Der brasilianische Künstler und Filmemacher Neville D'Almeida arbeitete gemeinsam mit Hélio Oiticica an der Werkreihe "Cosmococa", zu sehen in der Ausstellung "Brasiliana". Ein Interview über künstlerische Zusammenarbeit, späte Erfolge und die Freiheit der Kunst.

In den 1970er-Jahren hat Neville D'Almeida zusammen mit seinem Freund Hélio Oiticica die erste "Cosmococa"-Installation geschaffen. Bis heute wird die Werkreihe immer wieder variiert, ergänzt und weiterentwickelt – in Los Angeles beispielsweise ließ der Brasilianer die Museumsbesucher seine Installation vom Pool aus erleben, in der SCHIRN wurden Hängematten im White Cube aufgebaut. Dabei arbeitet Neville D'Almeida nicht nur als Installationskünstler, sondern auch als Regisseur und Filmemacher.

SCHIRN MAGAZIN: Hélio Oiticica und Sie, der Künstler und der Filmemacher, beide mit ihren eigenen Projekten beschäftigt – wie kann man sich die Zusammenarbeit an dem gemeinsamen Projekt vorstellen? Wie kam es überhaupt zu "Cosmococa"?
Neville D'Almeida: Hélio und ich waren seit einem Jahr auf der Suche nach einer Arbeit, die als Verbindung zwischen Kunst und Film funktioniere könnte. Wir waren sehr auf diese Idee konzentriert. Freundschaft verband uns – Respekt und Bewunderung für die Kunst des anderen. Wir hatten viel Spaß an der Zusammenarbeit, haben viel gelacht, nie irgendwelche Differenzen gehabt. Wir haben künstlerisch als Einheit gedacht. Er sollte die Fotos machen und ich die Sets und die Zeichnungen – und dann wurde in letzter Minute alles wieder verworfen, und ich machte die Fotos und er die Zeichnungen.
SM: War "Cosmococa" von Anfang an als Serie konzipiert?
ND: Nach unseren Gesprächen war von Anfang an klar, dass wir eine Serie wollte. Nur eine Arbeit wäre uns zu wenig gewesen. Zu dieser Zeit gab es noch keinen Begriff wie „Installation“ für diese Art von Kunst. So waren wir gewissermaßen die ersten. Und der Name, den wir für unsere Arbeit verwendeten, war „intervenção espacial“ - räumliche Intervention.

SM: Haben Sie eine persönliche Lieblingsarbeit innerhalb der Werkreihe? Oder funktioniert "Cosmococa" nur als Einheit, in der man keine einzelnen Arbeiten hervorheben kann?

ND: Es ist schwierig. Ich liebe natürlich alle. Aber am meisten mag ich „Cosmococa 5 – Hendrix War“.

SM: Genau diese Installation können Besucher in der aktuellen SCHIRN-Ausstellung sehen – oder vielmehr selbst erleben, indem sie sich in eine der Hängematten legen und Ton und Film auf sich wirken lassen.

ND: Es gibt so viele Möglichkeiten, eine Hängematte zu befestigen. Sie kann von der Decke oder von der Wand oder an Säulen hängen oder sogar an Holzpfählen installiert werden, wie es in der SCHIRN gemacht wurde. Ich mochte das sehr, weil sie dadurch unabhängig von Decke und Wand sind. Aber eigentlich ist die Arbeit erst vollendet, wenn die Menschen darin glücklich sind, liegend in der Hängematte...

SM: Welchen Stellenwert nimmt „Cosmococa“ innerhalb Ihrer künstlerischen Arbeit ein, und hat es Ihren Zugang zum Filmemachen verändert – oder umgekehrt?

ND: „Cosmococa“ war für mich eine Zeit der Erfindung, eine Zeit der kreativen Explosion. Für mich sind alle Arbeiten miteinander verbunden. Ich verfolge mit meinen Arbeiten grundsätzlich immer dasselbe: Die totale Freiheit zu denken und zu schaffen. Und ich danke Gott dafür, dass er mir dies ermöglicht.

SM: Hierum dreht sich also alles: Freiheit? Ist sie das wiederkehrende Thema zwischen den Filmen und Interventionen?

ND: Ja, das zentrale Thema ist die Freiheit. Alle Filme und alle Objekte und alle Rauminterventionen versuchen, stets den Weg der persönlichen und künstlerischen, existenziellen Freiheit zu gehen. Ungerechtigkeit, Heuchelei, Zensur, Moralismus – Vorurteile sind immer sehr nah an der Kunst. Seit meinem allerersten Film versuche ich, mich von diesen Fesseln zu befreien und eine Kunst zu schaffen, in der sich die Menschen frei fühlen können. Insofern hat Kunst für mich den Stellenwert einer göttlichen Religion.

SM: Zumindest politisch war an diese Freiheit in Brasilien lange Zeit nicht zu denken. Viele Ihrer Arbeiten konnten erst lange nach ihrer Entstehung erstmals einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden.

ND: „Cosmococa“ wurde erst 20 Jahre nach Entstehung gezeigt, die Fotos erst 30 Jahre später. Die Installation CC 4 – der „Pool“ – brauchte 35 Jahre, bis sie zum ersten Mal aufgebaut werden konnte. Fünf meiner Filme wurden durch die Zensur der Diktatur verboten und nie gezeigt. Ich wurde festgenommen. Insofern gab mir Gott den Segen, beides zu erfahren – Scheitern und Erfolg.

SM: So wie mit „Mangue Bangue“, dem lange Zeit verschollenen Film, der jetzt einen regelrechten Hype als Underground-Stück erlebt.

ND: „Mangue Bangue“ war wie eine Explosion kreativer und existenzieller Freiheit inmitten einer brutalen Militärdiktatur, in der alles verboten war. Ich war so schockiert. Ich nahm ein paar Dosen Negativfilm mit nach London und ließ sie ein Jahr im Koffer. Ich wollte einen Film mit allem, was verboten war, im Kino zeigen. Der Film hatte kein Budget, keine Produktion, aber wunderbare Schauspieler. Wir hatten nur acht Dosen 16-mm Film, kein Take wurde wiederholt, und wir arbeiteten in derselben Weise, wie wir es auch bei „Cosmococa“ taten: Jede Arbeit hatte nur eine Rolle Diafilm mit je 36 Fotos. Als der Film endete, endete damit auch die Arbeit.

SM: Ein gutes Konzept für junge Filmemacher, die mit kleinem Budget arbeiten müssen?

ND: Es gab bei uns eine sehr große Genauigkeit im Chaos. Die jungen Filmemacher sollten nicht versuchen, Filme und Ideen umzusetzen, die eine Menge Geld kosten – sie sollten revolutionäre Ideen suchen, Sachen, die wenig kosten und viel wert sind! Big-Budget Filme werden zunehmend zu wahren Chanchadas [eine Genre-Bezeichnung brasilianischer Filmkritiker für seichte, mitunter trashige Komödien und Musicals, Anmerkung d. Red.] - und sind eine Beleidigung an den Intellekt des Publikums.