Zur Nacht der Museen am 10. Mai führt Helga Wretman ein Konzert mit Foley artists auf: sonst für Geräusche in Filmen zuständig, spielen sie Kompositionen mit Steaks, Wassermelonen und Stöckelschuhen. Das SCHIRN MAG traf die schwedische Künstlerin zum Interview.

Ausgangspunkt für Helga Wretmans eigens für die SCHIRN konzipierte Performance "Bosom Act" ist die Arbeit von Foley artists, die mit Gemüse, Obst, Wasser und Alltagsgegenständen Geräusche für Filme produzieren und damit einen wesentlichen Beitrag an der Erzeugung von Illusion und Realitätseffekt im Kino leisten. Die Geräusche werden synchron zu Bildern und Szenen entwickelt: die Faustschläge eines dargestellten Kampfes beispielsweise werden mit dem Sound von aneinandergeschlagenen Steaks unterlegt. Wie in der Musik oder Sprache gibt es kein visuelles Ähnlichkeitsverhältnis zwischen dem Medium der Darstellung und dem, was damit repräsentiert wird; im Filmkontext bleiben die Foley artists ohnehin unsichtbar hinter den Kulissen. In Helga Wretmans Performance werden von Steffen Martin komponierte Pop-Songs von Geräuschemachern hörbar und gleichzeitig sichtbar gemacht.

Die 1985 in Stockholm, Schweden geborene Künstlerin -- die selbst als Stuntwoman in Filmen arbeitet -- reflektiert in ihren Arbeiten grundsätzlich das Verhältnis von Körper und (geistigem) Inhalt. Etwa, wenn sie in ihrer jüngsten Videoarbeit „Dave" den Protagonisten eine digitale Identität seiner selbst entwickeln lässt, in die er sich verliebt und die er in Form eines digitalen Selbstmordes aus Eifersucht am Ende auslöscht.

Große Aufmerksamkeit erhält Wretman zudem für ihr fortlaufendes Programm „Fitness for Artists", bei dem sie den Körper von Künstlern -- in Analogie zu ihrem aktiven Geist -- durch Fitnessprogramme vitalisiert. Ihre Arbeiten waren bereits in den Kunstwerken Berlin, der Lyon Biennale, dem Palais du Tokyo und in der großangelegten Gruppenausstellung „Based in Berlin" zu sehen. 

Im Rahmen der Proben für die Performance „Bosom Act" traf das SCHIRN MAG die Künstlerin zum Interview: 

SCHIRN MAG: Als wir über eine mögliche Arbeit für die SCHIRN sprachen, sagten Sie sofort, dass Sie schon länger darüber nachdenken, mit Foley artists zu arbeiten. Woher kommt die Faszination dafür? 

Helga Wretman: Entertainment hat mich immer interessiert und als Tänzerin kenne ich diesen Bereich zumindest teilweise. Es fasziniert mich, wenn Menschen etwas machen können, was andere Leute fühlen. Dieses Bauchgefühl, wenn man ein tolles Lied hört oder einen Film sieht. Mein Interesse an Foley artists hat aber auch mit meiner eigenen Arbeit als Stuntwoman im Film zu tun. Ich habe mich immer sehr dafür interessiert, wie das, was ich auf der Leinwand mache, durch die Sounds von Foley artists unterstützt wird. Was ich als Stuntwoman mache, ist ja eigentlich eine Täuschung. Wenn ich mich auf den Boden schmeiße, tue ich alles dafür, dass ich mich nicht verletze, auch wenn es natürlich so aussieht. Ich glaube, dass Sound an sich sehr emotional ist und eine sehr instinktive Wirkung auf Menschen hat. Wenn man etwas hört, kann ganz schnell eine Erinnerung ausgelöst werden ohne dass man weiß, woher genau das kommt, weil die Verknüpfung so abstrakt ist.

