In der Mai-Ausgabe von DOUBLE FEATURE zeigt der für den Turner Prize 2014 nominierte Künstler James Richards seinen Film "untitled (cinema programme)“. Im Anschluss sind Arbeiten von Chris Burden und Steve Reinke zu sehen.

Im Pressetext der vieldiskutierten und als Ende der Postmoderne gefeierten Ausstellung „Speculations on Anonymous Materials”, die von Susanne Pfeffer kuratiert wurde und noch Anfang des Jahres im Fridericianum in Kassel zu sehen war, heißt es: „Es gilt, die Welt aus der Abstraktion zu begreifen und nicht die Abstraktion aus der Welt.“ Der Sinn der Aussage entschlüsselt sich im Zusammenhang mit James Richards Filmen, die aus digitalem Material des Internets und alten VHS-Kassetten zusammengeschnitten sind und die in dem von Richards erzeugten Zusammenschluss eine dezidiert poetische, emotionale und „körperbetonte“ Bildsprache entwickeln.

Die Fragmente des Underground-Materials in „untitled (cinema programme)“ (2006) veranschaulichen den menschlichen Körper, seinen Blutkreislauf, seine Verletzlichkeit in Szenen der Gewalt, der Bedrohung und des emotionalen Zusammenbruchs, seine Schwere als Leiche, ebenso wie seine Isolation in Form des Mariah Carey Songs „I Can't Live If Living Is Without You“ singenden Jugendlichen oder sein Untergehen in der Menge einer Massenveranstaltung: Eine Puppe wird in die Kamera gehalten und ihr, einer Geisel gleich, eine Waffe an die Schläfe gehalten; ein am Boden Liegender wird von den um ihn herum Stehenden getreten; eine Kinderleiche wird aus dem Wasser gezogen; ein Showmaster fällt mit schmerzverzogenem Gesicht und offenem Mund auf der Bühne zu Boden. Einzig die Aufzählung ermöglicht einen sprachlichen Zugang zu dem aneinandergereihten, wiederholten, extrem heterogenen und ereignisreichen Found-Footage Material.

Die Frage nach dem ursprünglichen Autor der Aufnahmen führt nicht nur ins Leere, sondern ist vollkommen uninteressant. Der Titel der bereits erwähnten Ausstellung weist auf die Anonymität des Materials hin und es geht ohnehin darum, auf die Welt aus der Abstraktion/Spekulation zuzugreifen und nicht aus der Welt heraus zu beschreiben. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Bildern sind unabhängig von ihrem realen Entstehungszusammenhang der reinen Visualität und Neuordnung verpflichtet und können sowohl die Bildinhalte, als auch ihre Form betreffen: die wiederkehrenden getragenen und malträtierten Körper oder die Grünstichigkeit der Szenen, die der nächtlichen Aufnahme mit einem Restlichtverstärker geschuldet sind.

Der Zusammenhang des heterogenen Bildmaterials kann auch sehr viel abstrakter sein, wie in der 2013 entstandenen Arbeit „Rosebud“. Ausgangsmaterial sind Bildbände von Fotografien von Robert Mapplethorpe, Man Ray und Wolfgang Tillmans, die Richards in einer Tokyoter Bibliothek gefunden hat, die das als anzüglich deklarierte Material zensierte und die Genitalien aus den Fotos kratzen ließ. Die Verletzung der Bildoberflächen wird in Richards Film in Analogie zu vibrierenden Wasseroberflächen gezeigt, die wiederum eine Körperlichkeit hervorheben: in diesem Fall, die einer unebenen und bewegten Oberfläche.

Neben der Auseinandersetzung mit visuellem Material spielt auch der Sound in seinen Arbeiten eine zentrale Rolle. Es gibt keine direkte Analogie zwischen denjenigen, die wir sehen und denen, die wir sprechen hören. Hingegen gibt es eine Analogie zwischen der Behandlung des Bildmaterials und dem Ton und der eingespielten Musik, die ebenso aneinander gereiht, kombiniert, verdoppelt und wiederholt wird. Der tote Junge in „untitled (cinema programme)“wird aus dem Schwimmbecken gezogen, während Sylvesters Partysong „You Make Me Feel Mighty Real“ läuft und das aus der Autospur geratene Wohnmobil kippt um, während der Satz „You keeping me from what I want to be doing“ in verschiedenen Varianten wiederholt wird. Man fragt sich unentwegt, wer und wo „I“ und „You“ sind, die man in den Bildern zwar nicht findet, die in Richards Bild- und Soundwelt in ihrer Unbestimmtheit aber extrem präsent sind.

Im Rahmen von DOUBLE FEATURE zeigt James Richards nach seinem eigenen Film Chris Burdens „Documentation of Selected Works“ (1971-74) und Steve Reinkes “J.-P (Remix of ''Tuesday and I'' by Jean Paul Kelly)” (2001). James Richards über seine Auswahl: “Die Filme, die ich für “Double Feature” ausgewählt habe, kreisen alle um die Frage, was es bedeutet, mit der Kamera etwas aufzunehmen und zu dokumentieren. Burdens Film versammelt Fragmente seiner eigenen künstlerischen Praxis. Der Film wird zu einer liebevollen, fast träumerischen Meditation über das eigene Werk, über das, was von einer ephemeren Arbeit übrig bleibt und über die Verzerrung, die stattfindet, wenn man etwas erinnert und nacherzählt.“ Die Arbeit von Steve Reinke konfrontiert den Betrachter mit einem Monolog der Ängste und Neurosen. Durch das permanente Zurückspulen des Tapes werden einzelne Aussagen des im Close-Up gezeigten Sprechers wiederholt. Die damit einhergehende Struktur der Rede und die verzerrte Stimme sind Resultat des Films und nicht des Erzählaktes. Die Aufnahme und der Körper des Sprechers verschwimmen auch visuell, wenn sich sein Gesicht durch das Zurückspulen verzieht, wirken seine Bewegungen unheimlich und „digital diktiert“.