, so Darren Pih, „demonstriert, warum Glam als Performance von Style so bedeutend ist, Candy Darling auf ihrem – oder seinem – Totenbett, und sie performt immer noch. Performance never ends.“ Hier hätte sich die Gelegenheit geboten, die heutigen Erben von Glam zu präsentieren, hat doch Antony Hegarty mit Lou Reed „Candy says“ gesungen und Hujars Candy-Foto für das Cover seines Albums „I am a bird now“ verwendet.

Coco Rosie schwärmen mit Antony von den „beautiful boys“: “pimps and queens and criminal queers”.

Zudem bezieht sich Antony immer wieder positiv auf Jack Smith, der hier ebenfalls gewürdigt wird. Er habe den Schwerpunkt bewusst auf die 60er- und 70er-Jahre gelegt, so Kurator Darren Pih. Also kein Antony, kein Queer Pop des 21. Jahrhunderts. Apropos queer: Fragt man Lou Reed, der ja gern für sich in Anspruch nimmt, Antony entdeckt zu haben, heute nach queeren Aspekten seiner Kunst, dann droht er einem Prügel an, ich weiß wovon ich rede. Da bekommt die „Rhetorik widerrufbarer Enthüllung“ einen faden Beigeschmack, die utopischen Potentiale sehen ein bisschen alt aus, wenn man feststellt, dass praktisch alle Stars des Glam-Rock biologische Männer waren, die nach einem kurzen Flirt mit der Androgynität den geordneten heterosexuellen Rückzug angetreten haben. Solche Widersprüche kommen zum Vorschein, weil die Schau Glam als gesellschaftliches Massenphänomen zeigt, als genresprengenden Mix aus High Arts und Low Life. Auf engstem, meist in Schwarz und Silber gehaltenem Raum, koexistieren friedlich in Glam: Cindy Sherman und BRAVO, Richard Hamiltonund namenlose Teenager in verwaschenen Osmonds-T-Shirts. All The Young Dudes.

Und heute: In den queeren Subkulturen der House Music spiegelt sich der Glam der Discokugel, die neuen Queens heißen Mykki Blanco oder Zebra Katz.

Klaus Walter, Jahrgang 1955, ist seit Mitte der 70er Jahre als Autor und DJ in den Themenfeldern Popkultur, Fußball und Politik tätig. Von 1984 bis 2008 war er Moderator und Gestalter der Sendung "Der Ball ist rund" beim Hessischen Rundfunk, seit 2008 arbeitet Walter als Redakteur und Moderator bei dem Internetradio ByteFM.