Barbara Kruger hält der Gesellschaft den Spiegel vor – die amerikanische Konzeptkünstlerin über ihre neue Installation „Circus“, das digitale Zeitalter und die Kultur in den Vereinigten Staaten.

Barbara Kruger, Jahrgang 1945, hatte im Jahr 2002 im Rahmen der Ausstellung „Shopping. 100 Jahre Kunst und Konsum“ die Fassade der Frankfurter Galeria Kaufhof mit einem konsumkritischen Plakat versehen: „DU WILLST ES, DU KAUFST ES, DU VERGISST ES“ – eine Botschaft, die an ihre bekannte Arbeit „I SHOP THEREFORE I AM“ erinnert. Jetzt hat sie die Rotunde der SCHIRN mit der Installation „Circus“ in ein begehbares Kunstwerk verwandelt.

Vor acht Jahren haben Sie die Fassade eines Konsumtempels mitten in der Frankfurter Innenstadt mit einer extrem kritischen Arbeit versehen. Wie war das möglich?
Die Installation wurde im Rahmen der „Shopping“-Ausstellung in Kooperation mit der Galeria Kaufhof und der Stadt Frankfurt realisiert. Max Hollein hat diese Zusammenarbeit ermöglicht. Die Leitung der Galeria Kaufhof war gegenüber meiner Kunst sehr aufgeschlossen.

Glauben Sie, dass eine derartige Arbeit in einer anderen Stadt möglich gewesen wäre?
Es war einfach unglaublich, diese Installation hier in Frankfurt zu realisieren! Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass so etwas in einer anderen Stadt möglich gewesen wäre. Normalerweise arbeiten Museen, Geschäfte und die Stadtverwaltung nicht so eng zusammen wie in Frankfurt. Die Gelegenheit war einzigartig.

Sie zeigen häufig Kunst im öffentlichen Raum. Was ist daran besonders im Vergleich zu Kunst im musealen Kontext?
Denken Sie, dass die Rotunde der SCHIRN zum öffentlichen Raum gehört?

Zumindest wird sie als öffentlicher Raum genutzt, weil sie einen Durchgang zwischen Dom und Römer öffnet. Es kostet auch keinen Eintritt, Ihre Installation in der Rotunde zu sehen.
Ich würde sie weder zum öffentlichen noch zum Museumsraum zählen. Ich habe mit Straßenarbeiten angefangen, aber seit 15 Jahren mache ich vor allem Videos, die ich in Galerien zeige. Dort muss man auch keinen Eintritt zahlen. Der große Unterschied zu meinen Arbeiten vor dieser Zeit ist, dass ich nun versuche, eine Eindringlichkeit in meiner Kunst zu erreichen – sei es im Museum, in Galerien oder im öffentlichen Raum. Es gibt sehr viele Wege, künstlerisch zu arbeiten und Bedeutung herzustellen. Ein großer Vorteil für zeitgenössische Künstler ist sicher, dass sie sich nicht auf eine Form festlegen müssen, sondern sich unterschiedlichen Medien widmen können, und, wenn sie Glück haben, auch in unterschiedlichen Kontexten ausstellen können. Es gibt Kunst, die auch für Menschen zugänglich ist, die nicht den Code der Kunst-Szene kennen. Meine Arbeiten sind ein Beispiel dafür. Man muss nicht über Konzeptkunst promoviert haben, um meine Arbeit zu verstehen. Das macht meine Kunst nicht besser als Kunst, die sich der Codes der Kunst-Szene bedient – es macht sie anders.

Ausstellungsansicht von Barbara Kruger, „Circus“, 2010. Foto: SCHIRN KUNSTHALLE

Ich habe mich über Ihren Text „BELIEF+DOUBT=SANITY“ gewundert. Glaube und Zweifel sind im Grunde Gegensätze, Widersprüche. Wie kann aus diesem Paradox „SANITY“, also geistige Gesundheit, gesunder Verstand oder Vernunft, entstehen?
Für mich ist das so offensichtlich! Ich denke, dass Glaube ohne Zweifel der Grund für alle tödlichen Konflikte in der Geschichte der Menschheit ist. Diese Art von Glaube meint: „Was ich glaube ist richtig, und wenn Du nicht damit übereinstimmst, dann bist Du das ‚Andere‘, dann bist Du das ‚Problem‘“. Jeder Glaube sollte Spielraum für Kritik lassen – und umgekehrt.

