Wenn sie auf der Theaterbühne steht, dann kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus: Constanze Becker lebt und arbeitet in Frankfurt und ist der Star im Ensemble des Frankfurter Schauspiels. Jetzt hat sie auch selbst Regie geführt.

Constanze Becker sitzt an einem Tisch in der Schauspielkantine. Sie antwortet ruhig, zurückhaltend, wirkt beinahe ein bisschen reserviert. Wahrscheinlich irritiert mich das, weil ich sie bislang vor allem als aus der Haut fahrende, an die Grenzen gehende Darstellerin auf der Bühne des Frankfurter Schauspiels kenne. Als Medea. Als Iokaste. Als Hedda Gabler. Oder, besonders im Gedächtnis bleibend, als berlinernde, verzweifelte Frau John in Gerhart Hauptmanns „Die Ratten", einer Inszenierung, die Michael Thalheimer 2007 für das Deutsche Theater Berlin geschaffen hat. Den Fehler, eine Schauspielerin, einen Menschen mit seiner Rolle zu verwechseln, sollte man eben nicht machen.

„Es sind die Figuren, die mir besonders fremd sind, die ich spannend finde", sagt sie dann auch. Und: „Es macht mir einfach großen Spaß zu entdecken, wie ich als ein anderer Mensch wäre. Wie würde ich mich in Extremsituation verhalten, in die ich hoffentlich niemals kommen werde?" Das war es auch, was sie als Jugendliche am Theater und an der Oper faszinierte: die Parallelwelt, die dort entsteht, die Kunstwelt. Gerade probt sie für „Die Nibelungen". Mit der Inszenierung wird im Herbst die neue Spielzeit eröffnet. Constanze Beckers Rolle ist Brunhild, die Königin von Island, die über magische Kräfte verfügt -- solange sie Jungfrau bleib

„Mich interessiert das Ungezähmte, das Halbwilde dieser Figur, und wie es dann schrittweise zu einer Zähmung, zu einer Überwältigung dieses Wesens kommt. Ich finde das sehr anrührend, aber auch sehr traurig. Das ist eine Rolle, bei der ich mit mir und meiner Persönlichkeit erstmal gar nicht weiterkomme." Am Abend zuvor hat sie mit der Regisseurin und der Kostümbildnerin lange über das Kostüm für diese Figur gesprochen: „Wir haben uns gefragt: Wie bringt man diese Form von Fremdheit und Ursprünglichkeit in eine heutige Form, ohne dass man in der Ethno-Ecke landet?"

Fiese, männermordende Alkoholabhängige wird es immer geben

Der Dokumentarfilmer Andres Veiel hat Constanze Becker (und drei andere angehende Schauspieler) begleitet, als sie sich an der renommierten Berliner Ernst-Busch-Schule beworben haben. Veiel hat die vier immer wieder besucht, bei den Proben oder zu Hause, hat lange Gespräche mit ihnen geführt. „Die Spielwütigen" heißt dieser berührende Film. Constanze Becker beklagt sich darin, dass sie von ihren Lehrern ausschließlich als ältere, reifere Frauen besetzt wird. Das ist im Grunde heute noch so. Ärgert sie das immer noch? „Nein, damit habe ich mich arrangiert, weil ich gemerkt habe, dass diese Rollen die spannenderen Figuren sind. Die sind ja nicht einfach nur alt, sondern haben auch ein großes Potential an Erlebtem, an zu Zeigendem. Und natürlich ist das auch eine Typfrage: Ich war immer schon groß und dunkel. Damit ist man eben nicht prädestiniert für das Gretchen. Ich kenne Kolleginnen, die spielen bis Mitte 30 die jungen Naiven und kommen da gar nicht mehr heraus. Dieses Problem habe ich nicht: Fiese, männermordende Alkoholabhängige wird es immer geben. Da habe ich noch ein paar Jahre und ein paar Rollen vor mir."

Zu sagen, es läuft gerade gut für Constanze Becker, ist maßlos untertrieben. Sie ist das Aushängeschild des Frankfurter Schauspiels. Schon 2008 wurde sie bei der berühmten Kritikerumfrage der Zeitschrift „Theater heute" zur Schauspielerin des Jahres gewählt. Michael Thalheimers Inszenierung der „Medea", in der sie die Hauptrolle spielt, wurde beim vergangenen Berliner Theatertreffen unisono in den Himmel gelobt. Für die „Medea" wurde sie außerdem mit dem renommierten Gertrud-Eysoldt-Ring ausgezeichnet. Ich will wissen, ob diese Erfolgsserie sie unter Druck setzt. „Eigentlich nicht. Was aber passiert: Irgendwann geht mir das alles auf die Nerven. Ich habe nicht gerne so viel Rummel um meine Person. Mit dem Theatertreffen und dem Eysoldt-Ring wurde es mir jetzt ehrlich gesagt sogar ein bisschen zu viel. Zigtausend Interviews, bei denen ich denke, ich sage immer das gleiche. Die Anerkennung ist wunderbar, aber irgendwann habe ich dann auch gerne wieder meine Ruhe." Wenn sie ihre Arbeit erklären soll, dann fühlt sie sich häufig wie ein Fußballer, der direkt nach Abpfiff begründen soll, warum er nun ein Tor oder eben kein Tor geschossen hat, sagt Becker dann noch.

In den Requisiten

Wir verlassen die Kantine, laufen durch lange, dunkle Gänge. Constanze Becker zeigt mir die Maske, wo sie vor ihren Auftritten geschminkt wird. Der große Spiegel ist mit Postkarten und Fotos behängt, daneben Töpfchen, Pinsel, Schminkstifte und eine Packung Babyfeuchttücher: „Damit geht Schminke einfach am besten ab." Wir gehen weiter auf die Hinterbühne, in die Kulissen. Das riesige Bühnenbild der „Nackter Wahnsinn"-Inszenierung steht da. Überall finden sich Werkzeug, Requisiten, ein großes Pult. Aus diesem Blickwinkel wird sofort spürbar, welcher Aufwand das ist, Theater zu machen.

Vor kurzem hat Constanze Becker die Seiten gewechselt, von der Bühne auf den Regiestuhl. Mit Studenten von der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst hat sie für die Kammerspiele Marieluise Fleißers frühes Stück „Fegefeuer in Ingolstadt" inszeniert. „Das war ein ziemlicher Sprung ins kalte Wasser, von Null auf Hundert", sagt die Schauspielerin. Theater, Bühne, Licht, Kostüme, der Apparat Schauspielhaus, acht noch lange nicht fertige Schauspieler: Dass sie mit dieser Arbeit an ihre Grenzen gegangen ist, daraus macht Constanze Becker kein Geheimnis. Gelohnt hat es sich auf alle Fälle: „Fegefeuer in Ingolstadt" ist ein konzentriertes, intensives Theatererlebnis, das einen berührt, das im Kopf bleibt -- auch wenn Constanze Becker diesmal nicht selbst auf der Bühne steht.