Was sind die Top 10 des sudanesischen Films? Die Kuratorin Larissa-Diana Fuhrmann hat eine Auswahl an Klassikern und Neuerscheinungen zusammengestellt, die einen Einblick in verschiedene Lebenswirklichkeiten im Sudan geben.

1. „Tajouj" (1977) von Gadalla Gubara

„Tajouj” ist der erste Spielfilm, der im Sudan produziert wurde und handelt von einer tragischen Liebesgeschichte zwischen drei Personen in einem abgelegenen Dorf im Osten des Landes. Der junge Mann Mohallak verliebt sich in seine Cousine Tajouj. Mit einer musikalischen Einlage gesteht er ihr seine Liebe. Obwohl sein Onkel, der Vater von Tajouj, zuerst die Ehe ablehnt, stimmt er der jungen Liebe schlussendlich zu. In der Zwischenzeit hat Tajouj allerdings einen neuen Verehrer, was Mohallaks Eifersucht schürt. Die Ereignisse überschlagen sich und das Drama nimmt seinen Lauf. Als die Situation endgültig eskaliert muss Mohallak das Dorf als wandernder Barde verlassen. Der Film basiert auf einer romantischen Novelle der Schriftstellers Osman Mohamed Hashim, die als erster sudanesischer Roman gilt.

Der Regisseur Gadalla Gubara ist als erster Filmemacher im Sudan in die Geschichte eingegangen und assistierte Leni Riefenstahl in ihrer Zeit im Sudan. Das Archiv des Filmemachers wurde post mortem von einem sudanesisch-deutschen Filmprojekt digitalisiert und der Film somit wieder einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Tajouje by Gadalla Gubara, 1977,  © German Embassy Khartoum, Image via khartum.diplo.de

2. „Jamal” (1981) von Ibrahim Shaddad

Der Kurzfilm „Jamal” (dt. Kamal) ist ein Klassiker des sudanesischen Filmpioniers Ibrahim Shaddad. Der Schwarz-Weiß-Film erzählt die Geschichte eines Kamels, das eine Sesammühle betreibt. Das Tier steht dabei metaphorisch für das exzessive Arbeiten und den beständigen Wunsch nach Freiheit. Die zuerst so banal erscheinende Handlung greift also ein tiefgründiges Thema auf: Die Existenz des Seins.

Der 1949 geborene Regisseur wurde an der Filmuniversität Babelsberg in Deutschland ausgebildet und widmet sein Leben bis heute dem sudanesischen Kino und seiner Erhaltung. „Jamal”, so wie auch die anderen Filme von Ibrahim Shaddad, wurden über viele Jahre von der sudanesischen Regierung zensiert. So erzählt die Geschichte auch von seinem unermüdlichen Kampf gegen Zwänge, Repression und die von außen auferlegten Grenzen des Möglichen.

Jamal/ A Camel by Ibrahim Shaddad, 1981 (c) Ibrahim Shaddad, Image via berlinale.de

3. „Beats of the Antonov” (2014)  von Hajooj Kuka

Der Dokumentarfilm „Beats of the Antonov” (dt. Taktschlag der Antonow) beschäftigt sich mit dem gewaltvollen Konflikt in den südlichen Regionen des Blauen Nils und der Nuba-Berge. Dabei konzentriert sich der Regisseur auf die Rolle der Musik, die den betroffenen Gemeinschaften hilft, sich angesichts des anhaltenden Konflikts um ihren kulturellen und spirituellen Erhalt zu kümmern. Die sudanesische Regierung, mit Sitz im weit entfernten Khartum, funktionierte Antonow-Flugzeuge um und nutzt sie zur Bombardierung der (vermeintlich) von Rebell*innen besetzten Gebiete. Gleich nach dem Einschlag der Bomben kommen die Bewohner*innen zusammen und nutzen ihre Stimmen und Instrumente als Werkzeuge gegen die Gewalt und den Schrecken. So folgt dem Geräusch der munitionsbeladenen Flugzeuge das gemeinsame Musizieren und Singen. Die Musikethnologin Sarah Abunama-Elgadi (auch bekannt von der Band Alsarah and the Nubatones) begleitet die Dreharbeiten und stellt das Phänomen dabei in einen größeren Diskurs des kulturellen Widerstands gegen Unterdrückung.

Der Film entstand über einen Zeitraum von zwei Jahren und ist einer der ersten sudanesischen Filme, die nach langer Pause das sudanesische Kino wieder auf eine internationale Bühne gebracht haben.

