In den über 60 Jahren seines künstlerischen Schaffens hat sich Edvard Munch immer wieder selbst porträtiert. Doch etwa 40 der 70 Porträts sind in der Zeit nach 1900 entstanden. Gerade in diesen Porträts setzt sich Munch zunehmend mit der eigenen Vergänglichkeit auseinander.

Es sind Bilder wie diese, die im Gedächtnis haften bleiben -- der Künstler als schwächliche Persönlichkeit, die Gesichtszüge verschwommen, die Arme kraftlos herabhängend, eingekeilt zwischen Bett und Standuhr. Sollten sich andere Maler in heroischer Pose auf die Leinwand bringen -- Edvard Munch beleuchtet die Brüche seiner Biografie und die Gebrechlichkeit des zunehmenden Alters. Gerade weil der norwegische Maler seine eigene Person im Bild „Selbstporträt. Zwischen Uhr und Bett" für die Betrachtung von Leben und Vergänglichkeit wählte, konnte er ein Selbstbildnis von universalem Ausdruck schaffen: Wichtige Elemente wie Uhr und Bett als Symbole für die fortschreitende Zeit auf der einen, Geburt und Tod auf der anderen Seite, werden von Munch nur schemenhaft dargestellt. Details fehlen beim Interieur ebenso wie auf dem eigenen Gesicht -- und doch ist der Schrecken, den der Maler angesichts seiner eigenen Vergänglichkeit spürt, auch für den Betrachter leibhaftig wahrnehmbar.

Abseits der altbekannten Posen

Dabei nutzt Edvard Munch das Selbstporträt ganz bewusst als Darstellung einzelner Facetten seiner eigenen Person, denen er malerisch Ausdruck verleiht: Mal setzt er sich in düsteren, deckenden Farbschichten in Szene („Der Nachtwanderer"), ein anderes Mal wirken die Farben nur hauchzart aufgetragen („Selbstporträt Viertel nach Zwei Uhr nachts"). Immer wieder variiert Munch Farben, Deckung und Malstil, inszeniert sich vor der eigenen Hausbar oder lugt für einen Schnappschuss ins Bild hinein. In der Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich entdeckt er eine Vielzahl an Facetten, die isoliert betrachtet sehr unterschiedlich ausfallen -- und die doch gerade in ihrer Gesamtheit ein vielschichtiges Bild ergeben. Indem er sich abseits der altbekannten Posen und tradierten Bildkompositionen bewegt, erlaubt Edvard Munch dem Betrachter einen Blick hinter die Leinwand auf eine facettenreiche Persönlichkeit. Dass er nur ausgesprochen wenige Selbstporträts jemals öffentlich ausgestellt hat, deutet auf die Intimität dieser Einblicke hin.

Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich

Trotzdem sind Edvard Munchs Selbstbildnisse weit entfernt von jener vermeintlichen Authentizität, die als unreflektiertes Gefühl den direkten Weg auf die Leinwand findet. Ganz im Gegenteil: Statt eine unmittelbare Abbildung zu schaffen, experimentiert Munch so lange mit Farben und Motiven, bis er das künstlerisch optimale Ergebnis gefunden hat. Ästhetische und persönliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich sind bei Munch kaum voneinander zu trennen. So nutzt er ganz bewusst Stilmittel aus dem Theater und später auch aus der Fotografie für seinen Bildaufbau oder experimentiert mit Farbverläufen, um Krankheit und Vergänglichkeit unmissverständlich in Szene zu setzen.

Schwere Krankheiten und die eigene Vergänglichkeit

Edvard Munch hat sich nicht nur in ganz verschiedenen Situationen und Stimmungen abgebildet, sondern immer wieder auch versucht das Fortschreiten der eigenen Lebenszeit darzustellen. Eine Zusammenstellung aller Selbstporträts von den künstlerischen Anfangsjahren bis hin zu den letzten Selbstbildnissen aus den 1940er-Jahren würde eine außergewöhnliche künstlerische und persönliche Biografie ergeben. Dabei ist es wohl kein Zufall, dass ein Großteil aller Selbstbildnisse in der Zeit nach 1900 entstanden sind: schwere Krankheiten und die Erfahrung der eigenen Vergänglichkeit im zunehmendem Alter sind Aspekte, mit denen sich Munch vermehrt auseinandersetzt.

Dem Tod von der Schippe gesprungen

Seinen mehrmonatigen Aufenthalt in einer Nervenklinik macht der Maler ebenso zum Thema wie die Erkrankung mit der Spanischen Grippe, die ihn um 1918/1919 heimsuchte. Im Gegensatz zu Millionen von Opfern weltweit ist der norwegische Maler dem Tod knapp von der Schippe gesprungen. Auch dieses Erlebnis zeigt Edvard Munch mit einer schonungslosen Offenheit im „Selbstporträt mit Spanischer Grippe". Der Maler sitzt neben seinem Krankenbett auf einem Stuhl, eingehüllt in mehrere Decken. Seine gelblich-blasse Gesichtsfarbe verschwimmt mit der dahinter liegenden Wand, seine Haltung ist schwach und kraftlos, sein Mund steht offen. Edvard Munch fragte einen norwegischen Kunstsammler, ob er den Geruch und die Verwesung auf diesem Bild nicht förmlich riechen und spüren könne. Und in diesem Bild zeigt sich auch der Triumph des Überlebenden: Indem er seine Krankheit, seine Schwäche und Kraftlosigkeit auf die Leinwand bringt, bietet er dem Tod die Stirn.