Ein junges Wunderkind aus einem verarmten Elternhaus, das zu einer weltoffenen, vielgereisten Frau wurde, und in Paris, St. Petersburg, Italien und England die Grundlagen schuf für eine seltene Solistenstimme im Klangkörper moderner Kunst: Helene Schjerfbeck.

1862, als in Finnland die erste Eisenbahn gebaut und das Parlament gegründet wird, erblickt Helena Sofia als Tochter von Svante Scherfbeck (1833-1876) und Olga Johanna, geborene Printz (1839-1923) das Licht der Welt. Als Helene Schjerfbeck -- ihren Namen änderte sie in Paris --, sollte sie zu einer der bedeutendsten Finnischen Malerinnen werden, in Skandinavien ein Mythos zwischen Frida Kahlo und Edvard Munch. Beginnend mit Historienbildern fand sie über den Naturalismus zu einem eigenwilligen Modernismus, der immer der Figuration verhaftet blieb.

Ihre Kindheit ist von mehreren Schicksalsschlägen gezeichnet. Als sie vier Jahre alt ist, stürzt Helena Sofia Schjerfbeck die Treppe herunter und bricht sie die Hüfte. Lange Jahre wird sie das Bett nicht verlassen können, und ihr Leben lang wird sie humpeln. Kurz vor ihrer Geburt stirbt ihre einjährige Schwester Olga Sofia -- ein Verlust über den ihre Mutter nie hinwegkommen sollte. Hinzu kam eine prekäre finanzielle Situation: ihr Schwedisch-stämmiger Vater machte Bankerott. Anschließend arbeitete er für die Staatliche Eisenbahngesellschaft, starb aber, als Helena Sofia 13 war, an Tuberkulose. Der Vater war es, der Helene die ersten Malutensilien schenkte. Noch als Einundachtzigjährige wird sie ihren Vater nach einer Fotografie ein malerisches Denkmal setzen.

Ihr zeichnerisches Talent wurde rasch entdeckt: bereits als Elfjährige erhält Helene Schjerfbeck einen Freiplatz in der Zeichenschule der Finnischen Kunstgesellschaft in ihrer Geburtsstadt Helsinki. Sie macht rasch Fortschritte und wird einer besonderen Förderung empfohlen. Mit 15 verlässt sie die Zeichenschule mit Auszeichnung sowie einem Stipendium von 100 Mark und geht mit ihrer lebenslangen Freundin Helena Westermarck an eine private Kunstschule. Ab 1879 nimmt sie an Ausstellungen teil. Ein Jahr später erhält sie das ansehnliche Reisegeld von 1.500 Finnischer Mark und begibt sich nach Paris, dem Mekka der Künste. In der Folge wird Helene Schjerfbeck bis 1890 zahlreiche Reisen nach Paris unternehmen.

Schjerfbeck verlobt sich mit einem namenlosen englischen Künstler

Als Ausländerin, noch dazu Finnin, genießt sie relative Freiheiten, bleibt aber in Frankreich, wie alle Künstlerinnen, von der Staatlichen Kunsthochschule ausgeschlossen. Zusammen mit Westermarck besucht sie das private Malatelier für Frauen von Madame Trélat de Vigny, wo (allerdings sehr unregelmäßig) Léon Bonnat (1833-1920), Jean-Léon Gérôme (1824-1904) und Jules Bastien-Lepage (1848-1884) unterrichten. 1881 wechselt sie an die Académie Colarossi wo die Student(innen) von 8 bis 12 und von 13 bis 18 Uhr mit Modellen arbeiten und samstags in der Regel Museen und Ausstellungen besuchen.

Regelmäßig besucht sie den Kurs von Gustave Courtois (1853-1924), dem Freund des berühmten Finnischen Malers Albert Edelfelt. Der finnische Senat gewährt Schjerfbeck ein Stipendium von 2.000 Mark und die Künstlerin begibt sich nach Concarneau in die Bretagne. 1882 verbringt sie den Sommer in Finnland, und erhält für ein Genrebild einen mit 800 Mark dotierten staatlichen Preis. 1883 besucht sie Sankt Petersburg, das aufgrund der geographischen Nähe für die Ausbildung finnischer Künstler -- und wer Maler werden wollte musste ins Ausland gehen, da in Helsinki nur eine Zeichenschule war --, eine ähnliche Rolle wie Paris spielte. In Paris und Sankt Petersburg wird Helene Schjerfbeck in den folgenden Jahren Kopien nach Alten Meistern machen, teils weil dies zu einer klassischen Künstlerausbildung gehörte, teils für die staatliche Kopiensammlung.

