Pop-Ikonen, Künstler, Musiker, Dichter und Denker – Erró hat zahlreiche Portraits geschaffen. Sie sind hart an der Grenze zur Karikatur.

Ob der Papst Eselsohren bekommt, Martin Luther zum Instrument des Teufels wird oder Nicholas Sarkozy eine lange Nase wächst – Karikaturen haben eine lange Tradition. Trotz Größen wie Honoré Daumier oder James Gilray gilt die nicht selten politische Bildsatire auch heute noch als das ‚enfant terrible’ der Kunstgeschichte. Und das, obwohl kein geringerer als Leonardo da Vinci bereits seine Fähigkeiten damit schärfte, Köpfe und Körper mit extremen Physiognomien zu zeichnen. Es galt ihm als geeignete Fingerübung, außergewöhnliche, extreme, aber auch hässliche Gesichtszüge im Bild herauszustellen.

Von Karren und Ronald Reagan

Das italienische Verb caricare bedeutet nicht nur komisch darstellen, sondern auch beladen, oder aufladen. Der deutsche Karren gehört interessanterweise zur gleichen Wortfamilie. Aber zum Wesentlichen: Wo ist hier die Verbindung zu Erró? Zunächst einmal ganz banal: Das Wort überladenkönnte sich manch einem Betrachter aufdrängen, der sich den „Scapes“, den ausladenden und prall gefüllten Bildlandschaften Errós gegenüber sieht.

Eindeutig lässt sich aber vor allem die Beziehung zwischen politischer Karikatur und der „Reaganscape“ aus dem Jahr 1986 herstellen. Das gewaltige Ölgemälde ist über und über bedeckt mit satirischen Darstellungen des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan. Hinter einem Netz schwarzer Linien, das an die Längen- und Breitengrade auf einem Globus, oder die endlosen Fenstermosaike riesiger Hochhäuser erinnert, scheint die riesige Sammlung zahlloser Karikaturen über die Bildränder hinaus unendlich weiterzugehen. Im Vordergrund hat sich ein überdimensionierter „Ghost Rider“ auf die Jagd nach einem besonders großen Reagan-Exemplar gemacht, womit die Grenzen von Cartoon, Karikatur und Comic verschwimmen und ein humorvoll groteskes Gesamtbild entsteht.

Das Groteske, das Monströse

Man könnte die Arbeiten der Werkreihe „The Monsters“ (1967/68) guten Gewissens in die Schublade Portraits einordnen. Wenn nicht das Gesicht jedes Dargestellten in zwei Teile getrennt und die Leerstellen der nunmehr zwei Portraits durch eine Monsterfratze ergänzt worden wäre. Das Ergebnis: Ein Doppelportrait, halb Mensch, halb Monster. Man gerät schnell ins Spekulieren: „Hatte Chaplin etwas an sich, das an Frankenstein erinnert?“- „Spiegelt die besonders gruselige Darstellung Van Goghs vielleicht einen Charakterzug wieder?“

Die Verkörperung von Charaktereigenschaften durch groteske Physiognomien ist in der Karikatur durchaus gängig. Aber so sehr man sich auch bemüht, Errós mysteriöse Doppelportraits als Karikatur zu „lesen“, es lassen sich aus der Monsterdarstellung keine Schlüsse auf die Abgebildeten ziehen. Allerdings scheint die Komik der absurden Darstellung den überlebensgroßen Ikonen (des Guten wie des Bösen) etwas von ihrer Aura zu nehmen und sie zurück auf Augenhöhe zu bringen.

Grimassen schneiden

Jedes Kind weiß: durch Augen aufreißen, Zähne fletschen, Nasenflügel aufblähen oder Zunge rausstrecken sieht das Spiegelbild plötzlich nicht mehr menschlich aus. Wer Grimassen schneidet, hat keine Angst, seine unzivilisierte, animalische Seite zu zeigen; eine Portion Selbstironie gehört natürlich dazu. Der Philosoph Voltaire empfand es sogar als chic, sich in unvorteilhafter Pose malen zu lassen. Das zeugt von Selbstbewusstsein und belebt das Image als kauziges Genie. Und paradoxerweise lässt es den Abgebildeten menschlicher erscheinen.

Erró, Grimaces (Ausschnitt), 1962-1967, 16mm, schwarz-weiß, Ton, 42:00

Errós wohl berühmtester Film „Grimaces“ (1962-1967) zeigt 167 Künstler, die in kurzen Sequenzen ihr Gesicht auf unterschiedlichste Art und Weise verzerren. Christo, Pistoletto, Oldenburg, Erró selbst, Sturtevant, Warhol und viele weitere zeigen sich in Nahaufnahme auf eine Weise, die unheimlich privat erscheint. Kein Pathos, keine Förmlichkeit, es wird der Unzivilisiertheit gefrönt. Zu hören ist dabei ein Lautgedicht von Francois Dufrêne, dessen Eindringlichkeit die schaurig-schöne Mimik der Künstler untermalt. Und sie alle scheinen zu sagen: „Wenn man sich selbst karikiert, müssen es die anderen nicht mehr machen!“