Direkte Ansprache ist ein Aspekt Ihrer Arbeit, zum Beispiel in „THE WAR FOR ME TO BECOME YOU“. Warum ist das für Sie so wichtig?
Weil es durch die Oberfläche schneidet, weil es den Betrachter direkt anspricht. In meinen Film-, Foto- und Textarbeiten verwende ich häufig eine direkte Ansprache, aber nicht jede Arbeit hat Personalpronomen. Künstler reflektieren ihr kulturelles Umfeld. Ich bin mit Film und Fernsehen aufgewachsen – im Fernsehen etwa wird ständig direkte Rede verwendet: Menschen schauen Dich an, sprechen Dich an. Auch im Internet, zum Beispiel auf Plattformen wie Youtube oder Twitter, wird man direkt angesprochen. Man kann das missbrauchen, aber es bleibt ein sehr mächtiges Mittel, Bedeutung für eine Person herzustellen. In meinen Arbeiten sind die Aussagen direkt und unmittelbar zugänglich. Bei dem Bannertext „IN VIOLENCE WE FORGET WHO WE ARE“ war es eine ganz bewusste Entscheidung, „VIOLENCE“ nicht als größtes Wort darzustellen, sondern „WHO“. „VIOLENCE“ sollte nicht in einer solchen Größe auf der Fassade der SCHIRN erscheinen. Die Darstellung bestimmt die Art, wie Worte gelesen werden, und wirkt sich auf die Bedeutung aus.

Wie wird aus Ihrer Sicht Identität im Zeitalter des Internets konstruiert?
Was ist Identität? Wessen Identität? Es gibt heutzutage so viele multiple Identitäten. Es ist schon merkwürdig: Niemand außer den SCHIRN-Mitarbeitern hat mich bislang auf Twitter angesprochen.

Uns war aufgefallen, dass jemand unter dem Usernamen @barbarakruger Ihre Texte veröffentlicht. Das Profil zeigt zudem ein Porträtbild von Ihnen. Ist es für Sie in Ordnung, dass jemand in Ihrem Namen twittert?
Warum nicht? Ich werde bestimmt niemanden dazu zwingen, aufzuhören. Es ist Teil der Mechanik des Systems, so ist das nun einmal. Vor Jahren sind in Washington Künstler auf die Straße gegangen, um für den Schutz der Urheberrechte zu demonstrieren. Ich werde nicht für den Schutz der Urheberrechte marschieren.

Ausstellungsansicht von Barbara Kruger, „Circus“, 2010

Zurzeit beschäftigt man sich in Ihrem Heimatland mit einem diplomatischen Skandal, der auch den Rest der Welt betrifft …
Sie meinen die Veröffentlichung brisanter, geheimer Berichte auf Wikileaks?

Sie haben Machtstrukturen schon immer hinterfragt. Was halten Sie von der Veröffentlichung der Geheimdokumente?
Das ist kompliziert. Was Julian Assange betrifft: Er ist wahrscheinlich ein Narzisst. Aber was er mit Wikileaks erreicht hat, ist wichtig.

Die Anklage gegen ihn weckt den Eindruck, als würden Leute versuchen, ihn fertig zu machen. Grundsätzlichkeit bin ich für Transparenz, aber ich denke nicht, dass uns die Dokumente irgendetwas mitteilen, was wir uns nicht hätten denken können. Ohne Zweifel ist Wikileaks durch den schrecklichen, zerstörerischen Krieg gegen den Irak beeinflusst und befeuert worden. Ich habe nichts gegen Wikileaks. Ich glaube auch, dass die Veröffentlichung der Dokumente in vielerlei Hinsicht sehr produktiv gewesen ist. Natürlich ist das nicht die offizielle Sicht der US-amerikanischen Regierung. Es ist auch interessant mitzubekommen, was über andere Regierungen und Menschen berichtet wird – zum Beispiel die amerikanische Sicht auf China oder der Blick der Saudis auf den Iran. Ich kenne übrigens viele iranische Intellektuelle, Regisseure und Künstler, die von dem Regime dort gefangen gehalten werden. Es ist schlimm zu hören, wie Iraner dämonisiert werden. Wikileaks macht die Komplexitäten im digitalen Zeitalter deutlich. Unsere Identität wird davon bestimmt – und auch sogenanntes intellektuelles Eigentum, was häufig nur ein Euphemismus für Kontrolle durch die Industrie ist.

