1970 verursacht Philip Guston mit einer Ausstellung ein Beben in der New Yorker Kunstszene. Der Skandal wird für den Künstler zum Befreiungsschlag.

Dicke Zipfelkapuzen mit Augenschlitzen, dampfende Zigaretten, ausgelatschte Männerschuhe, Hände, Glühbirnen und viel Fleischfarbe: Was die Besucher der Eröffnung von Philip Gustons Ausstellung 1970 in der New-Yorker Marlborough Galerie erwartet, verschlägt vielen völlig die Sprache. Und zwar buchstäblich: Sein bester Freund, der Komponist Morton Feldman, bleibt stumm, als Guston ihn fragt, wie er die Bilder denn finde. Dann geht er, wortlos. Der Kontakt bricht ganz ab. Es habe sich angefühlt als sei er damals aus der Kirche ausgetreten, sagt Guston ein paar Jahre später.

Ein Foto, das am gleichen Abend nach der Eröffnung entsteht, zeigt Guston und seine Frau Musa in heiterer Stimmung. Er weiß, was er tut. Die Reaktionen dürften ihn nicht überraschen. Er tut es aus Überzeugung. Gustons Kunst ist nicht mehr abstrakt, sie ist jetzt gegenständlich, eigen und politisch. Sie zeigt eine Welt, und zwar keine heile. Die Kapuzenwesen sind Mitglieder des Ku-Klux-Klans. Die politische Situation Ende der 1960er-Jahre – Vietnamkrieg, Studentenproteste, Rassenunruhen – habe ihn dazu bewegt, das „Reine“ des Abstrakten Expressionismus hinter sich zu lassen, sagt er. Guston malt sich sogar selbst mit Ku-Klux-Klan-Kapuze: „Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn ich mit dem Klan leben würde. Wie wäre es wohl, böse zu sein?“ 

Die New Yorker Kunstszene fühlt sich verraten. Guston, Vorzeigefigur der zweiten Generation Abstrakter Expressionisten, malt Figuren, und was für welche. Nur einer versteht ihn, der Maler Willem de Kooning, den seine Freunde nur Bill nennen. In der Galerie zieht er Guston an sich heran, er sei neidisch, sagt er, Guston fühlt sich geschmeichelt. Er schätzt den Kollegen, der selbst wegen seiner Darstellungen von Frauenkörpern in Verruf geraten war. Auch er hatte sich dem Abstrakten Expressionismus nie ganz verschrieben. Das einzig wichtige sei die Freiheit, sagen die beiden Maler an diesem Abend und liegen sich in den Armen.

Er malt wie es ihm passt

In der New York Times schreibt Hilton Kramer eine bissige Kritik, Guston habe jeglichen Bezug zur Gegenwart verloren. Clement Greenberg spricht von „Kitsch“. „Ku-Klux Komix“ titelt Robert Hughes verächtlich. Er wird seine Kritik später korrigieren, Guston habe die Denkkategorien einer ganzen Generation amerikanischer Maler neu definiert, heißt es dann. Nur Harald Rosenberg schreibt schon 1970 eine positive Kritik. Guston hat die Galerie wohlweislich darum gebeten, ihm keine Ausschnitte von Zeitungsartikeln zu schicken. Er will erstmal Urlaub in Europa machen. 

In Venedig kommen die Kritiken dann doch per Post an. Guston wird schwach und liest, auch Kramers Artikel. „Eine halbe Stunde lang war ich außer mir, und dann schmiss ich ihn in einen der Kanäle. Warum sollte ich in Venedig deprimiert sein?“ Er hat sich bewusst für seinen Weg entschieden und bleibt konsequent. Bald verlässt Guston New York, zieht sich zurück nach Woodstock, tauscht sich mit jungen Schriftstellern statt mit Künstlern aus, malt, malt, malt und zeichnet, so wie es ihm passt. Die Kapuzen lässt er hinter sich, jetzt malt er Dinge aus seiner Umgebung wie Stromkabel oder Farbdosen. Er nimmt sich die Freiheit.

Guston ist in seiner produktivsten Schaffensphase angekommen: Rund 650 gegenständliche Gemälde und Hunderte von Zeichnungen entstehen. Sein Spätwerk bringt den viel beachteten Guston-Stil hervor, den Kritiker, Kuratoren, Künstler und Sammler heute so schätzen. Zipfelkapuzen, dampfende Zigaretten und Glühbirnen sind längst Gustons Markenzeichen.

Zitate Philip Guston aus: Nicholas Serota (Hrsg.), „Philip Guston: Paintings 1969–1980“, Ausst.-Kat. Whitechapel Art Gallery, London 1982.