Seine Aufgabe war es, vom Alltag zu berichten: Der Maler, Zeichner und Karikaturist Jean-Louis Forain fängt alltägliche Szenen des Vie Parisienne ein.

Fünf Damen in pudrig-weißen, bauschigen Kleidern und hochgesteckten Haaren versammeln sich um einen eleganten Herren im schwarzen Anzug und Zylinder. Ihre Blicke gelten ihm, ihre Körper schmiegen sich auf dem breiten Sofa an den seinen. Nur eine einzelne Frau steht allein im Raum. Sie wendet sich vom Geschehen ab und hebt den Rock ihres Kleides gerade so hoch, dass die langen gestreiften Strümpfe und etwas nackte Haut zu erkennen sind.

Jean-Louis Forains Gemälde "Le Salon" von 1876 zeigt auf wunderbar subtile Weise eine alltägliche Szene der Bordelle und Freudenhäuser im Montmartre. Weder der Titel noch die Darstellung lassen auf den ersten Blick das Sujet seiner Arbeit erkennen. Die aufreizende Kleidung der Frauen, ihre Bemühungen um die Aufmerksamkeit des Mannes, das lauschige Interieur, aber auch die Melancholie der abwesend wirkenden Prostituierten: erst bei näherer Betrachtung erschließt sich die Szenerie und Stimmung des Bordells. Forain nimmt sich mit "Le Salon" einem zu jener Zeit populären Thema an. Prostitution gehörte selbstverständlich zu dem Leben am Montmartre, war für viele Frauen aber bitterer Brotverdienst. Künstler wie Henri de Toulouse-Lautrec bekundeten Sympathien zu den Huren, zählten sie doch, wie die Künstler, zu den Außenseitern der Pariser Gesellschaft.

Jean-Louis Forain (1852-1931), geboren in Reims, zog 1860 mit seiner Familie nach Paris. Das Leben in der Hauptstadt, aufregend und aufreibend zugleich, war ihm wohl bekannt. Nach gescheiterten Ausbildungsversuchen an der Ècole des Beaux-Arts sowie bei privaten Lehrern (darunter der Bildhauer Jean-Baptiste Carpeaux) gehörte Forain als künstlerischer Autodidakt in den 1870er- und 80er-Jahren zu der Bohème in Paris. Zu seinen engsten Freunden zählten der Künstler Edgar Degas und der Dichter Arthur Rimbaud. Spätestens seit seiner ersten Ausstellung im Pariser Salon 1879 und seiner Beteiligung an den Ausstellungen der Impressionisten war er ein beachteter Künstler. 1925 wurde er zum Präsidenten der Société Nationale des Beaux-Arts ernannt.

Forains provokante Radierung "Marthe" wurde als zu implizit abgelehnt

Neben seiner Tätigkeit als Maler erschienen Forains satirische, oftmals politische Karikaturen in den Tages- und Wochenzeitungen. Die kritischen Zeichnungen waren unter den Pariser Lesern so beliebt, dass man sich untereinander fragte: "Hast du schon den neusten Forain gelesen?". 1889 gründete er schließlich eine eigene Zeitung, "Le Fifre". Bereits drei Jahre später erschien ein erster Sammelband, "La Comédie Parisienne".

Auch zur literarischen Welt unterhielt er Verbindungen. Sein Freund und Förderer, der Romancier und Kunstkritiker Joris-Karl Huysmans brachte 1876 seinen ersten, äußerst umstrittenen Roman "Marthe. Histoire d'une fille" heraus, eine realistische Erzählung über eine französische Prostituierte. Zu der Schrift, die nach ihrem Erscheinen zunächst verboten wurde, fertigte Forain die ebenso provokante Radierung "Marthe" an. Die ursprüngliche Version einer Frau, die sich dem Betrachter in direkter Pose, nichts außer geringelter Strümpfe, Schuhe, Schmuck und einen Schirm tragend zuwandte, wurde jedoch als zu implizit abgelehnt. Daraufhin entstand das heute bekannte Frontispiz für "Marthe" (1879), auf welchem die junge Frau mit entblößter Brust, selig entrücktem Blick und einer Weinflasche im Arm gezeigt wird.

Das Bild ist ein augenzwinkernder Kommentar Forains an die strengen Zensurbestimmungen, wie auch ein Seitenhieb auf die ausschweifenden Alkoholfreuden seiner Zeit. Die Aquarelle "L’Absinthe ou l’ouvrier demandant du champagne" (1885) und "À la guinguette" (1880) spielen auf die beliebte grüne Kräuterspirituose Absinth an, der ein mancher am Montmartre verfallen war, sowie die Guinguettes, kleine Kneipen oder Gartenlokale am Stadtrand von Paris, in denen es günstigeren Wein gab und die schnell Anlaufpunkt für die Bohème wurden. Vincent van Gogh porträtiert mit "La Guinguette à Montmartre" (1886) eines dieser Lokale, Renoirs berühmtes Gemälde "Das Frühstück der Ruderer" spielt ebenso in einer jener Guinguettes. Doch es sind Forains Aquarelle, die nicht die malerische, romantische Atmosphäre der Gartenlokale einfangen, sondern mit unverklärtem Blick und Witz den simplen Akt des Trinkens darstellen. 

Jean-Louis Forain war in jeglicher Hinsicht ein Mann seiner Zeit. Obgleich er in den Künstlerkreisen der Bohème um den Montmartre zu Hause war, hat er sich die Fähigkeit bewahrt, das Geschehen wie ein Außenstehender zu beobachten. So sind zurückhaltende Malereien und scharfsinnige Zeichnungen entstanden, die von ausgesprochener Beobachtungsgabe zeugen. Das verwundert kaum, erklärte er doch selbst, dass es seine Lebensaufgabe sei, vom Alltag zu berichten.