In Ihrer Kunst setzen Sie sich oft kritisch mit der amerikanischen Kultur auseinander, zum Beispiel, was die Rechte der Frauen oder die Notwendigkeit einer Krankenversicherung betrifft. Was denken Sie über die amerikanische Kultur heutzutage?
Ich mache keine politische Kunst, und ich bin keine politische Künstlerin. Kultur ist voller Macht – überall. Etwas, das die amerikanische Kultur prägt, ist die resolute Ignoranz von großen Teilen der Wählerschaft. Dass ich das gerade hier in Deutschland sage … man wiederholt eine Unwahrheit wieder und wieder und wieder. Und viele Menschen – nicht alle, aber viele – glauben daran. Während der Regierung von George W. Bush wurde die Lüge über den Irak, die zu dem zerstörerischen Krieg führte, der hätte vermieden werden können, ständig wiederholt, und die Hälfte des amerikanischen Volkes glaubte daran. Wenn man heute über eine Krankenversicherung spricht, wird man als Sozialist bezeichnet! Bei der Präsidentschaftswahl 2008 haben Sarah Palin und John McCain rund 45 Prozent der Stimmen erhalten, es war kein Erdrutschsieg für Obama. Nach acht Jahren Bush-Regierung konnte Obama nicht in vier Monaten alles besser machen. Aber die Menschen verstehen das nicht.
Das Gespräch mit Barbara Kruger führten Karin Bellmann und Florian Leclerc. Übersetzung aus dem Englischen: Florian Leclerc.

Ausstellungsansicht von Barbara Kruger, „Circus“, 2010

Sie haben auch schon „Appropriation Art“ gemacht …
… auch wenn ich niemals den Begriff „Appropriation Art“ verwenden würde. Aber wäre es nicht witzig, wenn ein sogenannter „Appropriation Artist“, also jemand, der Kunst anderer Leute kopiert, sich darüber beschweren würde, dass man ihm seine Werke stiehlt? (lacht) Man muss das mit Humor nehmen.

Wissen Sie, wer hinter dem Twitter-Konto steckt?
Vor einiger Zeit, als das Internet gerade an Schwung aufnahm, hat jemand die Domain www.barbarakruger.com gekauft. Sie gehört nicht mir. Auch auf Twitter sind einige Texte nicht von mir, – die meisten schon, aber bei manchen denke ich mir: „Oh mein Gott, das würde ich niemals sagen!“ Aber ich würde mich nie darüber beschweren.

In der Rotunde fühlt man sich in Ihrem begehbaren Kunstwerk sehr klein im Vergleich zu den Buchstaben.
Diese Eindringlichkeit erschaffen zu können, war für mich der große Durchbruch. Das hat mir wirklich sehr viel bedeutet. Wissen Sie, Architektur war meine erste Liebe, ich wollte schon immer mit Räumen arbeiten. Heutzutage weiß ich mehr über die Architektur-Szene als über die Kunst-Szene. Ein besonderer Reiz, in Los Angeles zu wohnen, sind die großartigen Bauten der europäischen Architekten, die hier ihre Gebäude verwirklicht haben: Richard Neutra oder Rudolf Schindler – das waren große Architekten der Klassischen Moderne, die nach Los Angeles gekommen sind. – Die Möglichkeit, mit Räumen arbeiten zu können, ist für mich unglaublich faszinierend.

Bevor Sie Künstlerin wurden, waren Sie im Verlag Condé Nast eine erfolgreiche Bildredakteurin bei den Zeitschriften „Mademoiselle“ und „House and Garden“.
Wirklich erfolgreich war ich nicht: Ich war eine kleine Grafikerin bei Magazinen, bei denen mir 80 US-Dollar pro Woche bezahlt wurden. Ich war einfach noch sehr jung!

Was ist die Verbindung zwischen Ihrer Arbeit als Grafikerin und Ihrer Kunst?
Ich habe keinen Universitätsabschluss, ich war nicht auf dem College. Meine Ausbildung war zu lernen, wie Bilder und Wörter in Verbindung gebracht werden können, so dass sie miteinander funktionieren. Aber ich habe mich nie als Designerin verstanden. Für mich bedeutet Designerin zu sein immer auch eine sehr enge Kundenbindung zu haben: Man muss für sehr viele Menschen sehr viele Probleme lösen. Das kann ich nicht. Künstler tun, was sie tun. Sie sind in gewisser Hinsicht ihre eigenen Kunden. Das macht einen großen Unterschied. Es war sicherlich ein Vorteil für mich, vom Grafik-Handwerk zu kommen und es zu einem gewissen Grad zu verstehen. Die Fähigkeit, mit Bildern und Wörtern zu arbeiten, habe ich sicherlich im Beruf erlernt. Die Ironie ist, dass ich nie gedacht hätte, dass meine Kunst einmal bekannt sein würde, oder, dass ich berühmt werden, Karriere machen oder überhaupt Erfolg haben würde. Warum manche Kunst in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und andere nicht, hat nicht nur mit der Qualität der Arbeit zu tun, sondern es ist ein kompliziertes Zusammenspiel von historischen Umständen und natürlich auch Glück.