Der Maler Eberhard Havekost bediente sich schon des großen digitalen Bildfundus, als Facebook, Instagram und Co. noch in den Kinderschuhen steckten.

Besonders in den nuller Jahren zählte er zu den maßgeblichen Protagonisten der jungen deutschen Malerei. Eberhard Havekost, 1967 geboren, studierte in den Neunzigern an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Man feierte nach der Jahrtausendwende die „Neue Leipziger Schule“, zu der Neo Rauch, Tim Eitel, Matthias Weischer und viele weitere Künstler gezählt wurden. Havekost fühlte sich nie als Teil dieser Gruppe. Heute lebt und arbeitet der Künstler in Berlin.

Wenn es ein Schlüsselwort für Eberhard Havekosts Malerei gibt, dann ist es „Benutzeroberfläche“. So benannte Havekost im Jahr 1999 ein Gemälde, das sich seit 2007 in der Sammlung des Städel Museums befindet. Seine Bilder bieten dem Betrachter diverse Einstiegsmöglichkeiten, Verweise, die aber nie allzu eindeutig sind. Havekost malt (fast) alles: Personen, Automobile, immer wieder Gebäude. Die Bildmotive sind meist am Computer bearbeitet, verzerrt, in extremen Perspektiven oder ausschnitthaft wiedergegeben. 

Farbflächenmalerei 

Oft widmet sich Havekost einem Motiv in mehreren Durchgängen, variiert Blickwinkel und Bildausschnitt. Seien es Balkone (spät-)moderner Wohnanlagen, die man auch auf dem Bild aus der Städel-Sammlung antrifft, oder Wohnwagen und Zelte, provisorische Behausungen, die für unsere nach Flexibilität dürstende Gegenwart stehen könnten. Die Fenster eines doppelstöckigen Regionalzugs werden bei Havekost schon fast zur Farbflächenmalerei.

Eberhard Havekost, Benutzeroberfläche 1, 1999. Städel Museum, Frankfurt am Main. Photo: Rühl & Bormann. © Eberhard Havekost, courtesy of Galerie Gebr. Lehmann, Berlin/Dresden, Image via db-artmag.de

Die Bilder kippen oft ins Abstrakte, das Motiv löst sich in Flächen und Strukturen auf. Havekosts Malweise ist dennoch gegenständlich und klar. Oftmals verwischt Havekost einzelne Partien mit dem Pinsel. Dadurch changieren seine Bilder zwischen Unschärfe und (geometrischer) Strenge. Vom Duktus her lassen sie bisweilen an Luc Tuymans oder an Gerhard Richter denken. Havekosts Bildmotive sind jedoch alltagsnah und zeitgenössisch. 

Ein Einstieg in die Digitalisierung 

Eberhard Havekost malt fast immer nach Fotos und distanziert sich von der Erwartung eines eigenständigen, genialen Bildeinfalls. Das tat zwar auch schon Gerhard Richter. Neu bei Havekost ist aber, dass seine Bildvorlagen zunehmend digital sind. Es sind Fotografien und Bilder, die auf Bildschirmen zu sehen sind, die nicht als Papierausdruck existieren. Spielt bei Richter noch die spezifische materielle Anmutung des Drucks eine Rolle, so markiert Havekosts Ansatz einen Einstieg in die Digitalisierung der Bildwelt, die in den letzten Jahren so rasant vorangeschritten ist.

Eberhard Havekost, Ausstellungsansicht "Retina" in der SCHIRN 2010, Foto: Norbert Miguletz

Soziale Netzwerke wie Instagram funktionieren nur noch visuell, Tag für Tag kommen Millionen Fotografien hinzu. Rückblickend kann man Havekost mit seiner radikalen Lust am Visuellen als einen Pionier unserer heutigen, schnellen Bildkultur sehen. Doch seine Gemälde sind keine Selbstinszenierungen und zeigen keine geschönten privaten Szenerien. Vielmehr durchweht Havekosts Bilder eine Stimmung von Kälte und Entfremdung. Sie erzählen manchmal auch von Verbrechen und Zerstörung. Wenn Havekosts Malerei einen Sound hätte, wäre dieser wohl elektronisch, kühl, industriell. 

Am unteren Bildrand ein blanker Fuß 

2009 experimentierte Eberhard Havekost mit bis zur Unkenntlichkeit abstrahierten, unscharfen Bildmotiven, die seine Malerei „malerischer“ machten, die Farbwirkung stärker in den Vordergrund rückten. Arbeiten aus dieser Werkphase waren 2010 in Havekosts Einzelausstellung „Retina“ in der SCHIRN zu besichtigen.

Eberhard Havekost, Hotel 2003, Courtesy, Courtesy: Galerie Gebr. Lehmann, Foto: Werner Lieberknecht

In der aktuellen Ausstellung „ICH“ sind zwei Inkjet-Fotoprints von Eberhard Havekost zu sehen, die ein Fragment aus dem nomadischen Leben eines erfolgreichen Künstlers festhalten. Die beiden kleinformatigen Blätter heißen „Hotel“. Sie sind 2003 entstanden. Die typische, neutral-anonyme Hoteleinrichtung steht im Mittelpunkt der Fotografien. Am unteren Bildrand taucht einmal ein blanker Fuß auf, einmal ist ein Stück Knie zu sehen. Die abgebildete, sich selbst abbildende Person ist nur bedingt zu sehen. Der Verweis darauf ist so minimal wie nur möglich. Er reicht jedoch aus, um Präsenz zu suggerieren.