4 „Nyerkuk” (2016) von Mohamed Kordofani

Im Spielfilm „Nyerkuk” verliert der zwölfjährige Adam seine Familie in einem Luftangriff. Obdachlos muss das Kind sich selbst um sein Überleben und seine Zukunft kümmern. So bleibt ihm nur die Möglichkeit, in die Stadt zu ziehen und Arbeit zu suchen, um sich über Wasser zu halten. Doch findet der Junge im urbanen Zentrum nur schwer eine vernünftige Anstellung und wird schließlich von einem professionellen Dieb angeheuert und als Einbrecher ausgebildet. Mit anderen Kindern zusammen bricht er in die Häuser reicher Stadtbewohner*innen ein und bestreitet so seinen Lebensunterhalt. Sein krimineller Erfolg bringt ihm allerdings Neider*innen und auch unter der Gewalt seines Chefs leidet er zusehends. Er beschließt, sich zu befreien und einen Neustart zu wagen.

Der Regisseur Mohamed Kordofani zeigt damit auf verschiedene Konfliktherde im Land – darunter Krieg, soziale Spaltung und ökonomische Missstände. Seine Produktionsfirma bereichert seit fast 10 Jahren die sudanesische Kulturszene und produziert Filme, die sich einer Reihe von sozio-politischen Themen widmen.

5. „Akasha” (2018) von Hajooj Kuka

„Akasha” (dt. das Zusammentreiben) gibt einen humoristischen Einblick in 24 Stunden im Leben eines Paars zwischen Liebe und Gewalt. Der revolutionäre Soldat Adnan hat sich eine Auszeit verdient, nachdem er im Kampfgefecht ein Flugzeug abgeschossen hat. Doch ist er privat hin- und hergerissen, was seine Liebe für seine langjährige Freundin Lina und seine AK-47 namens Nancy angeht. Lina reicht es und sie wirft ihren treulosen Freund aus dem gemeinsamen Haus. Doch Adnan denkt nicht daran, wie er Lina zurückgewinnen kann. Für ihn gibt es nur den einen Gedanken: Wie bekommt er Nancy wieder, die mit seinen restlichen Habseligkeiten im Haus verblieben ist? Absi, ein Pazifist, schließt sich ihm an und sie versuchen gemeinsam, Nancy zu retten.

Vor den Dreharbeiten unterrichtete der Regisseur Hajooj Kuka Schauspiel an einem lokalen Jugendzentrum. Dort traf er Mohamed Chakado und Kamal Ramadan, die er später als Hauptdarsteller castete. Trotz des eingeschränkten Budgets gelang es dem Team, eine humoristische Geschichte über Liebe in Zeiten des Bürgerkriegs zu erzählen und das Publikum zu überraschen.

6. „Khartoum Offside” (2019) von Marwa Zein

Das intime Portrait mit dem Titel „Khartoum Offside” (dt. Khartum Abseits) zeigt die Geschichte einer Frauenfußballmannschaft im Sudan. Frauen wurden seit den 1980er-Jahren sukzessive ihre Rechte von der Regierung entzogen, so auch das Recht zur Teilnahme an sportlichen Aktivitäten wie dem Fußballspielen. Die charismatische Trainerin Sara Jubara sucht nach Möglichkeiten, den größten Traum der Frauen wahr zu machen - eine Teilnahme an der Fußball-Weltmeisterschaft für Frauen. Das Team, bestehend aus Spielerinnen aus dem Sudan und dem Südsudan, zeigt, wie eine gemeinsame Leidenschaft Frauen im Kampf um Gerechtigkeit und Anerkennung vereinen kann. Gefilmt über vier Jahre, verfolgt der Film, wie das Team trotz des Verbots Fußball spielt und letztendlich das Ziel erreicht, als sudanesisches Frauen-Nationalteam offiziell anerkannt zu werden. Doch treffen sie immer wieder auf heftigen Widerstand.

Die Regisseurin Marwa Zein erzählt in „Khartoum Offside” von einem feministischen Kampf, den auch sie selbst tagtäglich kämpft. 

7. „Talking about Trees” (2019) von Suhaib Gasmelbari

Der Film „Talking about Trees” (dt. über Bäume sprechen) des Filmemachers Suhaib Gasmelbari verfolgt die Anstrengungen von vier pensionierten Filmemachern: Ibrahim Shadad, Manar Al Hilo, Suleiman Mohamed Ibrahim und Altayeb Mahdi. Ihr Ziel ist es, trotz jahrzehntelanger politischer Zensur und ineffizienter Bürokratie, ein Freiluftkino in der Stadt Omdurman wiederzueröffnen. Seit den 1980er-Jahren wurden Kunst- und Kulturveranstaltung systematisch von der Regierung eingeschränkt und die einst lebhafte Kulturlandschaft fast zum Erliegen gebracht. Doch gab es immer wieder Künstler*innen, die sich gegen das repressive System aufgelehnt haben. So auch die Gruppe der einstigen Stars der sudanesischen Filmszene. Das poetische Portrait zeigt die Freundschaft der Männer, die durch ihre Leidenschaft für das Kino verbunden sind.

