Hannelore Elsner hat dem Audioguide zu „Courbet. Ein Traum von der Moderne“ ihre Stimme geliehen. Im Interview spricht sie über Courbet – und ihre Leidenschaft für Kunst, Film und Literatur.

Frau Elsner, der Audioguide, den Sie zur Ausstellung „Courbet. Ein Traum von der Moderne“ eingesprochen haben, ist nicht der erste, den Sie für die SCHIRN KUNSTHALLE aufnehmen. Im Jahr 2004 hatten Sie ihre Stimme bereits der Yves-Klein-Ausstellung geliehen. Nutzen Sie selbst Audioguides, wenn Sie in Ausstellungen gehen?
Jein. Ich schaue mir Ausstellungen eigentlich erst mal an und versuche selbst, den ganzen Geheimnissen und Hintergründen auf die Spur zu kommen.

In welchen Ausstellungen haben Sie das zuletzt getan?
In einigen: Frida Kahlo in Berlin zum Beispiel, die Ausstellung zu Ernst Ludwig Kirchner, dem Brücke-Maler, im Städel, wahnsinnig schön. Ich schaue mir alles an, wenn ich Zeit habe.

Was fasziniert Sie an Courbets Bildern? Gefallen Ihnen einige seiner Werke besonders?
Das Gemälde „Selbstbildnis am Abgrund“, das Sie in der SCHIRN zeigen, ist ja sowieso sein berühmtestes Bild: Ich bin total fasziniert von Courbets Malerei und auch vom Text des Audioguides. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass Courbets Malerei etwas Schwebendes hat, und er Traumbilder erschafft. Genau diese Idee wird in dem Text sehr bestätigt. Das gefällt mir wirklich sehr.

Haben Sie eine Lieblingsepoche in der Kunstgeschichte?
Nein, habe ich jetzt nicht direkt.

Und im Film?
Die Zeit, als ich ganz jung war, und von morgens bis abends im Kino hockte. Das waren natürlich die französischen Filme: François Truffaut, Jean-Luc Godard, Andrzej Wajdas „Asche und Diamant“, – mit dem polnischen James Dean – oder russische Filme. Das war damals für mich das Aufregendste, als ganz junger Mensch, all diese Filme zu sehen.

Und heute?
Heute sind das andere. Aber sie haben alle gelernt von ihren Vorgängern. Ich mag zum Beispiel John Cassavetes und Jim Jarmusch und natürlich Martin Scorsese und viele, viele andere – und die großen Schinken mag ich auch. Meine Leidenschaft für bestimmte Filme verändert sich natürlich auch. Außerdem schätze ich viele deutsche Filme.

Hannelore Elsner beim Einsprechen des Audioguides.

Der letzte Film von Jim Jarmusch, „The Limits of Control“ (2009) hatte ja eine ganz besondere Kameraführung, das sind eigentlich Einstellungen wie Gemälde …
Ja, genau wie in den Filmen von Julian Schnabel zum Beispiel. Das ist einfach grandios. Da sieht eigentlich auch jede Kameraeinstellung aus wie ein Gemälde. Das ist wunderbar. Julian Schnabel war ja auch hier in Frankfurt (in der Ausstellung „Julian Schnabel, Malerei 1978-2003“, SCHIRN KUNSTHALLE 2004).

Eine spannende Wechselwirkung zwischen Malerei und Film …
Und ich denke, Courbet wäre auch so einer gewesen. Es ist so filmhaft, was er gemalt hat. Eine ganze Geschichte entsteht, wenn man sich die Bilder ansieht.

Was hängt bei Ihnen zu Hause an der Wand?
Fotografien, wirklich schöne schwarz-weiß-Fotografien. Andy Warhol. Dann habe ich ein paar Kunstwerke von Alighiero Boetti, kleine gestickte Bilder, das sind meine Kostbarkeiten. Zwei große Gemälde von Herbert Achternbusch. Ansonsten habe ich nicht das Gefühl, dass ich mir ganz teuer irgendwas kaufen müsste und an die Wand hänge möchte. Als ich jung war, habe ich mir einen Lithografie von Pablo Picasso gekauft, in limitierter Auflage, auf dem zwei alte Männer mit kindlichen Clownsgesichtern am Fuße eines Regenbogens stehen und gerade einen Schatz gefunden haben. Das habe ich mir in Rom gekauft, weil ich schon immer einen Schatz finden wollte.

