Mit seinen Porträts nimmt der US-amerikanischen Maler George Condo den Besucher mit auf einen Spaziergang durch die Kunstgeschichte. Von Rembrandt bis Kubismus findet sich eine atemberaubende Spannweite.

Den Anfang macht der „Skinny Jim“: Wie ein stummer Diener begrüßt der lebensgroße Aufsteller die Besucher der Ausstellung „George Condo. Mental States“. Ein kreisrundes Loch klafft dort, wo im Originalgemälde eigentlich das Gesicht sein sollte – eine Einladung, sich an dieser Stelle selbst in die schrecklich nette Familie des US-amerikanischen Malers einzureihen. Dabei ist die clownesque Figur mit Halskrause und Zigarette in der Hand nur eine von zahlreichen Persönlichkeiten, mit denen man in der Ausstellung Bekanntschaft macht: Im zweiten großen Raum „Porträts“ finden sich gleich eine ganze Vielzahl von ihnen, einige auf metergroße Leinwände gemalt, während sich andere mit nur wenigen Zentimetern Platz begnügen müssen.

Es lächelt, grinst und spottet

Es lohnt sich, die in klassischer Petersburger Hängung angebrachten Malereien in ihrer monumentalen Gesamtheit auf sich einwirken zu lassen: Wie eine Armada der Groteske prangen die Porträts an der Wand, die sich so oder ähnlich auch als private Kunstsammlung in einem Salon befinden könnte. Von allen Ecken und Enden grinst und lächelt es von der Ausstellungswand gen Zuschauer, mal scheinbar höflich und schüchtern („Mad Mary“), dann wieder hämisch und spöttisch. Manch ein Porträt scheint sich gar vor den intensiven Blicken des Publikums zu fürchten („Lady Crimp“), und wieder ein anderes ist so in seiner eigenen Welt gefangen, dass es vom Außen nur wenig mitbekommen dürfte – was Titel wie „The Introvert“ auch unmissverständlich deutlich machen. Der Wahnsinn ist den meisten Porträtierten förmlich ins Gesicht geschrieben und kommt doch durch die humoreske Hintertür, was ihn jedoch kaum weniger unheimlich wirken lässt. Einige Porträts glänzen durch ihre ausgesprochene Albernheit – mit prall gefüllten Bäckchen, an denen nur eine einzige Zahnreihe glänzt, mit weit aufgerissenen Augen und knubbeligen Nasen, die man in dieser Form eher in der Welt der Comics als in der Bildenden Kunst verorten würde.

Pop-Art und die alten Europäer

Gerade dieses Spiel mit einem äußerst klassischen Kunstverständnis der alten europäischen Malerei, die sich sowohl in den Vorbildern zu einzelnen Motiven wie auch in der traditionellen Hängung selbst widerspiegelt, und dem ur-amerikanischen Phänomen der alles verwertenden Pop-Art zieht sich wie ein roter Faden durch George Condos Werk. Und tatsächlich war es die New Yorker Factory von Andy Warhol, in die es den jungen Condo ohne Studienabschluss und nach zahlreichen Aushilfstätigkeiten zog und in der er sich zunächst als Assistent beim Siebdruck verdient machte.

Dass Condo der Job in der Factory jedoch schnell zu langweilig wurde, versteht sich angesichts seines sprühenden Ideenreichtums fast von selbst. Schnell suchte er sich ein künstlerisches Ventil, mit dem er seine bei zahlreichen Ausstellungen und Museumsbesuchen gesammelten Eindrücke höchst eigenwillig interpretieren konnte. Das besondere Versprechen der Pop-Art, alles als Vorlage nutzen zu dürfen, spiegelt sich auch in den „Fake old masters“ wider, mit denen sich der junge Condo in den frühen 1980er Jahren schnell zum Gesprächsthema machte. Der Name ist Programm: Im Stile alter Klassiker, aber immer eigenständig entwirft George Condo Persönlichkeiten, die es in dieser Form niemals gegeben hat. Seine Porträts strotzen nur so vor Selbstbewusstsein und zeigen scheinbar wenig Ehrfurcht gegenüber ihren historischen Vorbildern – mit Halskrausen und tollkühnen Blicken können sie auch im 20. Jahrhundert noch aufwarten.

Menschliche Zustände

Die verschiedenen Porträtmalereien spiegeln die einzigartige Virtuosität wider, mit der sich George Condo seinen historischen Vorbildern nähert. Mal wird ein Bildnis ganz im Stile der alten Meister geschaffen, dann wieder greift es auf moderne Strömungen der Kunstgeschichte zurück. Im Einzelnen lassen sich die konkreten Einflüsse jedoch nicht immer ausmachen, die Porträts lieben das Spiel mit den Uneindeutigkeiten. So zum Beispiel „Jesus“ – ein halsloser Geselle mit irrem Blick, das Gesicht mit den typischen Attributen aus dem Condo´schen Repertoire ausgestattet, mit dicken Bäckchen und fast lippenlosem Mund, die Zähne nach außen gekehrt, nur die Dornenkrone und die langen, braunen Haare erinnern an die bekannten Darstellungen vom Sohn Gottes. Ganz und gar im kubistischen Stile fertigt Condo „The happy Banker“, während sich „Memories of Rembrandt“ zwar nicht im Motiv, aber doch in der Gestaltung von Licht und Farbe eindeutig am benannten Vorbild orientiert.

Scheinbar mühelos wandelt George Condo durch die Kunstgeschichte, bedient sich mal diesem und mal jenem Malstil. Von anderen Künstlern seiner Zeit unterscheidet ihn vor allem die Ernsthaftigkeit, mit der er seine einzelnen Motive in Szene setzt. Keine ausufernden Collagen unterschiedlicher Stile und Motive finden sich an dieser Wand. Stattdessen wirkt jedes Porträt äußerst konzentriert, in sich abgeschlossen und in seiner vordergründigen Komik oftmals fast schon wieder tragisch. So comichaft die einzelnen Charaktere auch scheinen mögen, ihr Ausdruck erinnert doch an reale, menschliche Vorbilder und bleibt somit psychologisch stimmig. Durch diesen Spagat zwischen Humor und Ernsthaftigkeit gelingt es George Condo, die unterschiedlichen Facetten menschlicher Persönlichkeit – die „Mental States“ – mit den sprichwörtlich nah beieinander liegenden Freud´ und Leid´ in einem einzigen Bild zu konzentrieren. Oder, wie es George Condo in einem Interview mit der US-amerikanischen Vogue selbst ausdrückte: „Es ist eine Art psychologischer Kubismus. Nicht nur die unterschiedlichen Emotionen, sondern auch die verschiedenen Erinnerungsformen von Kunst werden gleichzeitig porträtiert.“