In der November-Ausgabe des DOUBLE FEATURE zeigt die SCHIRN drei Werke der finnischen Künstlerin Salla Tykkä. Im Anschluss ist ihr Lieblingsfilm „Total Recall“ des niederländischen Regisseurs Paul Verhoeven zu sehen.

Die Besonderheit der Riesenseerose „victoria regia“ dürfte dem Pflanzenkenner geläufig sein: an zwei aufeinander folgenden Tagen erblüht ihre Blüte zuerst in strahlendem Weiß, am darauf folgenden Tag schließlich in Rosa. Die 1973 in Helsinki geborene Künstlerin Salla Tykkä lässt den Betrachter ihres Werks „Victoria“ (2008) an dem kleinen Spektakel teilhaben: In erhabenen Aufnahmen wird die Pflanze mit ihren eindrucksvollen Blättern von allen Seiten gefilmt. Zu den Klängen von Gustav Mahlers 5. Sinfonie wiegt sich die Blüte schließlich hin und her und gibt alsdann den Blick auf ihre zunächst weiße Blütenpracht frei. Die den Bildern innewohnende Schönheit verbindet sich mit den melancholisch sehnsüchtigen Streichern aus Mahlers Sinfonie zu einer geradezu ekstatischen Zelebration vergänglicher Schönheit.

„Victoria“ stellt den ersten Teil einer erst kürzlich abgeschlossenen Trilogie dar, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit den Kategorien Schönheit und Perfektion befasst. „Airs Above the Ground“ stellt die Pferderasse der Lipizzaner in den Mittelpunkt der Betrachtung. In dem Werk aus dem Jahre 2010 werden die artifiziellen Dressurübungen eines ausgewachsenen Dressurpferdes mit Aufnahmen von frei umhertollenden Fohlen auf einer Koppel gegengeschnitten. In „Giant“ hingegen, der bei DOUBLE FEATURE in der SCHIRN seine Deutschlandpremiere feiert, beendet die Künstlerin nach Beispielen aus Flora und Fauna die Trilogie mit dem Menschen selbst. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die jungen Gymnasten eines berüchtigten Turnzentrums in Deva, Rumänien. Seit den 1970er-Jahren, zur Zeit der Ceausescu-Diktatur, werden in der Kaderschmiede Kinder von klein an auf den Olympia-Sieg hin trainiert und diszipliniert. Tykkä montiert in „Giant“ Interview-Ausschnitte mit den jungen Turnern mit selbstgedrehtem sowie historischem Material vom Training vor Ort.

Nach der Aufnahme ihres Kunststudiums begann Salla Tykkä sich mehr und mehr für Fotografie und, von dieser ausgehend, für Film zu interessieren. Während sie zuvor ausschließlich gemalt und gezeichnet hatte, fand sie in den Mitteln der Fotografie die Möglichkeit, ihrem durch die Kunsthochschule entstandenen Interesse am Realismus adäquaten Ausdruck zu verleihen. Die intensive Beschäftigung mit dem Medium der Fotografie und des Films sind so auch der Trilogie anzumerken: Alle drei Werke verbindet eine einheitliche Formsprache, die die inhaltliche Verbundenheit der Arbeiten aufgreift. Die Art, wie die Seerose in „Victoria“ von der Kamera ins Bild gesetzt wird, wiederholt sich in gleicher Weise in „Airs Above the Ground“ mit dem Zuchtpferd und schließlich den turnenden Gymnasten in „Giant“. In den Fokus gerückt wird in der Trilogie das Gegensatzpaar der Natur auf der einen und Kultur auf der anderen Seite. Sei es die Seerose, die ihren Namen der britischen Königin verdankt und von Botanikern im 19. Jahrhundert aus dem Amazonas nach Europa gebracht und hier kultiviert wurde; seien es die Lipizzaner, die durch ihre Dressur in der Spanischen Hofreitschule zu Wien seit der Habsburger Monarchie weltbekannt wurden oder eben die von frühester Kindheit zum Olympiasieg gedrillten Kinder in Deva: In allen drei Fällen steht die vermeintlich natürliche Schönheit und Perfektion stets in direkter Beziehung und Konflikt zu Zucht und Drill, eben der Kultivierung bzw. vielmehr Kultiviertheit schlechthin.

Im Anschluss an die Trilogie wird mit „Total Recall“ der Lieblingsfilm der Künstlerin gezeigt. Die 1990 veröffentlichte Science-Fiction Dystopie des niederländischen Regisseurs Paul Verhoeven gilt längst als Kultfilm. In der Hauptrolle ist der österreichische Superstar und spätere Gouverneur Kaliforniens, Arnold Schwarzenegger, zu sehen. Der Film erzählt die Geschichte des Bauarbeiters Douglas Quaid (Schwarzenegger), der sich, um seinem tristen Alltag zu entkommen, eine fiktive Abenteuer-Erinnerung ins Gehirn implantieren lassen möchte. Durch einen scheinbaren Fehler während der Prozedur findet sich der Held jedoch plötzlich inmitten eines Komplotts aus Geheimdiensten und wirtschaftlichen Interessen wieder. 

Der Film, der auf einer Kurzgeschichte von Philip K. Dick basiert, scheint das Gegensatzpaar Natur und Kultur, das in Salla Tykkäs Trilogie aufgegriffen wird, zum folgerichtigen Schluss zu bringen. Nicht mehr der ohnehin schon gestählte Körper des Protagonisten wird hier kultiviert oder je nach Belieben manipuliert, sondern der Geist bzw. das Bewusstsein selbst.