Wie SCHIRN-Ausstellungsleiterin Esther Schlicht bei Leihgabenverhandlungen in Paris in die Filmsets von Michel Gondrys „Amateurfilm-Fabrik“ im Centre Pompidou stolperte.

Paris, vier Uhr nachmittags. Draußen vor dem Centre Pompidou lassen sich Touristen Rücken und Beine massieren, drinnen, in der „Galerie Sud“ hingegen ist die Caféterrasse wie leergefegt. Ein paar Asiatinnen haben sich im Wald um ein Lagerfeuer gruppiert, zwei kleine Schuljungen rasen mit einem grauen Wagen durch die Nacht, ansonsten steht der Verkehr still. Die eigentliche Action findet hinter den Kulissen statt: In einer Art Klassenraum debattiert eine Gruppe hitzig vor einer Tafel, eine zweite wühlt sich aufgeregt durch einen Schrank voll Kostüme und Requisiten. Weitere Anwärter lungern zum Teil schon seit Stunden im Foyer der Ausstellungshalle herum, in der Hoffnung doch noch Zugang zu der seit Tagen ausgebuchten Filmausstellung zu erhalten.

Unter dem Titel „Die Amateurfilm-Fabrik“ hat Michel Gondry in Paris einen studioartigen Parcours installiert, bestehend aus zwei Filmateliers, einer Straße mit Straßencafé, einer Metrostation, Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche, einem anonymen Korridor mit Büro, diversen Miniaturmodellen sowie einem Waldareal, einer Autoattrappe mit Rückprojektion und einem Videoclub. Jeder Besucher ist eingeladen hier – gemeinsam mit anderen Ausstellungsbesuchern – innerhalb von drei Stunden seinen eigenen Film zu drehen, ihn anschließend mit der Produktionscrew in einem Kinoraum zu sichten und als DVD in der Videothek zu hinterlegen.

Michel Gondry, Grenzen überschreitendes Wunderkind des Musikvideos und seit einigen Jahren auch als Spielfilmregisseur tätig, schlägt mit seiner „Amateurfilm-Fabrik“ eine völlig neue Form der Filmausstellung vor. Anstelle eigene filmische Arbeiten zu präsentieren oder – wie noch in seiner ersten Ausstellung bei Deitch Projects in New York – Teile seiner handgebastelten Filmsets als skulpturale Installation zu musealisieren („The Science of Sleep“, 2006), treibt er hier sein 2008 mit dem Film- und Ausstellungsprojekt „Be Kind Rewind“ formuliertes Konzept einer spielerischen Demokratisierung des filmischen Produktionsprozesses auf die Spitze. Dabei stellt er – gewiss nicht ohne Risiko – auch seine persönliche Vision vom Filmemachen zur Disposition.

So wird hier einerseits das für Gondrys Schaffen charakteristische Ideal der kreativen Bastelei und der Umsetzung großer und kleiner Ideen und Träume mit einfachen hausgemachten Mitteln propagiert. Vor allem aber geht es um die Verwirklichung einer gemeinschaftlichen Utopie. Sicher, die Idee des Filmkollektivs ist nicht neu und die Demokratisierung des Mediums dank Digicam und Youtube inzwischen weiter vorangeschritten als es sich etwa Jean-Luc Godard mit seiner Groupe Dziga Vertov Ende der 1960er Jahre hätte erträumen können. Was aber Gondry hier mit dem von ihm erdachten Setting und der dazugehörigen Gebrauchsanleitung gelingt, ist eine erfrischend zeitgemäße Synthese aus der Inszenierung und der Verwirklichung dieser alten partizipatorischen Utopie. Eine zumal, die über die pseudo-demokratischen Auswahlangebote eines Web 2.0 bei Weitem hinaus geht.

Und welches Umfeld böte sich dafür besser an als Paris, Stadt des Kinos und der Cineasten, die hier dank der offenen Fensterfronten nicht nur im Kopf Teil der Kulisse wird – allein die Szene mit der kollektiven Massage hätte sich auch Gondry selbst nicht besser ausdenken können.

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