Ad Reinhardt hat die Malerei an ihr Ende geführt: Einige Jahre vor seinem Tod begann er, immer wieder das "letzte Bild" zu malen. So entstanden die berühmten "Black Paintings".

Gestaltlos, formatlos, formlos, lichtlos, farblos, glanzlos, raumlos, beziehungslos, ohne Komposition, ja ohne Interesse: So beschrieb der New-Yorker Maler Ad Reinhardt selbst die „Black Paintings", seine bis ein Jahr vor seinem Tod 1967 entstandenen letzten Bilder. Auf quadratischen Leinwänden erstreckt sich eine schwarze Fläche. Erst bei näherem Hinsehen lassen sich kleinere Quadrate ausmachen, deren ebenfalls schwarze Fläche wiederum leicht in der Pigmentierung variiert und sich dadurch vom Hintergrund abhebt. Unterschiedlich viele dieser Quadrate sind in einem strengen Raster mit neun Einzelflächen verschieden angeordnet, mal formen sie ein Kreuz, mal ist nur eins zu sehen. Dass es sich hierbei nicht um eine Komposition handelt, ist überspitzt ausgedrückt. Doch sicher ist: Reinhardt hat es geschafft, die Malerei an ihr Ende zu führen.

Das tat er ganz bewusst. Die abstrakte Malerei trieb er über viele Jahre hinweg an ihre Grenzen und darüber hinaus, jegliche Bedeutung und jeden subjektiven Ausdruck wollte er von der Leinwand verbannen. Damit unterschied sich sein Ansatz deutlich von dem seiner US-amerikanischen Kollegen, den Abstrakten Expressionisten. Jackson Pollock oder Mark Rothko bezogen sich zwar nicht auf sichtbare Objekte, auch sie hatten kein Sujet. Aber sie nahmen Bezug auf das, was in ihnen vorging. Ihre Gefühlswelt war in gewisser Weise Gegenstand ihrer expressiven Malerei. Reinhardt sträubte sich vehement dagegen, Gemütszustände auf die Leinwand zu bringen.

„Abstrakter" als abstrakt 

Die Distanz des Künstlers zu seinem Pinsel wurde zur Bedingung eines größeren Projekts. Reinhardt verfasste Schriften zur abstrakten Malerei und betrieb in seinem Atelier regelrecht empirische Forschung. Er wollte herausfinden, wie er „abstrakter" als abstrakt malen konnte: die Erforschung eines unmöglichen Superlativs. Damit knüpfte an eine Theoretisierung des Abstrakten an, die der De Stijl-Künstler Piet Mondrian und der Suprematist Kasimir Malewitsch schon einige Jahrzehnte zuvor in Europa angestoßen hatten. Als Malewitsch 1918 sein „Weißes Quadrat auf weißem Grund" präsentierte, drei Jahre, nachdem er mit dem „Schwarzen Quadrat auf weißem Grund" für Aufsehen gesorgt hatte, war er dem Ende der Malerei schon sehr nahe gekommen. Er knüpfte in keiner Weise an die Welt des Sichtbaren an. Seine Werke ließen auch keine Assoziationen zu, wie etwa die von Wassily Kandinsky.

Auch bei Mondrian sollte das Gemälde völlig referenzlos sein und eigenen kompositorischen Regeln folgen. Er reduzierte seine Palette auf die Grundfarben Gelb, Rot und Blau, die Nichtfarben Schwarz, Grau und Weiß, ordnete Bildelemente nur noch senkrecht und waagerecht an. Ad Reinhardt hatte schon ab den 1950er-Jahren „rote" und „blaue" Bilder gemalt und farblich leicht nuancierte Rechtecke symmetrisch darauf angeordnet. Er gehörte zu einer ganzen Reihe von Künstlern des 20. Jahrhunderts, die mit geometrischen Formen und Monochromie experimentierten -- Malewitsch hatte eine Generation beschäftigt. Schon ab 1953 waren die meisten von Reinhardts Gemälden schwarz, ab 1960 malte er nichts anderes mehr, als immer wieder dieses letzte Bild. Indem er die Illusion zunehmend perfektionierte und jeden sichtbaren Pinselstrich zu eliminieren versuchte, wollte er dem Wesen der Malerei so nahe wie irgend möglich kommen. Er wollte „Ultimate Paintings" schaffen, wie er sie auch nannte.

„Die Befreiung des Künstlers von sich selbst"

Übrig blieb die letzte Instanz des Sichtbaren, ein schwarzes Loch, in dem alles verschwindet, vor allem die Künstlerpersönlichkeit selbst. Es ginge bei dieser Art der Malerei um nichts Geringeres als die Befreiung des Künstlers von sich selbst, der Kunst vom einzelnen Kunstwerk, der Kunst von der Geschichte, des Geistes von der Materie, des Denkens von seinen perzeptuellen und intellektuellen Grenzen, schrieb Susan Sontag in ihrem 1967 erschienenen Essay „Die Ästhetik des Schweigens". Reinhardt verabschiedete sich mit dem wohl radikalsten Gestus aus dem Leben: Dem Versuch der völligen Auslöschung des Künstlers aus seinem Werk. Es mutet fast ironisch an, dass er der Kunstgeschichte gerade dadurch ein sehr persönliches Erbe hinterlassen hat.