Erneut hält sich Schjerfbeck in Paris auf und verbringt den Herbst 1883 bis zum Frühling 1884 in Pont-Aven, wo bald darauf Paul Gaugin sich anschicken wird den Impressionismus alt aussehen zu lassen. Hier, im bretonischen Künstlerort lernt sie einen englischen Künstler kennen, mit dem sie sich verlobt. Wem ihre Liebe galt, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Die Verlobung wurde schnell wieder aufgelöst, da die Familie ihres Verlobten sie aufgrund ihres Hinkens für Tuberkulös hielt. In der Folge zerstörte die Verlassene alle Schriftstücke in welchen der Name des Herzensbrechers stand. In Pont-Aven wird sie ihr reifstes Jugendwerk schaffen, „Die Tür". Das Bild ist von kleinem Format, trägt aber im Kern schon alles, was auch ihr Hauptwerk ausmacht. Da ist die schmale, fast farblose Palette, der moderiert-kühne Pinselstrich, die ruhige, leicht melancholische Stimmung. Eine schwarze Tür schließt eine stille Kapelle zur Außenwelt. Durch die Ritzen dringt gleißendes Sonnenlicht. Eine Säule mit einem angedeuteten Bogen lässt Räumlichkeit erahnen. Im Vordergrund wirbelt leise Staub auf; ein Eindruck den Schjerfbeck dadurch erzielt, das sie den Pinsel kreuzförmig auf der Leinwand putzt, wie auf einer Palette. Doch blickt man genauer, so mischt sich Rosa und Hellblau ins Grau der Wand, und Orange und Gelb leuchten um die Türe. Das Bild zeigt bereits eine Tendenz zur Abstraktion.

Schjerfbeck, als Wunderkind verarmter Eltern gefeiert und wegen ihrer Gehbehinderung bemitleidet, war als junge Frau unternehmungslustig und erfolgreich. 1888 malt sie ihr bekanntestes Bild, „Die Genesende", das sie im Pariser Salon ausstellt, an dem sie bereits zum dritten Mal teilnimmt. Die Kunstwelt ist entzückt, die finnische Kunstgesellschaft, die ihr das Gemälde abkauft, auch. Zur Pariser Weltausstellung von 1889, als der Eiffelturm seinen ersten Besucheransturm erlebt und im Moulin Rouge die erste Saison anbricht, stellt Schjerfbeck das Werk erneut aus und erhält prompt die Bronzemedaille. Es ist keines dieser Historienbilder, die sie anfangs für den Markt und den Finnischen Geschmack gemalt hat. Ein Mädchen von vielleicht fünf Jahren sitzt in weiße Lacken gehüllt an einem Tisch und hält mit zarten Fingern einen jungen Zweig dem sie ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Helles Tageslicht dringt aus einem Fenster im Hintergrund, eine zweite Lichtquelle scheint das Kind von vorne auszuleuchten. Noch viel Naturalismus und detailverliebter Realismus, aber bereits in den Büchern im Hintergrund zeigt sich eine Reduktion, wie sie für die späteren Werke typisch ist: eine Reduktion auf das Wesentliche.

Bis 1894 reist die Künstlerin nach Italien, lebt in Paris und in England. Dann nimmt sie eine Stelle als Zeichenlehrerin an der Kunstschule in Helsinki an. Die Animositäten zwischen den Künstlerkollegen, die Fragen nach dem richtigen Stil, der obligatorische national-patriotische Pathos der in der finnischen Kunst dieser Tage gefragt ist, all dies ist der aufgeschlossenen Frau fremd. Das ist nicht der Nährboden auf dem ihre Kunst gedeihen kann. Sie wird krank. Als ihr Bruder 1897 heiratet, muss sie sich nun gänzlich um die Mutter kümmern. Doch das Verhältnis ist belastet, die Kunst der Tochter interessiert die Mutter nicht. 1902 zieht sich Schjerfbeck in die finnischen Wälder zurück. Doch ganz so zurückgezogen von der Welt war das kleine Hyvinkää nicht: hier ist ein wichtiger Knotenpunkt der Eisenbahn und das trockene und milde Klima zog nicht nur die Künstlerin, sondern auch eine Kurklinik an. 15 Jahre wird sie nicht mehr reisen. Sie zwingt sich mindestens eine Stunde am Tag zu arbeiten und geht einen ganz eigenen Weg in die Moderne.