Eines der eindrucksvollsten Gemälde aus Gustave Courbets Frankfurter Zeit ist die 1858 entstandene „Dame auf der Terrasse“. Doch wer ist diese Frau, und wer der übermalte Mann an ihrer Seite? Von Bettina Erche

Die Frauen auf Courbets Gemälden provozieren durch ihre Körper. Auch wenn sie angezogen sind wie „Die Mädchen an der Seine, im Sommer" (1856--1857), dann flirrt die Atmosphäre vor Sinnlichkeit. Dagegen verschließt sich die „Dame auf der Terrasse (La Dame de Francfort)" (1858) dem oberflächlichen Blick des Betrachters. Nur sparsam hat Courbet einzelne Motive eingesetzt, um das Liebesdrama zu inszenieren.

Die Kleidung enthüllt mehr, als sie verdeckt: Courbet, „Die Mädchen an der Seine, im Sommer“, 1856–1857

Seine Hauptfigur ist die Dame, die von der Umgebung isoliert und selbstvergessen auf der Terrasse thront. Träumerisch blickt sie in die Ferne. Die rechte Hand führt sie zum Herzen, die linke ruht auf einem Tischchen und hält dabei ein Taschentuch. Rötlich senkt sich das Abendlicht und kündet vom nahen Abschied.

Der übermalte Mann

Hinter dem Tisch zeichnen sich die Konturen eines Mannes ab. Courbet hatte ihm keinen Raum gegeben und ihn direkt an das Gitter der Terrasse gerückt. Sein Kopf überschnitt einst den Rundtempel in der Achse des Bildes, den Courbet in der Tradition des französischen Rokoko zitiert. Es ist der Liebestempel, Ort der Sehnsucht. Der Mann wird zur Barriere.

Zu einem späteren Zeitpunkt, als das Gemälde schon durchgetrocknet war, hat Courbet versucht, ihn zu tilgen. Er übermalte sein Gesicht mit der linken Hälfte des Tempels und ließ zusätzlich eine Pflanze über seinen Körper wuchern. Doch völlig verschwinden lassen konnte er ihn nicht, da der Hintergrund heller ist.

Detail: „Die Dame auf der Terrasse“.

Um die Übermalung mit dem Mittelgrund zu verbinden, ergänzte Courbet eine Glaskaraffe auf dem Tisch und einen Löffelstiel, der aus dem weißen Porzellanschälchen ragt, das hell im Abendlicht leuchtet. „La Dame au sorbet" hat Courbet sein Werk selbst genannt und damit einen Hinweis zu seiner Entschlüsselung gegeben.

Sorbet kommt von dem türkischen Wort „šerbet" und bedeutet „süßes Kühlgetränk". Süß, aber kühl war für Courbet das Erlebnis, das sich mit dem Gemälde verband. Doch wo ist der Ort, an dem sich die Szene abspielt, und wer sind die Personen?

Dokumente fehlen. Nur der ursprüngliche Titel „La Dame de Francfort" verwies auf Courbets Aufenthalt in Frankfurt. In der Dame wurde ein Mitglied der Familien Erlanger oder Goldschmidt vermutet, die mit dem Maler Kontakt hatten. Es wurde jedoch zu Recht eingewandt, dass die Dame als Porträt nicht überzeuge.

Auf Spurensuche

Frankfurter Bürger, die die Stadt vor dem Zweiten Weltkrieg kannten, haben sich auf die Spurensuche begeben. Am überzeugendsten ist der Vorschlag von Alfred Andreae, dass die Szene auf der Terrasse des Hauses Hochstraße 24 spielt und den Landschaftsmaler Eduard Wilhelm Pose und dessen Ehefrau Pauline zeigt. Sie war die Tochter von Andreaes Ur-Urgroßvater Johann Carl Klotz, der mit ausländischer Wolle handelte. Ausgelöst hatte Andreaes Recherche die Behauptung von Poses Enkelinnen, dass der Maler mit Courbet befreundet gewesen sei.

Eine indirekte Bestätigung ist vielleicht der Vermerk „Klotz" auf einer Zeichnung des Künstlers, die sich heute im Musée Courbet in Ornans findet und einen Fuchs in der Falle zeigt. Doch die weiteren Argumente, die Andreae anführte, um seine These zu stützen, konnten durch Archivalien nicht bestätigt werden. Die große Terrasse und der Garten des Grundstücks an der Hochstraße erinnern an das Gemälde, doch genaue Übereinstimmungen gibt es nicht.

Courbet ging es nicht um eine genaue topographische Wiedergabe. Er malte eine persönliche Stimmung, eine Welt zwischen Traum und Wirklichkeit, die nur durch den Mann im Hintergrund gestört wurde. Dass jener wiedererkennbar war, hat Courbet durch die Übermalung indirekt bestätigt und ihn damit als Konkurrenten gekennzeichnet.

Mit Porträtfotos von Eduard Wilhelm Pose lässt sich das zugestrichene Gesicht, reduziert auf die Umrisse und den Oberlippenbart, nur ungefähr vergleichen. Doch es bleibt eine Möglichkeit der Identifikation, da das Ehepaar Pose zu dem Kreis zählte, in dem Courbet verkehrte. Ob er den Auftrag erhielt, die beiden auf der Terrasse zu malen, ist ungewiss.

Sicher ist nur, dass ihm Pauline Pose viel bedeutete. So viel, dass er sie zur Hauptfigur seines Gemäldes machte und es zeitlebens in seinem Besitz behielt.

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Kontext: „Courbet. Ein Traum von der Moderne"

Eine Bilderstrecke und den Katalog zu „Courbet. Ein Traum von der Moderne" finden Sie auf unserer Website.