Ein in Beton gegossener Fernseher zeigt Todesopfer des Vietnamkrieges, ein Volksempfänger spielt den „Walkürenritt“ Richard Wagners. Kienholz‘ Œuvre versinnbildlicht, wie Medien seit ihrer massenhaften Verbreitung Macht ausüben.

Ein karges, dunkel vertäfeltes Wohnzimmer. Die Ausrichtung des samtgrünen Sofas weist auf das Zentrum des Interesses im spärlich beleuchteten Raum: ein strahlendes Fernsehbild, gegossen in einen klotzigen Betongrabstein. Auf der Mattscheibe eingraviert liest man „this weeks toll", eine Statistik der amerikanischen Kriegsopfer, denen des Feindes gegenübergestellt. Im Inneren des Fernsehers illustriert ein abgetrennter Puppenkopf die schaurigen Nachrichten.

Der wöchentliche „body count"

„The Eleventh Hour Final" lautet der Name dieses Werkes, das in der Ausstellung „Kienholz. Die Zeichen der Zeit" in der SCHIRN zu betrachten und zu begehen ist. 1986 holte Ed Kienholz mit dieser Arbeit die Schrecken des Vietnamkrieges ins heimische Wohnzimmer. Man kann sich der Nachricht nicht entziehen, ein Programmwechsel ist unmöglich. Der Titel rekurriert auf die gleichnamigen Spätnachrichten des NBC NewsCenter, der erst zur Nachtsendezeit explizite Bilder der Kriegsgewalt und Statistiken der Opfer ausstrahlte. Mit seinen stetig steigenden Zahlen der im Vietnamkrieg getöteten Amerikaner und Vietnamesen trug der wöchentliche „body count" trotz später Sendezeit letztlich zur Kriegsmüdigkeit des amerikanischen Volkes bei.

Ein Sinnbild für schamlose Manipulation

Immer wieder beschäftigen sich Ed und Nancy Reddin Kienholz mit dem Phänomen Fernsehen und den Massenmedien. Während der Arbeit im Atelier und im Wohnhaus flimmert ununterbrochen der Bildschirm -- sie wissen also genau, mit was sie es zu tun haben. Da ist es kein Wunder, dass sie während ihrer zahlreichen Aufenthalte ab 1973 in Berlin bei den Streifzügen über die Flohmärkte auf ein Gerät aufmerksam werden, dass in Deutschland bereits vor der Verbreitung des Fernsehers sein große mediale Macht bewiesen hat. Müsste man ein Sinnbild für die schamlose Manipulation eines Volkes mittels Mediengewalt finden, so wäre der deutsche Volksempfänger sicher ein Paradebeispiel.

Das Volk hat zu empfangen

Von Propagandaminister Josef Goebbels in Auftrag gegeben wurde der Volksempfänger bereits 1933 in Gemeinschaftsproduktion mit der deutschen Rundfunkindustrie vertrieben -- deutlich günstiger als bisherige Radiogeräte. Der erschwingliche Preis diente einzig der massenwirksamen Verbreitung der Propaganda mittels des jungen Mediums Radio. Die erste Serie war mit der Bezeichnung VE 301 versehen, als Verweis auf die Machtergreifung am 30.01.1933. Schon der Name verdeutlicht: das Volk hat zu empfangen und nicht zu senden. Rein technisch bestand zwar auch die Möglichkeit Feind- und Widerstandssendungen zu empfangen, am 7. September 1939 stellte allerdings ein Gesetz das Hören ausländischer Sender unter drakonische Strafen. Bis 1939 fanden 12,5 Millionen solcher Radiogeräte, die im Volksmund den bezeichnenden Namen „Goebbels-Schnauze" trugen, ihren Weg in deutsche Haushalte.

Die Musik Wagners als Klangelement

Nancy und Ed arbeiteten von 1975 bis 1977 mit den Geräten vom Flohmarkt. Die entstandene Werkreihe „Volksempfängers" zeigt -- wie bereits am Titel abzulesen -- eine amerikanische Sicht auf dieses Relikt aus dem Dritten Reich. In bizarren Objekt-Installationen mit Namen wie „Die Wandikone" oder „A new dawn, a new day, a chance to try a different Volksempfänger" inszenierten sie die Geräte auf Tischen und Bänken. Dass die Radios dabei nicht nur optisch in Erscheinung treten, sondern auch akustisch wahrnehmbar sein sollten, stand für die beiden Künstler außer Frage. „Zuerst dachten wir daran, Hitler-Reden aus den Volksempfängern ertönen zu lassen", erinnert sich Nancy. „Da wir aber beide nicht verstehen konnten, was er sagte, schien das keine gute Idee zu sein. Dann begann Ed die Melodie des „Walkürenritts" zu summen, und so wurde die Musik Wagners als Klangelement einbezogen."

Die Gegenstände sind Zeichen ihrer Zeit

Sowohl Volksempfänger als auch das Fernsehgerät sind Erscheinungen einer modernen Medienlandschaft, die die politischen Einstellungen der Menschen stark in ihrem Sinne prägen. Ein passiver und unreflektierter Zuschauer und Zuhörer gelangt bequem ohne persönlichen Aufwand an Informationen über das Zeitgeschehen, jedoch diktieren dabei mächtige Sendeanstalten, welche Informationen von Bedeutung sind. Diesen Effekt wusste man bereits im Dritten Reich und während des Kalten Kriegs ungeniert zu nutzen, und auch heute funktioniert das Informationssystem auf eben jene Weise.

Die Gegenstände mit denen die beiden Künstler Ed Kienholz und Nancy Reddin Kienholz arbeiten, tragen die Geschichten, die mit ihnen erzählt werden, bereits in sich. Sie sind Zeichen ihrer Zeit, die durch die künstlerische Auseinandersetzung in zeitüberschreitende kritische Zeichen übersetzt werden. Ob NewsCenter oder Volksempfänger, die Essenz der Botschaft hat dauerhafte Gültigkeit: Die Macht der Medien und ihre manipulativen Tendenzen dürfen auch heute nicht unterschätzt werden.