In der letzten Zeit waren Sie in „Hanni und Nanni“ im Kino zu sehen und in zwei neuen großen Fernsehspielen; zahlreiche Wiederholungen ihrer Kinofilme kamen im Fernsehen. Welche Projekte verfolgen Sie aktuell?
Ich habe einen Film mit dem Regisseur Hans Steinbichler und Juliana Köhler gemacht, „Das Blaue vom Himmel“, der kommt 2011 ins Kino. Außerdem mache ich häufig Hörbucher oder Lesungen: Mit dem Pianisten Sebastian Knauer bin ich oft unterwegs im Rahmen von „Wort trifft Musik“: Er spielt Beethoven, und ich lese Bettina von Arnim, oder er spielt Fréderic Chopin, ich lese Texte von George Sand. Und im Dezember werde ich mit dem David-Klein-Jazz-Quartett aus Basel unterwegs sein und Geschichten von Truman Capote lesen. Manchmal lese ich so viel, dass mir die Buchstaben vor den Augen herumtanzen und mich die Wörter im Traum verfolgen – dann muss ich aufhören.

Welches Buch lesen Sie gerade?
Alle direkt hintereinander oder alle auf einmal. Im Moment: Per Olov Enquist, Alice Munro, Jonathan Safran Foer, Jonathan Franzen und vor allen Dingen Haruki Murakami. Und ich habe gerade „Unsichtbar“ von Paul Auster gelesen. Ich schleppe das alles ständig mit mir herum, deswegen sind meine Koffer auch immer so schwer. „Die zitternde Frau: Eine Geschichte meiner Nerven“ von Siri Hustvedt habe ich auch vor kurzem gelesen.

Siri Hustvedt, die Frau von Paul Auster, beschreibt darin ihre Krankheit.
Wie fanden Sie es, auch ein wenig anstrengend?
Was heißt anstrengend? Ich fand es toll. Man muss aufmerksam lesen und sich in diese Frau hineinversetzen. Natürlich versammelt sie dort unheimlich viel Fachwissen. Aber ich fand das sehr anrührend, wie sie beschreibt, wie sie quasi von Pontius zu Pilatus geht, wie auch die Spezialisten und die Ärzte ihr nichts sagen können, und sie kommt eigentlich von selbst darauf, weil sie geradezu detektivisch unterwegs ist, weil sie sich für ihre Krankheit interessiert, weil sie sich überhaupt für Menschen interessiert. Das zu lesen finde ich sehr spannend.

Dorothea Apovnik und Florian Leclerc treffen Hannelore Elsner im Tonstudio (v.r.).

Es gibt ja mittlerweile einen großen Zuwachs an biografischer Literatur, die sich mit Krankheit beschäftigt. Haben Sie Schlingensiefs Buch gelesen „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung?“
Ja, das habe ich auch gelesen. … Ich kenne ihn seit langem, und ich mag und schätze ihn sehr. Sein Tod hat mich unendlich traurig gemacht. Er ist ein wunderbarer, feinsinniger Mensch. Er hat versucht, den Menschen manchmal auch mit gröberen Mitteln den Spiegel vorzuhalten. Die verstehen ja sonst nichts – das hat er zumindest geglaubt. So wie ich auch

Was würden Sie denn einem jungen Menschen raten? Jemandem, der am Anfang steht?
Keine Ahnung. Jeder Mensch ist anders. Ich kann da eigentlich keinen Rat geben, so weit bin ich noch lange nicht. Ich bin noch keine weise Frau, da muss ich wohl noch 80 oder 100 Jahre alt werden. In meinem Beruf bin ich sowieso immer am Anfang. Ich fange immer wieder von vorne an. Jeder Monat ist neu – und anders. Und ich lasse mich auch darauf ein.

Das heißt, weil man als Schauspieler in jeder Rolle die Position zu sich selbst neu bestimmt?
Die Position zu sich selbst anders oder verschieden bestimmt. Oder man sieht etwas aus einem anderen Blickwinkel. Denken Sie an Courbets „Die Woge“, ein Motiv, das er in verschiedenen Variationen gemalt hat. Mal hat man das Gefühl, die Welle schwappt über einen drüber, als ob der Betrachter die Welle von unten sieht. Mal hat man das Gefühl, man schaut von oben drauf, dann sehen das aufgewühlte Meer und der Himmel schon wieder ganz anders aus. Oder man schaut es von gleicher Augenhöhe aus an. Es gibt ja viele verschiedene Facetten, sich selbst und die Welt zu betrachten. Das macht es ja auch so spannend.