Zugleich erzählt Gasmelbari auch seine persönliche Geschichte als Filmemacher im Sudan, der gegen ein politisches System der Zerstörung aufbegehrt.

8. „You Will Die at Twenty” (2019) von Amjad Abu Alala

„You Will Die at Twenty” (dt. du wirst mit 20 sterben) spielt in einem fiktiven Dorf am Nil im Staat Gezira im Sudan. Der Film beginnt damit, dass der Mutter Sakina nach der Geburt ihres ersten Sohnes Muzamil von einem sufistischen Mystiker vorhergesagt wird, dass ihr Kind mit 20 Jahren sterben muss. Muzamils Leben dreht sich ab diesem Zeitpunkt nur noch um diese Vorhersage und die Frage, ob sie eintreten wird. Obwohl er versucht, sein Leben wie andere Kinder zu leben, hängt die Vorhersage wie ein Damoklesschwert über seiner Familie. Zwischenmenschliche Beziehungen in seinem Leben scheitern immer wieder. Als Jugendlicher lernt er Suleiman kennen, ein Außenseiter, der am Rande der Dorfgemeinschaft lebt, nachdem er jahrelang im Ausland gelebt hat. Mit einem Projektor zeigt er Muzamil Filme in seinem Haus und ermöglicht ihm damit, die Welt außerhalb der Grenzen seines Zuhauses zu erahnen. Muzamil entscheidet sich schließlich, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und sich nicht der Vorhersage zu unterwerfen. Stellt sich nur noch die Frage, ob er seinem Schicksal entkommen kann.

Der Regisseur Amjad Abu Alala verarbeitet einen großen Teil seiner persönlichen Lebensgeschichte im Film und wirft sein Augenmerk auf eine Reihe schwieriger sozialer Konflikte im Land.

9. „A Handful of Dates” (2019) von Hashim Hassan

Die Verfilmung der gleichnamigen Kurzgeschichte „A Handful of Dates” (dt. eine Handvoll Datteln) von Tayeb Salih, erzählt die Geschichte eines kleinen Jungen. Meheimeed lebt eine idyllische Kindheit in einem mystischen Dorf im Norden des Sudans. Er verspürt eine unerschütterliche Liebe zum ländlichen Leben und seinem Großvater Hajj Ahmed. Er ist sein moralisches Vorbild und besitzt große Ländereien in der Gegend um das Dorf. Doch dann entdeckt Meheimeed schmerzlich, dass das Leben voller unverhoffter Überraschungen ist. Sein Weltbild verändert sich grundlegend, als er die Gründe für den Reichtum seines Großvaters herausfindet. So muss er sich von der Idealvorstellung seines Großvaters als Identifikationsfigur verabschieden.

Der sudanesisch-mexikanische Regisseur Hashim Hassan, der in Kalifornien lebt, zeigt die interkulturelle/generationelle Kluft zwischen Meheimeed und seinem Großvater, wie er sie auch von seinem eigenen Vater und sich selbst kennt. Er nutzte den Film, um dieses Thema in einem anderen Kontext zu erkunden.

10. „Al-Sit” (2020) von Suzannah Mirghani

Der Kurzfilm „Al-Sit” begleitet die 15-jährige Nafisa, die im Dorf ihrer Familie mit einer arrangierten Ehe konfrontiert wird. Sie ist eigentlich in einen Jungen namens Babiker verliebt, doch ihre Eltern haben andere Pläne für sie. Nadir, ein junger Geschäftsmann, soll ihre Tochter heiraten. Ihre Eltern sind der Überzeugung, die bessere Entscheidung für das zukünftige Leben von Nafisa treffen zu können. In einer Gesellschaft, in der die Familie so involviert ist in die Lebensplanung ihrer Mitglieder, ist es schwierig sich solchen Entscheidungen zu entziehen. Auch ihre Großmutter – Al-Sit, die Matriarchin der Familie -, weiß, wie Nafisas Zukunft auszusehen hat. Doch ist es das, was Nafisa will?

In dem kurzen Drama verwirklicht sich die Filmemacherin Suzannah Mirghani einen Traum: Das Filmteam bestand zu 99% aus Sudanes*innen und zeigt, dass die sudanesische Filmszene nach Jahrzehnten der Repression langsam wieder aufblüht.

AMNA ELHASSAN. DECONSTRUCTED BODIES – IN SEARCH OF HOME

4. Novem­ber 2022 – 12. Februar 2023

Mehr Infos zur Ausstellung