Das It-Girl gibt es seit 1927 – das gewisse Etwas scheint ihnen jedoch über die Jahre weitestgehend verloren gegangen zu sein.

Das It-Girl ist mehr als nur ein Phänomen. Das It-Girl ist zu einem eigenen Wirtschaftszweig geworden, vielleicht sogar zu einem eigenen Wirtschaftssystem. Denn die Prinzipien "Arbeite hart und viel und du verdienst mehr Geld" oder "Leistung zahlt sich aus" gelten nicht für It-Girls. Arbeiten im klassischen Sinne tun sie nicht. Sie müssen nicht talentiert oder beruflich erfolgreich sein. Es geht allein darum, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Modisch immer einen Schritt voraus, charmant und reich. Denn reich sind It-Girls meistens von Geburt an. Sie kommen aus reichen Familien, sind potenzielle Erbinnen eines Hotelimperiums, sind Rocker- oder Adelstöchter. Diese jungen Frauen brauchen keinen ausgeklügelten Businessplan für ein Start-Up-Unternehmen, sie brauchen nur das gewisse Etwas.

Und paradoxerweise wird aus dem "It", aus diesem "Etwas", dann doch ein ganzes Unternehmen. Aufgebaut einzig und allein auf einem sehr ausgereiften Ego. Je häufiger sich It-Girls in der Öffentlichkeit (primär auf Partys) zeigen, umso häufiger werden sie von Paparazzi abgelichtet und in den Medien abgebildet. Das Interesse steigt, die Medienpräsenz steigt weiter und meistens folgen dann Jobangebote. Als Moderatorin oder Protagonistin einer eigenen TV-(Reality-) Serie, als Gesicht für Werbekampagnen und generell Modelaufträge, als DJane, Parfümeurin oder Designerin, als Verfasserin von Kolumnen oder gleich ganzen Büchern.

Dann kurbeln It-Girls nicht nur ihr eigenes Wirtschaftssystem an, sondern die Wirtschaft insgesamt. Mit dem It-Girl einher kommt eine It-Bag und die muss jeder, der genauso "it" sein will, natürlich über dem Handgelenk hängen haben. Das gilt auch für entsprechende Schuhe, Handys, Sonnenbrillen und was sonst noch an einem It-Girl dran oder drauf ist. Die Inkarnation des It-Girls ist Paris Hilton. Sie war plötzlich da, einfach so. Sie war zusammen mit einem anderen It-Girl, Nicole Richie (Tochter von Lionel) Teil der Reality-Soap "The Simple Life". Zusammen haben sie als verwöhnte Gören das einfache Leben kennen gelernt und sich dabei furchtbar daneben benommen.

Von Millionen umschwärmt und von genauso vielen gehasst

Um die Berühmtheit nicht abflauen zu lassen, folgt traditionell ein "ich-habe-keine-Ahnung-wie-das-an-die-Öffentlichkeit-geraten-ist"-Sexvideo. Paris Hilton allerdings versuchte erst gar nicht, es aus der Welt zu räumen, sie vermarktete es ganz offiziell. In den letzten zehn Jahren hat sie zudem zehn Parfüms auf den Markt gebracht, ein Album aufgenommen und ein Buch herausgebracht. "Confessions of an Heiress: A Tongue-in-Chic Peek Behind the Pose" stand 2004 wochenlang in den Top-Ten der Bestsellerliste der New York Times. Und zu der Bezeichnung It-Girl haben sich im Wikipedia-Eintrag seitdem folgende Bezeichnungen gesellt: Modedesignerin, Fotomodell, Schauspielerin, Sängerin und Unternehmerin.

Paris Hilton ist ein Unternehmen geworden, das auf einer PR-Maschinerie basiert, die sich andere nur wünschen können. Sie verdient pro Abend 100 000 Dollar wenn sie als Gast bei einer Party aufkreuzt. 2005 erhielt sie den von VH1 verliehenen Preis "It Girl des Jahres" (kein Scherz, den gibt es wirklich). Die Welt der Paris Hilton ist pink und glitzernd mit Krönchen auf dem Kopf. Sex sells, ohne jegliche Subtilität, sie inszeniert sich als "anything-is-possible-bitch". Sie wird gleichzeitig von Millionen umschwärmt und von genauso vielen gehasst. Doch darum geht es: zu polarisieren.

Paris Hilton hat die Definition des It-Girls neu ausgerichtet. Allerdings zum Schlechten. Die Wortschöpfung hat ihren Ursprung bereits im Jahr 1927, die Schauspielerin Clara Bow gilt als das erste It-Girl. Der Name leitete sich schlichtweg aus dem Film ab, durch den sie berühmt wurde. Dieser heißt "It", eine romantische Stummfilm-Komödie. Monty Montgomery ist auf der Suche nach der Frau mit dem gewissen Etwas. Er weiß noch nicht genau, was es ist, aber er hat es in der Cosmopolitan gelesen. Er trifft auf Betty (Clara Bow) und weiß bei ihrem Anblick -- das ist es. Eine Mischung aus Sex-Appeal, Charme, Charisma und Unschuld, sinnlichen Lippen und großen braunen Augen. Clara Bow wurde zum ersten Sex-Symbol Hollywoods und "seither gemeinerweise Pate für eine Heerschar junger High-Society-Damen à la Paris Hilton" (Katja Iken, Spiegel-Online). Denn Bow und ihre "Nachfahren" haben rein gar nichts gemein. Clara Bow war talentiert und arbeitete sich als Slumkind ihren Weg nach oben.

Das aktuell angesagteste It-Girl ist Alexa Chung. Sie hat dem Beruf (kommt vom Wort Berufung) wieder etwas Bodenständiges eingehaucht. Alexa kommt nicht aus reichen Verhältnissen, sie wurde mit 14 Jahren als Model entdeckt. Das ist mittlerweile schon lange nicht mehr ihre Hauptverdienstquelle. Sie wird auf Partys eingeladen und fährt Kooperationen mit Mode- und Kosmetiklabels. Mulberry hat eine Tasche nach ihr benannt -- mehr "it" kann eine Tasche nicht haben. 2013 kam das Buch mit dem selbstironischen Titel "It" heraus. Den Inhalt muss man allerdings zwischen den Zeilen und Fotos suchen. Wie die meisten It-Girls ist Alexa zwischen New York und London bestens vernetzt, hat eine hyper-coole Clique aus anderen It-Girls und Rockstars und lässt die Welt per Instagram an ihrem Leben teilhaben. Chung setzt Modetrends, gilt als Muse Karl Lagerfelds und Stilikone. Eine weitere mysteriöse Berufung.