Anders gefragt, was ist Ihnen wichtig?
… dass man das, was man macht, wirklich gerne macht und leidenschaftlich. Unbedingt das – und nichts anderes auf der Welt.

Das wäre schon einmal ein schöner Rat.
Nur muss man sich klar werden, dass man nie fertig wird, sonst wäre der Prozess geschlossen und nichts mehr würde passieren. Oder? Jetzt rede ich mich schon wieder um Kopf und Kragen. Ich hasse es ja eigentlich so zu theoretisieren. Dann merke ich, wie das alles gesammelt und archiviert wird und mir ein Leben lang nachgeworfen wird. Obwohl ich im Geiste und im Herzen schon längst ganz woanders bin. Aber im Moment stimmt das, was ich sage. Denke ich (lacht).

Aber manches muss man für sich bewahren. Nicht, weil man das geheimnisvoll machen oder verstecken oder nicht teilen möchte. Sondern, weil das magische Dinge sind, die gehütet werden müssen. Wie im Märchen, wo es Wörter gibt, die man nicht aussprechen darf, sonst ist alles aus.

Oder man darf sich nicht umdrehen. Da merkt man, wie schwer das sein kann.
Märchen lesen wäre auch ein Tipp, den ich geben könnte. Oder überhaupt: Ununterbrochen lesen. Tag und Nacht. Fast alles, was man in die Finger kriegt.

Da wären doch E-Books für Sie attraktiv? Dann könnten sie ganz viele Bücher mitnehmen?
Nein, ich muss die Bücher anfassen und riechen und umblättern und anmerken und reinschreiben und Eselsohren machen. Wirklich, Bücher digital zu lesen, dass ginge überhaupt nicht für mich. Ich will darin rumkritzeln, es bearbeiten und es richtig zu Grunde lesen, im wahrsten Sinne des Wortes.

Natürlich gibt es ein paar heilige Bücher wie Gedichte von Rilke, Hölderlin oder Bachmann, in denen würde ich nicht herumkritzeln. Obwohl, die habe ich dann alle noch mal als Reclam-Heftchen, die kann ich dann richtig zerknüllen. Da fällt mir ein: Fernando Pessoa lese ich auch gerade wieder, immer wieder. Ich bin ja eingemauert von Büchern. Jetzt habe ich mir zum Beispiel das „Das Buch der Unruhe“ noch mal in einer etwas kleineren Ausgabe gekauft, damit ich es besser herumschleppen kann. Oder Gabriel Garcia Márquez liebe ich auch ganz besonders: „Leben, um davon zu erzählen“.

Márquez hat eine sehr bildgewaltige Sprache.
Wow. Da ist man mittendrin. Ich habe das Gefühl, ich kenne ganz Kolumbien. Überall wo er war, und herumgereist ist, und wo die Familie war. Wenn ich so etwas lese, bin ich wie verschwunden für die Außenwelt. Das ist dann wirklich, als würde ich in ein anderes Land reisen. Dann werde ich abends schon ganz ungeduldig und denke, ich will jetzt weg hier, mich hinsetzen und weiter eintauchen.

Wie in magische Welten. Oder wie in ein Kunstwerk, in dem man immer neue Details entdeckt.
Ja, aber in einem Buch kann man schon ein bisschen länger verschwunden sein.

Das ist bei Ausstellungen manchmal etwas schwierig, besonders wenn sie gut besucht sind, was wir uns natürlich immer wünschen.
Und ich wünsche mir dann manchmal, dass alle weg sind, dass ich ganz allein bin mit den Bildern.

Das Gespräch mit Hannelore Elsner führten Dorothea Apovnik und Florian Leclerc.

Kontext: Courbet. Ein Traum von der Moderne
Interview mit Max Hollein: „Träumerisch und introspektiv“
Interview mit Klaus Herding: „Sich in die Bilder versenken“
Mehr zum Audioguide von Hannelore Elser auf unserer Website.