SM: Interessant, dass Sie die Performance mit Ihrer Arbeit als Stuntwoman verbinden, weil das ja erst einmal ganz anders funktioniert. Sie stellen mit Ihrem Körper eine Aktion dar, etwa einen Sturz, das heißt Ihre Bewegungen imitieren logischerweise das, was dargestellt wird. Die Geräusche der Foley artists hingegen entstehen ganz anders als das, was im Bild zu sehen ist. Ich ging zunächst davon aus, dass Sie diese Analogie von Bild und Geräusch interessiert. Sie haben sich bei "Bosom Act" jetzt aber dafür entschieden, das herkömmliche Verhältnis umzukehren, also aus der Arbeit der Foley artist ein Bild zu machen, für das Pop-Songs komponiert wurden. Ihre Arbeit ist keine Dienstleistung mehr für die Illusion einer Szene, sondern eigenständig und im wahrsten Sinne des Wortes auf die Bühne gebracht. Können Sie dieses Verhältnis beschreiben? Es geht ja eindeutig um den Umgang mit Zeichensystemen. 

HW: Das Handwerk der Foley artists erzeugt Emotionen und ich wollte dieses Phänomen entblößen oder offen legen. 

SM: So dass sie aus ihrer Unsichtbarkeit heraus geführt werden? 

HW: Ja, genau

SM: Die Gemeinsamkeit Ihrer Arbeiten liegt darin, dem Unsichtbaren eine Bühne zu geben und auf etwas aufmerksam zu machen, was in dem jeweiligen Kontext eigentlich eher sekundär ist. Die Videoserie "Fitness for Artists" ist zwar auch ein inhaltliches Interview mit einem Künstler, aber der Fokus liegt eindeutig auf dem Körper des Künstlers, der allgemein eine eher untergeordnete Rolle spielt. Das Körperliche spielt eine starke Rolle in Ihrer Arbeit, auch der Einsatz Ihres eigenen Körpers. Es gibt zum Beispiel eine Performance im Rahmen von "Fitness for Artists", in der Sie auf einem Laufband stehen und um Sie herum steht ein Kunstpublikum mit Weingläsern in der Hand, die Ihnen zuschauen, wie Sie an die Grenzen der körperlichen Kondition gehen. Hat das etwas mit dem Effizienzgedanken zu tun?

HW: „Fitness for Artist" ist eigentlich eine Self-Help-Strategie für die Kunstwelt. Es ist bewiesen, dass durch Training Endorphine und Hormone im Gehirn ausgeschüttet werden, die fokussierter und kreativer machen. Und es geht auch darum, das Klischee des Rotwein-trinkenden und rauchenden Künstlers zu brechen. Es gibt viele Künstler, die sehr bewusst auf ihre Ernährung und ihren Körper achten. Von „Fitness for Artist" gibt es sehr unterschiedliche Formate. Ich habe Künstler im Rahmen von Gruppenausstellungen live trainiert und es gibt zahlreiche Online-Formate. Mit dem Interviewprogramm, das ich zusammen mit Baby Darwin entwickle, gehe ich einen Schritt weiter, weil man da sehr direkt sieht, was passiert, wenn man sich bewegen und gleichzeitig reden muss über das, was man als Künstler eigentlich macht. Das ist sehr spontan und direkt und dadurch auch effizient.

SM: Mit "Bosom Act" haben Sie einen Titel gewählt, der auf unterschiedlichen Ebenen den Kern Ihrer Arbeit berührt. Was bedeutet der Titel und in welchem Verhältnis steht er zu der Foley-Performance?

HW: Bosom heißt natürlich Busen, aber im Alt-Englischen wurde der Begriff eher in seiner zweiten Bedeutung verwendet: der Platz, in dem das Herz und die Gefühle leben. Es hat noch eine dritte Bedeutung: bosom friends sind zwei unzertrennliche Freunde, oft junge Mädchen. Ich finde auch, dass Busen, also Titten, in direkter Verbindung stehen mit dem, was wir heutzutage unter "Entertainment" verstehen. Das Wort "Act" bedeutet letztendlich etwas Gespieltes, nicht echt sondern „vorgeführt". "Bosom Act" wäre dann ein Synonym für vorgeführte Emotionen.