Eigentlich ist es unmöglich, in wenigen Zeilen über David Foster Wallaces epochales Mammutwerk zu sprechen. Der Literaturwissenschaftler Tobias Gnüchtel tut es trotzdem.

Eine Tennisakademie, in der die älteren Spieler den Urin der jüngeren kaufen, um ihren übermäßigen Drogenkonsum in der Dopingprobe zu verschleiern. Ein ominöser Film, den anzuschauen für den Betrachter ein so wunderbares Vergnügen ist, dass jeder, der ihn einmal gesehen hat, nie wieder etwas anderes tun möchte -- geschweige denn könnte -- und so seine Betrachter paralysiert und vor sich hin vegetierend zurücklässt. Eine terroristische Gruppe Quebecer Separatisten in Rollstühlen, die den Anschluss Kanadas an die USA rückgängig machen will und deshalb auf der Jagd nach dem Film ist, um ihn gegen die Zivilbevölkerung einzusetzen.

Chaotisch, wild, überbordend

Eigentlich ist es unmöglich, in wenigen Zeilen über David Foster Wallaces epochales Mammutwerk zu sprechen. In der amerikanischen Erstausgabe kommt es auf 1079 Seiten, in der deutschen Übersetzung gar auf 1545. Allein ein grober Überblick über Themen, Handlungsstränge, Schauplätze und Figuren würde schnell ein eigenes Buch füllen, eine Beschreibung der aufgebrochenen Chronologie und des Polyperspektivismus, der durch das völlige Fehlen eines erzählerischen Zentrums, das die wilde Melange zusammenhalten würde, entsteht, wäre unter Dissertationslänge utopisch. Dazu kommen noch hunderte Seiten Endnoten, die teils länger und wichtiger sind als die Passagen an die sie angehängt sind, in anderen Fällen aber völlig überflüssige Informationen wie chemische Zusammensetzungen von Medikamenten angeben. Erzählt wird das Ganze schließlich in Bandwurmsätzen mit enzyklopädischem Wortschatz, die schon für Muttersprachler kaum ohne historisches Wörterbuch zu bewältigen sind.

Auch wenn der Roman tatsächlich so chaotisch, wild und überbordend ist, wie diese kurze Annäherung verspricht, ist -- wie schon die ersten Rezensenten erstaunt feststellten -- das Lesen von "Infinite Jest", oder "Unendlicher Spaß", wie das Monstrum in der grandiosen Übersetzung von Ulrich Blumenbach heißt, selbst ein unendlicher Spaß, das scheinbare Chaos brillant konstruiert, die Formexperimente nie bemüht, sondern virtuos. Und hinter der gnadenlos kulturpessimistischen Gegenwartsanalyse scheint eine warme Humanität durch, die auf der Suche nach Antworten ist, wie in dissoziierten Zeiten des Dauermedienkonsums, der Drogensucht und der Entfremdung Menschlichkeit, Nähe und Glück noch möglich sind.

David Foster Wallace, ein Jahrhunderttalent

Als der Roman im Februar 1996 erschien, erwartete niemand einen der größten literarische Würfe des späten 20. Jahrhunderts, ein Buch, das sich weder vor seinen Zeitgenossen, den großen postmodernen Romanen Thomas Pynchons oder Don DeLillos, noch vor modernen Klassikern wie Joyces "Ulysses", Prousts "Recherche" oder Musils "Mann ohne Eigenschaften" verstecken muss. Man hätte es jedoch ahnen können. Mit 23 Jahren hatte Wallace das College mit doppeltem Hauptfach abgeschlossen und sowohl mit einer Abhandlung über Modallogik als auch mit seinem ersten Roman "Der Besen im System" graduiert. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass es sich bei dem jungen Autor um ein Ausnahmetalent handelte, noch nicht jedoch, dass er auch ein Jahrhunderttalent war.

Wallace, der zeitlebens an starken Depressionen litt, und der den Kampf gegen sie 2008 schließlich verlor und sich das Leben nahm, schrieb den Roman, während er an der Illinois State University kreatives Schreiben lehrte, in nur vier Jahren per Hand und tippte ihn dann einfingrig aus den Entwürfen ab. Entstanden sind so 192 disparate, achronologisch angeordnete Abschnitte, die bis auf kurze Abstecher einen Zeitraum von den frühen 1990er-Jahren bis zum Jahr 2010 umfassen, wobei die Jahre, inzwischen von Großkonzernen gesponsert, Firmennamen tragen -- so ist z.B. 2010 das „Jahr der Inkontinenzunterwäsche." Dabei werden sämtliche mögliche und auch bis dahin als unmöglich betrachtete Erzählperspektiven -- im Vokabular der jüngeren Erzählforschung "Fokalisationen" -- durchgespielt, Passagen von völlig unbeteiligten Figuren, die nie wieder auftauchen erzählt, andere hingegen als mündliche Berichte von wiederum mündlichen Schilderungen von auf Video aufgezeichneten Polizeiverhören vermittelt.

Tennis, Depressionen, Drogen

So wird man das Gefühl nicht los, dass der in literaturwissenschaftlichen Methoden geschulte Dozent für kreatives Schreiben die wissenschaftliche Erzählforschung auf Jahre vor unlösbare Aufgaben stellen wollte, indem er ihre Kategorien mit virtuoser Leichtigkeit sprengte. Die 388 Endnoten unterbrechen den ohnehin schon ans Äußerste getriebenen Lesefluß zusätzlich, wodurch die Leser ununterbrochen daran erinnert werden, dass es ihre Aufgabe ist, die Kohärenz herzustellen, die der Text bewusst verweigert. Dabei ist die von Formexperimenten durchzogene dystopische Zukunftsvision jedoch auch ein außerordentlich biographischer und persönlicher Roman, er bearbeitet die Themen die Wallace sein Leben lang begleitet haben: das Tennis, die Depressionen, Drogen, Entzug, exzessiven Medienkonsum und Sprachfetischismus.

Dass der Roman, als er 13 Jahre nach seinem ursprünglichen Erscheinen endlich in deutscher Übersetzung vorlag, immer noch eine literarische Sensation von epochalem Ausmaß war und bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat, zeigt welch ein Ausnahmeschriftsteller der viel zu früh verstorbene Autor war und welch einen Ausnahmeroman er geschrieben hat, der heute immer noch so neu, unwahrscheinlich und frisch wie 1996 ist.

Der Roman "Unendlicher Spaß" des US-amerikanischen Autors David Foster Wallace erschien in den USA bereits im Jahr 1996. Die deutsche Übersetzung, an der Ulrich Blumenbach sechs Jahre gearbeitet hat, umfasst 1552 Seiten und erschien 2012 bei Kiepenheuer & Witsch.