Nicht nur Berufspaparazzi gehen gern auf Promi-Jagd. Dabei kann man das Celebrity-Spotting im Alltag durchaus mit Stil zelebrieren: Wie die Annäherung aus der Ferne funktioniert, zeigten einst die „Höflichen Paparazzi“.

Eine Bekannte einer Freundin ist mal mit Dirk von Lowtzow Eis essen gegangen. Es war beim Hurricane Festival, 2002 im Schleswig-Holsteinischen Scheeßel, und der damalige (und heute wieder) Sänger von Tocotronic reagierte ganz verzückt und sehr, sehr höflich auf die freundliche Einladung der Mädchengruppe. Zusammen saßen die fünf dann in fröhlicher Runde eine ganze Weile in der örtlichen Eisdiele und erzählten sich bei Banana-Split und Obstbecher halb verschämt, halb interessiert von ihrem Leben.

Geschichten, die man bis dato allenfalls dem eigenen Tagebuch anvertrauen konnte, fanden in den frühen 2000ern endlich eine eigene Plattform: „Wir Höflichen Paparazzi", 2003 aus einem Vorgängerprojekt des österreichischen Schriftstellers Christian Ankowitsch hervorgegangen und schnell zu einem wichtigen virtuellen Treffpunkt iilustrer Schreiberinnen und Schreiber wie Tex Rubinowitz und Hermes Phettberg, Kathrin Passig und Wolfgang Herrndorf avanciert. Kunst- und Kulturschaffende also, die mit ihrem semi-prominenten Status selbst gute Protagonisten in den Geschichten der „Höflichen Paparazzi" abgeben würden.

Was man dort ebenfalls nachlesen kann: Wie einmal der „Toten Hosen"-Sänger Campino in Bermuda-Shorts und alberner Sonnenbrille durch die Stadt fuhr, wie Wolfgang Joop mit schneeweißer Hose und in Jungherren-Entourage betrunken durch Berlin torkelte, wie der Bruder von einem Ex-Freund in London neben Nick Cave am Herrenklo pinkelte. Das klingt mal sophisticated und charmant, mal reichlich freaky, aber oft ziemlich amüsant. Was vielleicht auch daran liegen dürfte, dass die besten der hier veröffentlichten „Ich habe mal einen Prominenten getroffen..."-Geschichten mit literarischem Anspruch geschrieben sind und die Frage nach dem Wahrheitsgehalt auch gerne unbeantwortet bleibt.

Nahbarkeit statt Glamour

„Wir höflichen Paparazzi" -- schon der Name klingt irgendwie niedlich und unschuldig. Das genaue Gegenbild zum bösen Paparazzo, der mit High-Tech Ausrüstung bis an die Zähne bewaffnet seinen prominenten Opfern auflauert, um dann, so zumindest das Klischee, ordentlich Reibach zu machen.

Die 90er-Jahre waren anders: Mit dem Abflauen der erhitzten Bling-Bling Ära und der Verbreitung des Internetanschluss in privaten Haushalten wird Indierock zum Lifestyle einer Generation. Man trifft sich in virtuellen Foren, diskutiert die Songtexte von Death Cab for Cutie und Blumfeld und tauscht Mixtapes mit Hamburger-Schule Bands aus. Nahbarkeit gilt als wichtiges Kriterium -- niemand will einen koksenden Künstler in einem Elfenbeinturm anhimmeln, niemand möchte selber einer sein. Die damals neu gegründete Plattform mit ihrer offen zur Schau gestellten Unschuld und der feinen Selbstironie traf den Nerv des Zeitgeistes perfekt. Nur kurze Zeit nach der offiziellen Umbenennung -- 1999 hatte Ankowitsch seine Website noch „Alles-Bonanza" genannt und Jugenderinnerungen der 70er-Jahre präsentiert -- kam das erste Buch mit den schönsten Geschichten der Alltagspaparazzi auf den Markt. Die zugehörigen Lesungen fanden in den großen Schauspielhäusern der Republik statt und hoben das ursprünglich nur einer kleinen Szene bekannte Projekt endgültig in den offiziellen Kulturbetrieb.

Das Ende der Geheimnisse

So schnell sich die Kunde verbreitet hat, so schnell ist sie auch wieder verschwunden: Die Ära der „Höflichen Paparazzi" ist vorbei. Die meisten Foreneinträge datieren auf die frühen 2000er zurück, hin und wieder werden neue Antworten auf jahrzehntealte Einträge verfasst. Vielleicht hat sich die Idee der respektvollen Annäherung aus der Ferne ein wenig erübrigt, seit Hollywoodstars und C-Prominente gleichermaßen mittels Twitter-Kanal und Facebook-Seite gefühlte 1000 Postings pro Tag über ihren Gesundheits- und Gemütsstatus, erworbene Luxusgüter, Liebesbekundungen an Haustiere und ähnliche Banalitäten in den digitalen Äther hinausschicken. Alles liegt derart offen zu tage, dass man des (höflichen) Berühmtheiten-Spottings zu müde geworden ist. Was natürlich eigentlich Unsinn ist: Geheimnisse gibt es noch immer zu lüften. Sie sind eben, daran hat sich auch in zehn Jahren nichts geändert, ihrem Wesen nach weder unmittelbar sicht- noch konsumierbar -- leben vom Ausgesparten, von dem, was an anderer Stelle gerade nicht preisgegeben wird. Ein guter „Höflicher Paparazzi"-Eintrag kann im besten Fall noch immer Hundert Mal spannender sein als ein Tag Twitter-Following aus virtuell nächster Nähe.