In seinem der Zensur zum Opfer gefallenen Blog ließ Ai Weiwei tief in sein Privatleben, sein Werk und seine politische Einstellung blicken. Tausende Fotos aus seinem Netztagebuch sind jetzt in einer Installation in der Schirn zu sehen.

„Ich glaube nicht an diejenigen, die das Internet kontrollieren wollen", sagte Ai Weiwei im November einer irischen Zeitung, gefragt danach, was er sich denn alles von Xi Jinping, dem neuen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, wünsche. In dem Land mit den meisten Internetnutzern der Welt werden ständig Einträge und ganze Webseiten gelöscht und Dissidenten zum Schweigen gebracht, Ai Weiwei verbrachte 2011 über 80 Tage in einem chinesischen Gefängnis. Seine Stimme hat der umtriebige Aktivist längst wieder erhoben: Er twittert täglich und befüllt einen neuen Blog unermüdlich mit Statements, Links und Fotos. Einige Hundert seiner im Netz veröffentlichten Aufnahmen sind jetzt in der Ausstellung „Privat" in der Schirn als Installation auf zwölf Bildschirmen zu sehen.

Die Schnappschüsse geben Einblick in banale Momente aus Ai Weiweis Alltag und in seine Reisen, dokumentieren aber auch Kunstprojekte oder sind selbst Teil einer Werkreihe, etwa von „Study in Perspective". Diese Fotos zeigen Ai Weiweis ausgestreckten Mittelfinger vor Gebäuden wie dem Weißen Haus in Washington, Skylines oder Landschaften -- auf einem Bild, das Teil der Installation ist, streckt er seinen Mittelfinger in Richtung Fridericianum aus, die Kasseler Kunsthalle war gerade wieder documenta-Schauplatz. Politik, Kunstbetrieb, Privates und Werk verschmelzen zu einem für alle verfügbaren Universum.

Mit KFC-Tüte auf dem Kopf

Wie ein virtuelles Tagebuch lassen sich die Motive lesen: Ai Weiwei in der Badewanne mit Schaum auf seinem üppigen nackten Bauch, Katzen in seinem Pekinger Studio, chinesische Suppen, eine Geburtstagsparty, Milchkühe im Stall, Ai Weiwei mit einer Papiertüte der Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken auf dem Kopf, eine deutsche Wurstauslage, Ai Weiweis vom Blitzlichtgewitter geblendeter Blick auf eine Gruppe von Fotojournalisten. Andere Bilder dokumentieren Vorbereitungen zu Ausstellungen und die Arbeit an Kunstwerken, zeigen etwa Ai Weiwei beim Bemalen antiker Urnen mit dem Coco Cola-Schriftzug, oder wie er jungen Männern Haarskulpturen auf den Kopf rasiert. Der Künstler legt alles offen, er teilt, was er sieht, erlebt, entdeckt und handelt damit ganz im Sinne einer verbreiteten Netzphilosophie, die das Private auf ein Minimum reduziert.

So viel Transparenz konnte bei einem chinesischen Regime, das vieles lieber im Verborgenen lässt, nur für Unmut sorgen. 2009 veranlasste es das Löschen des Blogs mit Einträgen aus drei Jahren, Anstoß hatten die Funktionäre vor allem an einem legendären Projekt genommen, das die Aufmerksamkeit auf die vertuschte Schuld der Regierung am Tod von tausenden Schulkindern lenkte, die 2008 bei einem Erdbeben in der Provinz Sichuan in schlecht gebauten Schulgebäuden ums Leben kamen. Vergangenes Jahr erschienen seine gesammelten Reflexionen und Botschaften unter dem Titel „Macht euch keine Illusionen über mich -- der verbotene Blog" als Buch auf Englisch und Deutsch. Mittlerweile bloggt Ai Weiwei wieder, zum Schweigen lässt er sich nicht bringen.

Eine interaktive soziale Plastik

Die Netzgesellschaft ist ohnehin schneller als die Zensoren, und Ai Weiwei weiß, wie man sich Funktionsweisen und Reichweite des Mediums zunutze macht. Gerade sorgte er mit seiner Version des „Pferdetanzes" des südkoreanischen Rappers Psy für Aufsehen. Auf den weltweiten Hype um dessen gesellschaftskritisches Video „Gangnam-Style" -- es hält den Weltrekord des Clips mit den meisten Klicks bei YouTube -- reagierte Ai Weiwei sofort und drehte ein Video, in dem er selbst den Pferdetanz zum Besten gibt, mit Handschellen. Eine im Grunde banale Aktion, die erst durch die absurde Reaktion des chinesischen Regimes politisch wurde: Wenige Stunden nach der Veröffentlichung wurde der Clip in China zensiert.

Ai Weiweis Adaption hatte sich jedoch längst auf der Welt verbreitet, durch Posts in Social Media und Berichterstattung in Online-Medien. Ebenso schnell ging schließlich die Nachricht der absurden Zensur um die Welt und lenkte die Aufmerksamkeit einmal mehr auf die Zustände in China. Wenn Ai Weiwei etwas im Netz anstößt, dann rollt der Stein schneller als er zu stoppen ist. Er hat es geschafft, eine interaktive soziale Plastik aufzubauen, die im Netz ihren festen Platz hat. Und hier ist sie nicht kontrollierbar.