Martha (8 Wochen) verschlief ihren ersten Museumsbesuch. Ihre Eltern Käte Keller und Jonas Punkt hingegen haben sich die Ausstellung „Privat“ hellwach angeschaut und uns anschließend erzählt, was sie schockiert und was sie beeindruckt hat.

Schirn Magazin: Mit welchen Erwartungen seid ihr in die Ausstellung gegangen?

Käte: Ich war gespannt, ob die Werke die Voyeuristin in mir wecken und ob sie Schamgefühle hervorrufen.

SM: Haben sie das?

Käte: Ja. Selbst für jemanden, der medial abgehärtet ist, waren einige Arbeit schockierend. Sie kratzen an Tabus. Auf den Fotos und Videos von Leigh Ledare sieht man zum Beispiel eine nackte Frau beim Sex. Davon allein werde ich nicht rot. Aber wenn man liest, dass die Frau die Mutter des Künstlers ist, wird das Betrachten unangenehm.

Jonas: Ich fand die Haltung der sehr jungen Teenanger-Mädchen ein bisschen erschreckend, die sich in der Videoarbeit von Laurel Nakadate ausgezogen haben. Obwohl die Szenen mit Laiendarstellerinnen nachgestellt wurden, habe ich mich fremdgeschämt. Das lag wahrscheinlich daran, dass die kindliche Art, in der sie sich in Szene setzten, so künstlich war.

Was sind eure Lieblingswerke?

Käte: Tracey Emins ungemachtes Bett. Das ist wohl eine der bekanntesten Arbeiten der Schau. Ich hatte die Installation zuvor noch nie in einer Ausstellung gesehen, aber schon viel davon gehört. Die Künstlerin hat auch eine andere Arbeit geschaffen, die zu dem Thema „Privat" hervorragend passt. Die kann allerdings nicht mehr ausgestellt werden, weil sie zerstört wurde. Sie hieß „Everyone I Ever Slept With" und war ein Zelt, auf dessen Stoffwände Emin die Namen von allen ihren Sexualpartnern verewigte.

Jonas: Mich haben die Fotografien von Richard Billingham beeindruckt. Sie drücken Verzweiflung und Lethargie aus. Auf einem Bild portraitiert er seine Mutter, die puzzelt. Man hat fast das Gefühl, dass das Puzzle mit dem schäbigen Hauskleid der Frau verschmilzt.

Wie hat euch der Aufbau der Schau gefallen?

Jonas: Gut. Schon der Einstieg ist gelungen: Im ersten Raum werden aufgeschlagene Tagebücher in einer Vitrine ausgestellt.

Käte: Man durchläuft als Besucher die mit der Zeit voranschreitende Auflösung der Privatheit -- angefangen in der Zeit, in der man private Geheimnisse nur seinem Tagebuch anvertraute und Familienfeste mit Super8-Kameras festhielt, bis zum Facebook-Zeitalter der Post-Privatheit. Heute ist es doch so: Man muss sich aktiv dagegen wehren, dass Privates öffentlich gemacht wird. Als unsere Tochter geboren wurde, haben wir zum Beispiel zu unseren Freunden gesagt : „Bitte postet keine Fotos von unserem Kind".

Jonas: Für die einen ist es ein Tabu, sein Leben auf Facebook zu veröffentlichen, für andere ist es eine Selbstverständlichkeit.

Meldet ihr euch jetzt von Facebook ab?

Käte: Nein. Ich glaube, ich habe meine Privatsphäre unter Kontrolle. Es gibt Privates, das ich teilen will und Privates, das ich nicht teilen will.

Jonas: Soziale Netzwerke bieten auch neue, gute Ausdrucksmöglichkeiten. Durch die Ausstellung wird einem aber bewusst, wie wertvoll das Private ist. Es ist ein Rückzugsort in unserer alles umspannenden multimedialen Welt.