SCHIRN-Kuratorin Ingrid Pfeiffer lässt für das SCHIRN Magazin das aktuelle Gallery Weekend Berlin Revue passieren.

Das Gallery Weekend war für mich jetzt schon zum dritten Mal in Folge ein willkommener Anlass zu einem Besuch im sonnigen und frühlingshaften Berlin. Kollegen treffen, sich austauschen und so viel Kunst sehen wie in der kurzen Zeit möglich -- so praktizieren es wohl alle, die nicht als Sammler, sondern wie ich als Kurator daran teilgenommen haben.

44 Galerien haben sich auch diesmal wieder unter der professionellen Organisation des Frankfurters Michael Neff zusammengeschlossen und neben aktuellen Positionen auch viel Klassisches präsentiert, was mir mehr als recht war. So etwa Jean Tinguelys ratternde, rumpelnde und quietschende Skulpturen aus Metall und skurrilen Fundstücken bei dem Kunsthändler Wolfgang Werner -- Objekte, die mit ihrem feinsinnigen Humor ganz in der Tradition der „Surrealen Dinge" stehen. Das galt auch für den „Coal and Lace Trolley" von Ger van Elk, ein Objekt von 1969, das bei der Galerie Lüttgenmeijer wieder- und neu zu entdecken war.

Im Hamburger Bahnhof lohnte es sich, nochmals die wunderbaren farbigen Zeichnungen von Else Lasker-Schüler anzuschauen, die in Berlin klarer und übersichtlicher präsentiert waren als zuvor im Jüdischen Museum in Frankfurt. Das immer wieder tief beeindruckende Foyer der Neuen Nationalgalerie wurde diesmal von einem großen von der Decke hängenden, ringförmigen Gebilde dominiert, ein Gemeinschaftswerk des spanischen Architekten Antonio Calatrava zusammen mit dem amerikanischen Maler Frank Stella (siehe Artikelbild).

Dass man neben den am offiziellen Gallery Weekend beteiligten Galerien auch andere Favoriten aufsucht, die diesmal nicht dabei sind, die aber ein gewohnt gutes Programm bieten und sozusagen auf dem Weg liegen, wird von allen als selbstverständlicher Nebeneffekt angesehen. Eine Entdeckung war hier der 38-jährige Tom Chamberlain bei ScheiblerMitte, dessen wunderbar glatten und schwebenden Oberflächen dadurch entstehen, dass die Grundierung mehrfach abgeschliffen wird. Solche Bilder lassen sich praktisch überhaupt nicht abbilden, aber sie in Natura zu sehen, ist ein eindrückliches Erlebnis, das viel Publikum verdient.

Weiter ging es zur Martin Creed-Ausstellung in der Galerie Johnen. Immer wieder überrascht dieser Künstler mit Unerwartetem, denn der ehemalige Turner Prize-Gewinner Creed ist ein mediales Multitalent. In der SCHIRN hat er vor einigen Jahren ein Konzert gegeben, außerdem kennt man seine Fotos, Filme und Objekte. Doch jetzt hat er wieder Neuland betreten und den Galerieraum mit einer raumfüllenden, spielerischen Form von Wandmalerei bespielt, eine erneut überzeugende Geste in seinem grundsätzlich immer konzeptuellen Werk.

Konzeptuell und auch äußerst sinnlich kommen oft die Arbeiten von Olaf Nicolai daher -- diesmal in einer wunderbaren Installation bei Eigen + Art namens „Warum Frauen gerne Stoffe kaufen, die sich gut anfühlen." Vorhänge aus schwerer Seide mit Farbverläufen transformierten die Galerie in eine Art Kombination aus Harem und Konsumforschungsstudie.

Jeder sprach und schrieb aber über die Installation des abwesenden Ai Weiwei bei Neugerriemschneider. Tote, rindenlose Bäume aus den Bergen Südchinas, zusammengeschraubt aus Einzelteilen und Symbol für sich noch im Todeskampf behauptende Natur -- kaum ein anderes Werk des Künstlers hätte wohl mehr „Vanitas" und damit berührende Aktualität entwickeln können als dieses.

Künstler hautnah konnte man diesmal vor allem bei Matthias Arndt treffen, denn Gilbert & George signierten zur Eröffnung ihrer Ausstellung von gerahmten „Urethra Postcard Pictures" das dazu erschienene dicke Buch. Ein weiterer Klassiker, der beim breiten Publikum viel zu wenig bekannte und bereits 1931 geborene Roman Opalka, war bei der Galerie Zak/Branicka zu sehen und wird ab September auch in einer Berliner Großausstellung zum Thema Polen-Deutschland gezeigt.

Eine ganz besondere Position nimmt auch der Künstler Dieter Detzner bei der Galerie Sassa Trülzsch ein: In gerußte Spiegelflächen sind Zeichnungen eingeritzt, darüber befinden sich komplexe Plexiglasstrukturen und -kästen, eine Kombination aus Individualität, Handschrift und Wissenschaft. Solche Arbeiten sind nicht nur ein intelligenter Kommentar zur Geschichte des Konstruktivismus, sondern auch eine denkbare Fortführung und Weiterentwicklung.

Zahlreiche weitere Galerien, mal mehr, mal weniger beeindruckend, waren an jenem Wochenende auch einen Kurzbesuch wert und kombiniert mit einigen Museumsbesuchen ergab sich so ein vielfältiges Bild der Berliner Szene, und das macht das Gallery Weekend immer wieder zum meinem bevorzugten Berlin-Moment.