In der Juni-Ausgabe des DOUBLE FEATURE zeigt die SCHIRN zwei Arbeiten der Künstlerin Liesel Burisch.

Dass das Bewusstsein in körperlichen Extremsituationen besonders geschärft ist, stellt eine evolutionäre Notwendigkeit dar und verdeutlicht gleichzeitig die enge Verknüpfung des Leibes mit dem Geiste. Gerade letzteren kann man trotz seiner unbestreitbaren Komplexität ein wenig austricksen und jene Schärfung forcieren: indem der Körper bewusst in für ihn besondere Situationen versetzt wird – davon zeugen Extremsportarten, Drogengebrauch, aber auch Meditation oder Krankheiten. So ist beispielsweise der Rat eines Psychoanalytikers, auch bei Fieberkrankheit in die Analyse zu kommen, da dieser besondere Körperzustand für die Therapie interessante Bewusstseinsbrocken zu Tage fördern könnte, gar nicht so abstrus, wie er zuerst einmal klingen mag.

Liesel Burisch, A collec­tion of worst scena­rios, Filmstill, 2016, Copyright the artist

In „A collection of worst scenarios” (2016) von Liesel Burisch (*1987) meint man, genau solche Bewusstseinsbrocken zu Gesicht zu bekommen. Im rhythmischen Stakkato wird Szene um Szene aneinandergeschnitten und so zu einem fünfeinhalbminütigen Konglomerat verwoben. Die Bilder zeigen Alltagsszenen: Gesichter, tanzende und lachende Menschen, Stadtaufnahmen, ein knutschendes Paar, Aufräumarbeiten in einem Gebäude. Wiederholend eingebunden in die Bilder- und Tonflut sind Aufnahmen einer Frau, die am Computer die Ergebnisse einer Computertomografie analysiert, sowie immer wieder close-ups von Hämatomen und Prellungen. Die Kameraführung unterstützt den rasanten Schnitt und verstärkt die Orientierungslosigkeit des Betrachters: der Bildinhalt wird kaum aus der einordnenden Totale gezeigt, der Bildausschnitt bleibt immer sehr nah am Gezeigten.

Nahaufnahme auf das geschundene Gesicht

Burisch verarbeitet in „A collection of worst scenarios“ den körperlich wie ärztlich erzwungenen Stillstand durch eine schwere Gehirnerschütterung und zieht den Betrachter hinein in einen Stream of consciousness, bei dem niemals klar wird, ob er die Ursache oder die durch das Gebrechen induzierten Auswirkungen zeigt. Die Arbeit endet, wie sie beginnt: mit einer Nahaufnahme auf dem geschundenen Gesicht der Verletzten - lediglich die visuelle Unschärfe (des Bildes) ist nun verschwunden.

Liesel Burisch, A collec­tion of worst scena­rios, Filmstill, 2016, Copyright the artist

„Crowd Pleaser“ (2016) stellt der Form nach das komplette Kontrastprogramm zu „A collection of worst scenarios“ dar: das Bild ist zweigeteilt, auf der rechten Seite sind eine rote Mauer und ein riesiger Vorhang zu sehen, die linke Seite gewährt den Einblick in ein Zimmer, in dem die Künstlerin hinter einem Metallophon aus dem indonesischen Gamelan-Instrumentenensemble sitzt und bald zu spielen beginnt. In seinen gut zehneinhalb Minuten zeigt „Crowd Pleaser“ die komplette Aufführung von insgesamt drei Tänzerinnen in aufwendig gestalteten Kostümen auf der rechten Seite, während auf der linken Seite die eigenen Übungsbemühungen festgehalten sind. Der besondere Bewusstseinszustand muss hier auf der Meta-Ebene gedacht werden: spezifische Varianten dieses Tanzes, der hohe körperliche Beherrschung fordert, sowie die repetitive Klangwelt des Gamelan-Ensembles können die Zuschauer unter günstigen Umständen selbst in Trance versetzen.

Ein finanzielles Fiasko

Im zweiten Teil des DOUBLE FEATURE wird mit „Sånger från andra våningen“ (Songs from the second floor) aus dem Jahr 2000 Roy Andersons Rückkehr zum Spielfilm nach gut 25-jähriger Abstinenz zu sehen sein. Nach dem finanziellen Fiasko rund um seinen Film „Giliap“ (1975) zog sich der schwedische Filmemacher aus der Spielfilmbranche zurück und verdingte sich bis 2000 hauptsächlich als Regisseur von Werbespots, für die er Lob von unter anderem Regielegende Ingmar Bergman einheimste und insgesamt achtmal mit dem Goldenen Löwen von Cannes ausgezeichnet wurde.

Liesel Burisch, Crowd Pleaser, Installation view, 2016, Copyright the artist
Liesel Burisch, Crowd Pleaser, Filmstill, 2016, Copyright the artist

Anderson schildert in „Sånger från andra våningen“ in lose miteinander verwobenen Episoden den trost- und sinnlosen Alltag seiner Figuren in einer apokalyptischen anmutenden Welt. Der Film fokussiert sich in herausragend durchkomponierten Bildern beispielsweise auf den Möbelgeschäft-Inhaber Kalle (Lards Nordh), der aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage erfolglos Versicherungsbetrug begeht, indem er sein Geschäft in Brand steckt, während er mit dem persönlichen Versagen in familiären wie auch freundschaftlichen Belangen konfrontiert wird. In langen Einstellungen erschafft Anderson so das Abziehbild einer Gesellschaft, der nach der religiösen Ernüchterung nun auch der wirtschaftliche Untergang droht, deren wirtschaftliches Treiben als sinnentleerter Selbstzweck offenbart wird, während die Bürger, beraubt ihrer verlorengegangenen Ideale und Sinnzusammenhänge, sich auf offener Straße selbst geißeln oder ihren Tag, in endlosen Staus stehend, in Autos verbringen.

Aufrichtigkeit und Verzweiflung

Ob man nun in „Sånger från andra våningen“ einen Ausblick in die vermeintlich nahende Apokalypse sieht oder eine schaurig-lustige Abrechnung mit den großen Geistesströmungen der Menschheit auszumachen meint: trotz der Absurdität und Lächerlichkeit der gezeigten Handlungen ist Andersons Werk ein zutiefst humaner Film, der seine Figuren selbst zu keiner Zeit dem Spott preis gibt, sondern sich ihrer Gebrechlichkeit und Dif­fi­zi­li­tät im Angesicht ihrer hoffnungslosen Verzweiflung aufrichtig annimmt.