George Condo inspirierte Koryphäen der Weltliteratur wie Salman Rushdie und William S. Burroughs. In Großbritannien reichten Nachwuchsautoren von seinen Bildern angeregte Kurzgeschichten ein, Condo selbst kürte die Gewinnerin.

Die Welt auf Condos Leinwänden ist eine fantastische, mal dunkle, mal schrill psychedelische. Eine, die von Autoren wie Franz Kafka, Thomas Pynchon oder William S. Burroughs hätte entworfen sein können. Wenn sie die Marotten und Neurosen ihrer Charaktere beschreiben und ihre Existenz – meist am Rande der Gesellschaft – poetisch umreißen, entstehen Bilder im Kopf. Bei Condo ist es umgekehrt: Er liefert manische Gesichter und bizarre Körper, den Rest fühlt und denkt der Betrachter dazu.

Jesus im Supermarkt

In London schrieb die Hayward Gallery, Partner der gerade in der Schirn zu sehenden Condo-Retrospektive, einen Kurzgeschichten-Wettbewerb aus. Neben Hayward-Direktor Ralph Rugoff saß Condo selbst in der Jury. Die Aufgabe: Eine 300 Wörter lange Kurzgeschichte zu einem von Condos fiktiven Charakteren schreiben. Aus mehreren Hundert Einreichungen wählten Rugoff und Condo eine Shortlist der besten Erzählungen mit ganz unterschiedlichen Szenarien aus. In einer sitzt Condos unschuldig drein blickender „Jesus“ (2002) am Weihnachtsabend mit einem weißen Damen-Nachthemd bekleidet in einem Supermarkt zwischen reduzierten Artikeln und feiert berauscht von Medikamenten Geburtstag (zur Kurzgeschichte von Peter Higgin-Jones). In einer anderen Geschichte wird „The Art Collector“ (1985) zu einer grotesk überschminkten großen Schwester, die ihren verängstigten kleinen Bruder durch die Wohnung jagt (zur Kurzgeschichte von Elina Koudriakova).

Gewinnerin Clare Hill schrieb ihren Beitrag zu Condos „The Psychoanalytic Puppeteer Losing His Mind“ (1993, zur Kurzgeschichte von Clare Hill). Auf dem Gemälde starrt eine hagere Gestalt in pompösem historischen Gewand den Betrachter an, weiches weißes Haar umspielt den kleinen Kopf, ein auratischer Schleier hebt sie vom tiefschwarzen Hintergrund ab. Von ihren Händen hängt je ein dünner abgerissener Faden herab, die Fadenenden führen zu einer kleinen Holzpuppe, die sich scheinbar plötzlich animiert davon macht. Die Nachwuchsautorin griff die Metaphorik des Bildtitels auf und entwarf ein literarisches Porträt, in dem der Puppenspieler seiner zum Leben erweckten Holzpuppe zu einem Abgrund folgt, wo sie ihn zum Springen auffordert.

Fruchtbare Begegnungen

Condos Puppenspieler inspirierte vor ein paar Jahren schon einmal einen Literaten – keinen geringeren als Salman Rushdie. In seinem 2001 erschienenen Roman „Fury“ entflieht die Hauptfigur der Enge gesellschaftlicher Zwänge, bricht aus der starren Universitätskarriere aus und kreiert für eine Fernsehshow die philosophierende Puppe „Little Brain“. Rushdie fügte in seinen Roman sogar eine Beschreibung des Gemäldes ein. Im gleichen Jahr lernten sich Condo und Rushdie auch persönlich kennen, eine fruchtbare Begegnung für beide Künstler.

Zu den Autoren, die Condo geprägt haben, zählt Beat-Legende William S. Burroughs. Bis zu Burroughs Tod im Jahr 1997 arbeiteten die beiden immer wieder zusammen und entwarfen gemeinsam Werke wie Gemälde oder Skulpturen. Condo illustrierte Kurzgeschichten von Burroughs, etwa die Novelle „Ghost of Chance“, die in der Reihe „Whitney Museum Artists and Writers“ erschien. 1997 zeigte die Pat Hearn Gallery in New York die Ausstellung „The Horse and the Cardinal: George Condo and William Burroughs Collaborative Works 1988-1996“. Auch Beat-Autor Allen Ginsberg war mit Condo befreundet und ließ ihn sein Porträt für eine Publikation seiner gesammeltem Gedichte malen.

Segelohren und Diademe

Condos Figuren sind surrealistisch, fantastisch, grotesk und damit bedeutend menschlicher als jeder makellose Held. Sie könnten auch aus einer Erzählung des britischen Autors und Journalisten Will Self stammen. In einem Essay für den Katalog zur Condo-Retrospektive in der SCHIRN schrieb er: „Es ist eine Binsenweisheit der Literaturgeschichte, dass in der Erzählkunst der soziale Status der Protagonisten beständig nach unten tendierte: Die frühesten Epen handelten von Göttern, gefolgt von den Heldensagen. Schließlich widmete sie sich Kaisern und Königen, Edelmännern und Aristokraten. Als die Form des Romans im gesellschaftlichen Laboratorium des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde, beschrieb er vornehmlich die Bourgeoisie, im vergangenen Jahrhundert waren schließlich Männer und Frauen aus dem gemeinen Volk ausreichend. Wie in der Fiktion so verhält es sich in der visuellen Kunst. Für ernsthafte Künstler aus Condos Generation – wie Condo selbst – handelt es sich erst dann um Porträtkunst, wenn sie unbeirrbar auch die Segelohren und Diademe zeigt, die raffinierten Kleckse des ewig Neotenischen, die Chimären aus Liebe … und Plastik.“

Visionen auf Meskalin

„Antipodal Beings“ nennt Condo selbst seine Gestalten in Anlehnung an Aldous Huxley, Autor des bahnbrechenden Romans „Schöne neue Welt“. In seinen Essays „Die Pforten der Wahrnehmung“ (1954) und „Himmel und Hölle“ (1956) beschreibt er visionäre Regionen des Bewusstseins als „Antipoden“, in denen imaginäre Wesen zuhause sind. Nur ein Zustand der Entrückung mache es laut Huxley möglich, in diese Regionen vorzudringen – in seinen Essays schildert er seine Experimente mit Meskalin und anderen bewusstseinserweiternden Drogen.

Condos Charaktere mögen aus tiefliegenden Bewusstseinsphären kommen, muten aber wie psychopathologische Visualisierungen möglicher Existenzen unserer Gegenwart mit ihren vielen unmöglichen Lebenswelten an. Und damit auch ziemlich real. Condo kehrt das Innerste seiner Figuren nach außen, und das lässt sie auf den ersten Blick befremdlich, auf den zweiten Blick aber berührend authentisch erscheinen. Seine Gemälde sind Seelenspiegel, die man lesen kann wie ein Stück Literatur.